"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Vor kurzem bin ich auf ein kleines Juwel des letzten Jahres gestoßen, bei dem mir völlig unklar war, wie mir das entgehen konnte, denn als sich Doubtboy und Tightill anfangs für ein paar Tracks zusammen getan haben, ist dabei gleich ein ganzes Mixtape entstanden: "RnB Anarchie". Und der Name ist Programm.
Bereits die Visualisierungen der Single-Auskopplungen, aber auch ihr Cover untermauern das "RnB" im Titel mehr auf gewisse Weise. Vokuhila, Kleidung wie aus den 90ern, Neonschriftzug – schon das Auftreten der beiden vermittelt genau, worauf sich der Hörer einlässt. Die Beats schaffen ein Hörerlebnis irgendwo zwischen kitschigem RnB, Neue Deutsche Welle und modernen Trap-Einflüssen. Was Kopfklang, Rufio sowie einige weitere Produzenten hier geleistet haben, wirkt oft völlig zeitlos und geht dabei stets gut ins Ohr. Mal tanzbar, mal eher melancholisch sind die Beats perfekt von den zwei Bremern gepickt worden, denn auf ihren zehn Tracks dreht es sich Doubtboy und Tightill allen voran um die Liebe. Mal mehr, mal weniger deep, mal autobiographisch, aber auch selbstironisch geht es um Verlust, Betrug und die Frage nach dem "Warum". Das klingt inhaltlich eher klischeehaft und abgenutzt, aber die Art, wie das Duo Romantik mit harter Sprache verbindet, bringt dennoch genug frischen Wind in das Thema. Bestes Beispiel für die ungewöhnliche Verbindung ist die Hook von "Sag jetzt nix": "Girl, du hast mich total verletzt. Girl, mein Herz ist jetzt arschgefickt." Die Weise, wie die beiden ihre Texte rappen, setzt dem Ganzen dann noch die Krone auf. Denn sowohl Tightill als auch Doubtboy haben nicht nur sehr eigene Stimmen, sie wissen auch, ihren Rap-Stil so zu variieren, dass sie an Künstler wie etwa Nate Dogg erinnern.
"RnB Anarchie" ist definitiv nicht das typische Rap-Release und manchen eventuell trotz all seiner Vorzüge zu schnulzig. Ich hingegen habe diesen teils trashigen, teils äußerst detailverliebten Stil sofort lieb gewonnen und kann jedem nur empfehlen sich das Tape zur Einstimmung auf den Frühling an einem entspannten Nachmittag anzuhören.
(Lukas Päckert)