"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Der Disstrack. Die wichtigste Waffe eines Rappers im Beef mit einem Konkurrenten und – im Gegensatz zu Sticheleien in wahllosen Statements – dazu auch noch eine künstlerisch ansprechende. Der für mich (wie wahrscheinlich auch für viele andere) wohl prägendste und einprägsamste Disstrack resultierte aus dem Streit zwischen Kool Savas und Eko Fresh. Denn bis heute horcht deutscher Rap auf, wenn Savas "Das Urteil" spricht.
Der 2005 auf MZEE.com veröffentlichte Track wurde innerhalb weniger Tage über 100 000 Mal gedownloadet – und das nicht ohne Grund. Wo andere sich gelegentlich mal eine Beleidigung an den Kopf warfen, weil man die Musik eines Konkurrenten nicht leiden konnte, war Savas' Antwort auf Ekos "Abrechnung" deutlich mehr: eine persönliche Angelegenheit mit jede Menge Wut in der Stimme und soundtechnisch wie inhaltlich eine dramaturgische Glanzleistung. KKS widmete seinem einstigen Zögling ganze fünfeinhalb Minuten, die einen enormen Einfluss auf alles haben sollten, was danach folgen würde. Ob das Involvieren anderer Künstler, das Aufrollen der Karriere samt menschlicher wie künstlerischer Fehler oder das Beerdigen eines Doppelgängers im Video – was mittlerweile zu einem gelungenen Disstrack dazugehört, fand hier seinen Anfang. Und wer heutzutage in einem Live Battle bestimmte Zeilen von damals zitiert, der kann sich sicher sein, dass der Großteil der Crowd dazu in der Lage ist, jedes Wort mitzurappen. Doch obwohl es mir wie vermutlich vielen anderen geht und sich der gesamte Text schon vor Jahren Wort für Wort ins Gehirn gebrannt hat, kann man sich "Das Urteil" nach wie vor immer wieder anhören.
So ist und bleibt "Das Urteil" für viele der Inbegriff eines Disstracks. Denn egal, auf wessen Seite man stand, ob man den Beef danach als beendet ansah oder gar der Meinung war, Eko wäre damit vollends zerstört worden: Es gibt wohl niemanden, der nicht davon überzeugt ist, dass Savas die deutsche Battlekultur mit diesem Titel revolutionierte wie kein Zweiter.
(Daniel Fersch)