"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Ob Kendrick Lamar wirklich der zurzeit beste Rapper der Welt ist, scheint eine nicht enden wollende Diskussion zu sein. Während sich auch hierzulande die meisten Medien einig sind, dass dem so ist, gibt es in Kommentarspalten immer wieder Experten, die anderen MCs bessere Skills und Wortgewandtheit zuschreiben. Sein bilderbuchartiger Aufstieg vom heiß gehandelten Newcomer zur Ikone ist aber unbestreitbar und begann mit seinem Major-Debüt "good kid, m.A.A.d city".
Für mich ist Kendricks größtes Kunststück auf diesem Album, den schmalen Grat zwischen Konzeptgedanken und Eingängigkeit mit einer atemberaubenden Leichtfüßigkeit zu wandern. Seine Ambition, aus dem Album ein ganzheitliches Projekt mit ineinandergreifenden Songs zu kreieren, geht komplett auf. "good kid, m.A.A.d city" zeigt zu keiner Sekunde Einbußen in der Zugänglichkeit. Stattdessen bietet die Platte mit "Swimming Pools (Drank)", "Bitch, Don't Kill My Vibe" oder "Money Trees" echte Hits, die unabhängig vom großen Ganzen funktionieren. Auch der zweiteilige, zwölfminütige Track "Sing About Me, I’m Dying of Thirst", auf dem der Rapper das Storytelling perfektioniert, reiht sich nahtlos in die Tracklist ein. Durchzogen von Skits, die mal Freunde von K.Dot, mal seine leiblichen Eltern zu Wort kommen lassen, baut das Album eine dichte und emotionale Atmosphäre auf, die den Zuhörer ganz nah an den Künstler lässt. Dass das Albumcover die Worte "A Short Film by Kendrick Lamar" zieren, ist somit keine Übertreibung.
Kendrick Lamar zeigt auf seinem Debüt, wie nah Rap der Perfektion kommen kann. Jeder Song ist unentbehrlich und fügt sich als Mosaikstein in ein zusammenhängendes Gefüge ein. Alben, bei denen man keinen Song skippt, gibt es selten. Alben, die dazu noch ein kohärentes Konzept haben und dieses sowohl musikalisch als auch inhaltlich auf höchstem Niveau darbieten, sind eine Rarität und verdienen jedes Lob, das ihnen zukommt.
(Lennart Wenner)