Es kann sich als herausfordernd gestalten, jemanden nach seinem ganz persönlichen Soundtrack zu befragen. Doch mag die Suche nach einer Antwort auch noch so schwer fallen, kann man sich dennoch sicher sein, dass jeder einen hat: diesen einen Track, den man hundertprozentig fühlt, von Jazz über Pop und Rock bis hin zu Rap. Ob der Song nun nostalgische Erinnerungen hervorruft, zum Nachdenken anregt, über Liebeskummer hinweghilft oder einfach nur gute Laune verbreitet – Musik ist vielfältig und berührt Menschen individuell. Was wohl daran liegen mag, dass diese Kunstform jedes menschliche Thema aufgegriffen und mit einer bestimmten Message an die Hörer weitergegeben kann. Diese Symbiose aus Sprache und Melodie schafft es, auf unsere Stimmung und den Alltag nachhaltigen Einfluss zu nehmen. Als Musikmagazin interessiert uns daher natürlich brennend, welche Klänge die Persönlichkeiten der Deutschrap-Szene mitreißen und permanent begleiten. Deshalb haben wir zehn Rapper gefragt: "Welcher ist der Soundtrack deines Lebens und warum?"
Veedel Kaztro: Mein Lieblings-Rapsong für immer ist wahrscheinlich Dizzee Rascals "World outside" von dem Album "Maths + English". Das ist der Opener der Platte, der meiner Meinung nach sowas von passt. Der Beat ist einfach unnormal krass. Quasi der Vater von Cloudrap. Megageile Synthies, irgendwie sehr luftig, um mal ein paar Schlagwörter zu nennen … (überlegt) Der Sound hebt irgendwie ab – und dann wird er von tiefen, 808-mäßigen Bässen begleitet. Ein geiler Kontrast auf jeden Fall und ein sehr fetter Beat. Dizzee rappt einfach megageil darauf – wie er halt immer rappt. Schon fast eine Rechtfertigung dafür, dass er jetzt nicht mehr so viel auf den Streets ist, wo seine Jungs aus den alten Zeiten immer noch sind. Er ist ja aus 'ner üblen Gegend, glaube ich. Er sagt, dass er jetzt die Möglichkeit hat, sein Potenzial besser zu nutzen. Er ist immer noch umtriebig, aber kann jetzt einfach was Besseres machen und hat das größere Bild gesehen, wie er sagt – "seen a bigger picture". Das ist auf jeden Fall ein großes Motivationsding an seine alten Weggefährten: Dass es da halt eine andere Welt gibt, das sagt ja auch schon der Titel. Und das kommt einfach richtig geil an. Seine Lebensrealität ist zwar eine andere als meine, aber ich bin immer sehr angetan von dem, was er da erzählt. Das berührt mich sehr krass, man kann es voll fühlen. Den Song habe ich echt schon oft gehört, als es mir nicht so gut ging, und er hat mich sehr aufgebaut. Er hat einfach eine krasse Energie, vor allem die Message: Dass er aufzeigt, dass die Welt nicht nur scheiße ist, was für geile Sachen es gibt. Und er kennengelernt hat, dass es nicht nur die "Ends", diese abgefuckten Gegenden gibt … Wie gesagt, mit mir hat das nicht so viel zu tun, aber der Song an sich ist unnormal krass und den lieb' ich echt aus diesen Gründen.
Gerard: The Streets' "Turn the Page". Als mir als 16- oder 17-Jähriger das The Streets-Album "Original Pirate Material" in die Hände fiel, war es um mich geschehen: Endlich erzählte jemand Geschichten aus dem Alltag, der meinem eigenen dann doch ähnlicher war als die Storys amerikanischer Rapper aus ihrer Hood. Geschichten, die auf das erste Hören zwar beinahe banal klangen, aber beim genaueren Zuhören die großen Themen der Welt behandelten, vom Kleinen aufs Große schließen ließen. Man spürte richtig die Ehrlichkeit, die Mike Skinner in seine Kunst steckte. Unter den vielen Lieblingssongs hat mich "Turn the Page" in meinem Alltag immer besonders begleitet. Jedes Mal, wenn ich auf dem Weg zu irgendeinem wichtigen Treffen oder einer Prüfung in der Uni war und mich meine Nervosität beinahe übermannt hat, begleitete mich der Song auf den letzten Metern auf meinem iPod und versetzte mich in die richtige, selbstsichere Stimmung. Der langsame Aufbau, die Aufbruchsstimmung, die sich zwischen den Zeilen offenbart, und der Satz, den ich mir zu einem meiner Lebensgrundsätze gemacht habe: "Action speaks louder than words."
