"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
"Atrocity Exhibition", das vierte Album von Danny Brown, gleicht einem psychedelischen Drogentrip, bei dem man verschiedene Phasen durchläuft. Zwischen Introspektive, Paranoia, Euphorie und blankem Wahnsinn passiert hier extrem viel. Das kommt nicht von ungefähr – Dannys Hang zu Drogen ist allseits bekannt.
Der Ausnahmerapper schwärmt mitunter, etwa auf der entspannten Kifferhymne "Get Hi", vom süßen Eskapismus des Rausches, zeichnet auf anderen Tracks aber auch ein Bild von sich als Abhängigem, dessen Zuflucht in den Drogenkonsum auf psychischen Problemen fußt. So heißt es beispielsweise auf dem aggressiv dröhnenden "Ain't it funny": "Can't quit the drug abuse or the alcohol abuse, even if I wanted to. Tell you what I'm gonna do: I'ma wash away my problems with this bottle of Henny. Anxiety got the best of me, so I'm popping them Xannies". Persönlich mangelt es mir zwar an Drogenerfahrungen. Auch kann ich nicht nachvollziehen, wie es wohl sein muss, in einer Stadt wie Detroit aufzuwachsen, die in vielen Gegenden einem Kriegsgebiet ähnelt. Dennoch löst dieses Album etwas in mir aus. Das zu beschreiben, ist jedoch gar nicht so leicht, da die komplexe Musik und Persönlichkeit, die einem hier präsentiert wird, so viele Assoziationen zugleich hervorruft, dass es einen regelrecht verwirrt. Gute Musik kann einen eben auch aufwühlen und muss nicht immer als Katalysator dienen. Dass Danny wahlweise mit quäkiger oder tiefer Stimme auf innovativen Instrumentals rappt, die mit jeglichen Genrekonventionen weniger gemeinsam haben als Detroit mit St. Moritz, tut sein Übriges zum Reiz dieses unvergleichbaren und dadurch so interessanten Albums.
"Atrocity Exhibition" ist genau das, was der Titel suggeriert: eine schrille Freakshow, die im Rapzirkus ihresgleichen sucht. Wann immer ich gefangen zwischen Myriaden von Gefühlen eine gewisse innere Zerrissenheit verspüre und mit geradliniger Musik nichts anfangen kann, gibt es kaum etwas Besseres.
(Steffen Bauer)