Kaum eine Szene hierzulande scheint so facettenreich zu sein wie die Deutschrapszene. Während es bereits jetzt schon fast unmöglich erscheint, jeden einzelnen, etablierten Vertreter zu kennen, steigt die Zahl neuer, noch unbekannter Künstler exponentiell weiter an. Den Überblick zu behalten, gleicht einer Herkulesaufgabe: Hat man sich ein Gesicht der HipHop-Hydra gemerkt, tauchen schon wieder mindestens zwei neue auf. Gleichzeitig ist es für unbekannte, junge Talente überaus schwer, aus der überwältigenden Masse an Musikern herauszutreten und sich einen Namen zu machen.
Beiden Seiten soll unser Soundcheck eine Hilfestellung bieten. Producern, die bisher noch in den Tiefen des Untergrunds untergegangen sind, eine Plattform geben, auf der sie sich kurz, aber prägnant präsentieren können. Und Hörern und Fans ermöglichen, sich einen schnellen Überblick über nennenswerte Künstler zu verschaffen, die sie bisher vielleicht noch gar nicht auf dem Schirm hatten.
MZEE.com: Du hast mal gesagt, dass HipHop für dich zunächst vor allem Breakdance und das Nachahmen von DJ-Cuts mit dem Tapedeck war. Hast du dich auch schon mal im Breaken oder einer anderen HipHop-Disziplin versucht?
Pawcut: Nun ja, es gibt einen legendären Auftritt einer NDW-Band namens Jugend Forscht Anfang der 80er, bei dem zwei Bekannte – die besagten "Tape DJs" – und ich zu Livemucke "Rapper's Delight" und Captain Sensible-Lyrics zum Besten gegeben haben. Malen und tanzen. Meinerseits gibt es keine lebenden Zeugen, aber ich bin übers DJing zum Producing gekommen.
MZEE.com: Wie und mit welchem Equipment entstanden damals deine ersten Beats? Und was verwendest du inzwischen?
Pawcut: Ich habe mit so einem alten, roten Korg-Sampler mit Step Sequencer angefangen, bin dann aber schnell – weil ich mit Workflow und Speicher nicht wirklich klarkam – zu Reason gekommen und habe sehr viel Loopdigger-Style mit Rex-Formaten gemacht. Zu der Zeit hab ich auch Classy Soul von Vinyl gesampelt – monophone, no Timestretch. Letztendlich bin ich bei Maschine gelandet, als die erste Version 2012 rauskam. Das kommt meiner chaotischen Arbeitsweise sehr entgegen – hundert Beats auf einmal in den verschiedensten Stadien über Monate reifen zu lassen und wieder zu verwerfen. Kreativität und Destruktivität gehen Hand in Hand hier. Viel ist Sandburgen bauen und wieder eintreten.
Seit 2012 mache ich eigentlich nichts anderes als irgendwas, das mit meiner Musik zu tun hat. Und ich habe coolerweise auch den ganzen Tag Zeit dazu. Diggen, Producing, Vocal Engineering, Mix und Master mache ich in der Regel alles selbst, auch wenn ich gern das Budget für 'nen Profi im Masterbereich hätte. Inzwischen entstammen die meisten meiner Samples irgendwelchen Lossless Rips, die ich mir aufstelle, indem ich das Netz durchforste – unromantisch, aber wahr. Dass ich wie jetzt gerade für ein 7-inch-Release mit einem alten Weggefährten eine Platte auf Discogs bestelle, kommt aber genauso vor. Kann aber eben auch sein, dass die Qualität bei Originalpressungen so schlecht ist, dass YouTube oder CD-Rip einfach besser klingen und ich das dann auch verwende. Gott schütze mich vor Falk Schachts berüchtigtem MP3-Detektor. Für alles, was nach dem Groovebox-Scetch kommt, verwende ich Ableton Live als DAW mit Waves, FabFilter, Oxford- und Voxengo-Plugs, als Keyboard das Komplete Kontrol von Native Instruments.
MZEE.com: Viele Produzenten haben ja das eine, ganz bestimmte Instrumental, welches für sie die persönliche Nummer eins ist. Welches ist in deinen Augen das beste Instrumental überhaupt, dass von einem anderen Produzenten stammt?
Pawcut: Da gibt es viele: Black Moons "Reality", Hi-Teks "The Blast" oder Lootpacks "Wanna Test" sind auf jeden Fall weit vorne mit dabei. Wenn ich mich für einen entscheiden müsste, wäre es Dillas "Players"-Beat, weil es der einzige ist, den ich mal als pure Audio geträumt habe – also nur die Musik geträumt. Das war ganz schön abgefahren.
MZEE.com: Und mit Blick auf deine eigene Diskografie? Welches ist der persönliche Favorit deiner eigenen Beats?
Pawcut: Ich habe keine Nummer eins. Es variiert und ist auch sehr situationsabhängig. Von den älteren Sachen feier' ich immer noch "N.O.I.R.E.", "Law Of Nature", "Cherry Blossoms", "Heaven" und "Bleed".
MZEE.com: Wovon lässt du dich beim Beatbauen inspirieren? Welche Einflüsse sorgen dafür, dass deine Beats klingen, wie sie klingen?
Pawcut: In erster Linie triggern mich die Samples. Die müssen einen bestimmten Vibe haben, der es erlaubt, dass alles am Ende emo – aber nicht corny – und schön dreckig klingt. Das Ganze soll etwas transportieren, das für mich im weitesten Sinne autobiografisch ist. Es soll nach Pawcut klingen. Da ich schon ein, zwei Tage auf diesem Planeten in auch etwas extremeren Situationen unterwegs bin, musste ich mir da bisher noch nichts wirklich aus den Fingern saugen. Die meisten meiner Tracks, die bisher auf Platte erschienen sind, haben konkrete Bezugspunkte zu Ereignissen in meinem Leben, sind aber – hoffe ich – so indirekt gehalten, dass jeder seinen eigenen Film fahren kann. Und natürlich entsteht das alles nicht im Vakuum, auch wenn ich zu dem, was man die Beatszene nennt, ziemlich disconnected bin und bewusst versuche, mich von Einflüssen wie dem, was gerade in der Boom bap- oder Lo-Fi-Szene angesagt oder in den "Trendcharts" ist, fernzuhalten, um meinen Scheiß pur zu halten. Die oben im Steckbrief genannten sind aber auf jeden Fall Einfluss und Inspiration. Speziell bei Madlib beispielsweise meine ich das nicht nur musikalisch, sondern auch dahingehend, sein eigenes Ding mit einer gesunden "Scheiß drauf"-Attitüde durchzuziehen und dabei bei sich zu bleiben.
(Daniel Fersch & Lukas Päckert)
(Grafiken von Puffy Punchlines, Logo von KL52)
(Fotos von crade.one)
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