Weekend: Sich auf einen Song zu beschränken, ist schwierig. Ich entscheide mich nach Überlegungen für "Swim good" von Frank Ocean. Es ist gar nicht so, dass ich bestimmte Situationen mit dem Song verbinde und irgendwie nostalgisch werde, wenn ich ihn höre. Da gibt es sicher andere Lieder, mit denen ich eine größere persönliche Geschichte habe. Vielmehr ist das einfach eines der besten Stücke Musik, die ich je gehört habe. Die Gratwanderung zwischen Resignation und Aufbruchsstimmung, die Frank Ocean da in Perfektion hinbekommt. Dazu dieses mega-abgeklärte Instrumental, das alles kann, aber eigentlich gar nicht so viel will – einfach perfekt. Es gibt quasi keine Situation, in der ich dieses Lied nicht hören kann. Es funktioniert, wenn du traurig bist, wenn du glücklich bist und bei so ziemlich allem dazwischen. Und der Song nutzt sich einfach gar nicht ab. Swim good!
Crystal F: Also, ein Song, der mir recht viel bedeutet, obwohl ich ihn vielleicht erst fünf Mal gehört habe, ist "Haltet die Welt an" von GLASHAUS. Das erste Mal habe ich den Song mit hohem Fieber gehört und war wie erschlagen davon. Das letzte Mal habe ich ihn nach der Beerdigung meines Großvaters vor sechs Jahren gehört, mir dazu die Augen ausgeheult und das Kapitel damit beendet.
Olli Banjo: Boah, das ist echt 'ne extrem schwierig zu beantwortende Frage. Da gibt es mehrere Stücke, die mir viel bedeuten. Zum Beispiel "Teardrop" von Massive Attack wegen der unglaublichen Emotionalität oder "Blind" von Korn wegen der Aggression. Aber wenn ich mich auf ein Stück festlegen soll, würde ich sagen … Warte, lass mich überlegen … Ah, ich würde sagen: "Minnesota" von Lil' Yachty. 107 Millionen Aufrufe! Durch den Song bin ich zu Rap gekommen. (lacht) Nee, Spaß! Ich würde sagen: "It ain't hard to tell" vom ersten Nas-Album. Mit "Doggystyle" von Snoop mein All-Time-Fav-Album! Musikalisch, trotzdem hart, cool, kompromisslos – ich bekomm' immer extreme Aufbruchsstimmung, wenn ich den Song höre. Würde gerne aktuelle Beats von Large Professor hören. Erst das Michael Jackson-Sample, dann das Flat Saxophone, die harten Drums und dieser Vortrag aus der Hüfte geschossen. Das ist Rap für mich. Bekomme immer Gänsehaut bei dem Song. "Hit the earth like a comet. Invasion." Sobald das Teil läuft, will ich nach New York und meinen Vorschuss dumm für Schmuck verballern. Überfeeling! Love! HipHop!
BRKN: Komplizierte Sache, den Lieblingssong festzulegen, finde ich. Aber ich muss sagen: "The world is yours" von Nas. Es ist ein bisschen schwierig, zu beschreiben, was für ein Gefühl dieser Track in mir auslöst. Ich weiß noch, dass ich den angemacht habe, als ich als kleiner Scheißer mein erstes Billigmikrofon in meinem Kinderzimmer aufgebaut habe. "The world is yours" – dieser Gedanke begleitet mich seitdem. Du kannst alles schaffen. Die Welt ist, was du draus machst. Der Beat, dieses Ahmad Jamal-Sample, die Hook – und dann Nas, wie er entspannt über alles Mögliche rappt. Dass er Champagner trinkt oder ihn eine schwarze Wolke auf Schritt und Tritt verfolgt. Dieser Song ist für mich ein reines Glücksgefühl. Man kann alles schaffen. Da schwingt eine Zufriedenheit mit dem Leben mit – egal,ob es grade gut oder schlecht läuft. Ein Junge aus dem Dreck erzählt dir, wie er tote Präsidenten jagt, Leute aus seiner Gegend Koks strecken und es seinem Sohn besser ergehen wird als ihm nach all der Kacke, die er abgezogen hat. Egal, ob von Queensbridge bis an die Spitze oder von Kreuzberg 36. The world is yours. Übrigens: Scarface wird auch stark mit dem Spruch in Verbindung gebracht, kannte ich damals aber noch gar nicht.
Donvtello (Moneymaxxx): Ich glaube, ich habe kein Lied so oft gehört wie "Fake ass bustas" von Playa G von dem Album "Pimp shit". Also, allgemein die ganze Scheibe ist der Shit. Ist einfach 'n chilliger Song, "Memphis Classika", kommt aber auch 'n bisschen G-Funk-mäßig. Wir haben das Album damals in unserer ersten Musik-WG rauf und runter gehört. Nightro und ich haben irgendwann Pilze gefressen und auch dazu das Album durchgehört. Und da wir ja herbe verballert waren, hat uns das Album noch mehr geflasht als im normalen Zustand. Also dachten wir, wir müssten Playa G das irgendwie mitteilen, dass er so ein unglaubliches Album gemacht hat – und haben dann einfach angefangen, 'nen Brief zu schreiben. Haben es dann aber irgendwann nicht mehr auf die Reihe bekommen, den fertig zu schreiben. Was aus dem Brief geworden ist, weiß ich nicht mehr. Aber wie gesagt, Tipp von mir: Hört euch das mal an. Original ist diese CD schwer zu bekommen und auch sehr teuer. Eins meiner All-Time-Favorite-Alben.
Pimf: Ich habe lange überlegt, ob ich hier irgendwie einen häufig gehörten Rapsong nenne, aber der wichtigste Song meines Lebens ist über die letzten Jahre wahrscheinlich "I don't like Mondays" von den Boomtown Rats geworden. Vor knapp vier Jahren ist mein Handballtrainer verstorben und nach ein paar Schnäpsen in der Kneipe landen wir auch heute immer wieder bei seinem Lieblingssong. Auf Lui!
ÉSMaticx: Es ist total schwierig, einen einzelnen Song herauszupicken. Aber wenn es einer sein müsste, dann würde ich behaupten, dass "Darum lebe ich" von F.R. mich immer wieder krass berührt. Der Song spiegelt zwei Seiten von ein und derselben Emotion. Im ersten Part geht's darum, wie man den gesamten Tagesablauf eher negativ wahrnimmt – viele Kleinigkeiten laufen schief, die sich dann häufen und einen zusätzlich runterziehen. Man fühlt sich krass verstanden, weil jeder mal solche Tage hat, an denen schon das Aufstehen sagt: Heute wird richtig mies. Auch der Beat ist melancholisch, ziemlich zurückhaltend und unterstreicht die Erzählung unglaublich gut. In der Hook wird F.R. alias Fabian Römer dann aufbrausend und betont immer wieder, dass er dafür nicht lebt. Als würde er es sich richtig klarmachen wollen. Dann kommt eine kleine melodische Bridge, die eine Wende im Song und in der Stimmung erahnen lässt. Diese baut sich auf und man hat einen Moment, um die Erkenntnis zu verinnerlichen, nicht für die negativen Momente zu leben. Dann kommt eine Baseline, ein Drop, der in den zweiten Part einläutet – und plötzlich wird die ganze Stimmung positiv. Er erzählt von denselben Situationen, auch das Reimschema ähnelt dem ersten Part und die Handlungen sind dieselben, nur dieses Mal fasst er die ganzen Momente positiv und zufriedenstellend auf. Immer wenn ich den Song höre, wenn ich traurig bin, fühle ich mich unglaublich verstanden. Der erste Part hilft mir, mich dem Gefühl komplett hinzugeben, das ganze 45 Sekunden lang auszuleben und zu akzeptieren. Dann ändert sich auch mein Empfinden und mit dem Einstieg der Baseline in den zweiten Tag ist es wirklich, als hätte der ganze Song meine Probleme in Luft aufgelöst. Man weiß zu schätzen, was man hat, und sieht den Alltag nicht mehr so negativ an. Das ist etwas, was mich wirklich über Jahre hinweg durch negative Situationen gebracht hat und vermutlich auch noch in Zukunft durch schlechte Lebensphasen bringen wird. Jeder hat mit solchen Momenten zu kämpfen – und genau dann lege ich Rapfans genau diesen Song ans Herz.
Curse: Nas' "Halftime". Früher, als die "Yo! MTV Raps"-Folgen die beste und fast einzige Inputquelle für den heißen Scheiß aus den USA waren, hatte ich ein Problem: kein Kabelfernsehen. Ich habe mir also von Freunden immer ein ganzes VHS-Tape voll mit Sendungen aufnehmen lassen und mir dann alle paar Wochen in einer dreistündigen Intensivsession alles reingezogen. Ich hatte den Videorecorder mit selbst gebautem Kabel-Wirrwarr an ein Kassettendeck angeschlossen, sodass ich meine Favorites direkt aufnehmen und im Walkman auf dem Schulweg pumpen konnte. Wer jetzt noch nicht vor lauter Steinzeit-Jargon raus ist: gratuliere! In einer Folge war Fab 5 Freddy, quasi der Außenkorrespondent von "Yo! MTV Raps", zu Gast bei Ice-T. In der Eröffnungsszene fährt Fab 5 Freddy im Jeep vor und pumpt einen Song im Auto, der mich komplett weggehauen hat: Da hat jemand gerappt, so fresh und so anders, dass ich mindestens zehn Mal zurückgespult habe. Ich war fasziniert. Da nie gesagt wurde, wie der Song heißt und von wem er war, blieb ich die nächsten Monate komplett im Dunklen. Etwas Zeit vorgespult, ein paar gefüllte Videokassetten später: Auf einmal kommt ein düsteres Video, massiver Beat, harte Bassline und der Typ beginnt zu rappen – und es ist die Stimme aus Fab 5 Freddys Jeep. Und wie der Typ rappt, wie er delivert, so übermächtig-understatement, so klar und trotzdem mellow … Ich war schon immer größter Fan der lyrischen Rapper mit intensiver Stimme: Chuck D, Big Daddy Kane, Guru, Ice Cube, Paris – aber der Typ hat dem Ganzen die Krone aufgesetzt. Da die ersten Sekunden des Videos nicht auf der Kassette waren, musste ich bis zum Ende des Videos warten: Der Typ hieß Nas, der Song war "Halftime". Ich habe beide Seiten einer 90-Minuten-Kassette komplett mit diesem einen Song vollgespielt. Ich habe ihn immer, immer wieder gehört. Ich würde sagen, mindestens ein Jahr lang jeden Tag, mindestens zehn Mal. Das erste Nas-Album war dann – und ist es bis heute – für mich das beste Rap-Album aller Zeiten. Mit Nas und "Halftime" habe ich als 13-jähriger Rapper gefunden, wo es für mich hingehen soll: da lang!
(Anne Donohoe)
(Fotos von Schiko (Veedel Kaztro), Kidizinsane (Gerard), Jonas Kaltenkirchen (Weekend), Eda Vendetta (Crystal F), Robert Maschke (Olli Banjo), Ferhat Topal Photograph (BRKN), Robert Eikelpoth (Curse), Timo Imhoff (Moneymaxxx), Christian Hamann (Pimf), Christian Wasenmüller (ÉSMaticx), Grafik von Puffy Punchlines)