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Interview

Captain Gips

"Manch­mal habe ich mir auch dar­über Gedan­ken gemacht, dass es mir eigent­lich voll gut geht und es nur an mir liegt, dass ich ken­ter'." – Cap­tain Gips im Inter­view über Down­pha­sen in sei­nem Leben, sein neu­es Album "Klar zum Ken­tern" und den Sexis­mus in der deut­schen Rapszene.

"Cap is back", heißt es nicht nur im neu­es­ten Video von Cap­tain Gips – der Ham­bur­ger ist tat­säch­lich wie­der auf Solo­pfa­den unter­wegs. Wäh­rend die Fans noch bis Anfang Sep­tem­ber auf sein neu­es Release "Klar zum Ken­tern" war­ten müs­sen, schießt Cap sich selbst ein paar Löcher ins eige­ne Boot. Grund genug für uns, nach­zu­fra­gen, war­um er das tut. Dabei spra­chen wir mit ihm außer­dem noch über sein Mit­wir­ken in der Band Neon­schwarz, den Ursprung sei­nes Künst­ler­na­mens und das Batt­le gegen die sexis­ti­schen Tei­le der Rap­sze­ne. Der Kahn füll­te sich lang­sam mit Was­ser, doch es blieb alle Zeit der Welt, um uns mit Gips zu unter­hal­ten, denn: Ein Kapi­tän ver­lässt bekannt­lich als Letz­ter das sin­ken­de Schiff.

MZEE​.com: Zwi­schen dei­nem letz­ten und dei­nem neu­en Solo­al­bum "Klar zum Ken­tern" lie­gen fast vier Jah­re. Gibt es – neben den bei­den Neonschwarz-​Alben – spe­zi­el­le Grün­de dafür, dass Gips-​Fans so lan­ge war­ten mussten?

Cap­tain Gips: Tat­säch­lich hängt das, wie du schon gesagt hast, haupt­säch­lich mit Neon­schwarz zusam­men. Das ist für uns eigent­lich immer noch Prio­ri­tät Num­mer eins. Es hat sehr viel Zeit in Anspruch genom­men, auch die Live-​Konzerte und alles drum her­um. Da hat­te ich dann erst mal kei­nen Kopf für Eige­nes. Ich hab' zwar ein paar Neben­pro­jek­te gemacht, irgend­wel­che Spaß­din­ger, aber … waren das wirk­lich vier Jah­re?! (lacht)

MZEE​.com: Ja, fast. Novem­ber 2013.

Cap­tain Gips: Krass. Joah, dann ist das so. Hab' ich nicht geplant, aber das hing eben schon mit Neon­schwarz zusam­men, da kamen ja dazwi­schen die bei­den Alben.

MZEE​.com: Gab es hin­sicht­lich des Char­t­ein­stiegs von Neon­schwarz auf Platz 81 die Über­le­gung, mit der Band direkt dar­an anzu­knüp­fen und die Solo­wer­ke erst mal hin­ten­an­zu­stel­len? Oder haben Chart­po­si­tio­nen und Co kei­ne Rele­vanz für dich?

Cap­tain Gips: Nee, so rich­tig rele­vant ist das nicht. Natür­lich war das irgend­wie geil, mal in den Charts ver­tre­ten zu sein, aber mehr war da auch nicht. Es war eher so, dass wir viel auf Tour waren. Da stand auch erst mal gar nicht an, neue Neonschwarz-​Songs zu machen. Trotz­dem haben wir auf Tour teil­wei­se schon an Solo­sa­chen geschrie­ben. John­ny bringt sein Album ja gleich­zei­tig mit mir raus. Das hat sich ein­fach so erge­ben, rich­tig geplant war das nicht. Wir haben ein­fach bei­de gesagt, wir wol­len mal wie­der ein Solo­al­bum machen. Außer­dem kann man allei­ne sehr per­sön­li­che Songs ein­fach viel bes­ser machen als in einer Band. Wenn man so depres­si­ve Sachen schreibt, wäh­rend die ande­ren gera­de nicht so eine Pha­se haben, dann ist's natür­lich schwer, zusam­men 'nen Song drü­ber zu machen. Aller­dings könn­ten wir uns so lang­sam auch mal wie­der was für Neon­schwarz über­le­gen, aber da tüf­teln wir noch ein biss­chen im Hintergrund.

MZEE​.com: Arbei­test du ger­ne in der Grup­pe, wo jeder sei­nen Bei­trag leis­tet und man sich die Ver­ant­wor­tung teilt? Oder machst du dei­ne Musik lie­ber allei­ne und triffst dafür auch alle Ent­schei­dun­gen selbst?

Cap­tain Gips: Ich fin­de bei­des total span­nend. Genau das war viel­leicht auch ein Grund, mal wie­der ein Solo­al­bum zu machen. Ein­fach kom­plett allein zu ent­schei­den. In unse­rer Band, bei vier Leu­ten mit vier ver­schie­de­nen Geschmä­ckern, muss man schon mal Kom­pro­mis­se machen. Es hat aber auch was für sich. Denn es ist natür­lich geil, wenn man nur 16 Bars schrei­ben muss. (lacht) Aber nee, es macht natür­lich auch voll Spaß, sich im Stu­dio dann zu viert zusam­men­zu­set­zen. Mein Album hab' ich aber kom­plett allei­ne auf­ge­nom­men, bei mir zu Hau­se in der Booth. Ich hab' mir da ein klei­nes Stu­dio gebaut. Und es war total cool, das ein­fach genau­so auf­zu­neh­men, wie ich das woll­te. Ich kann mir also gut vor­stel­len, das wei­ter so im Wech­sel zu handhaben.

MZEE​.com: Eini­ge dei­ner und eurer Alben wie "Flie­gen­de Fische", "20.000 Mei­len unter dem Yeah" und nun auch "Klar zum Ken­tern" haben einen nau­ti­schen Bezug im Titel. Bist du Fan vom Leben auf hoher See?

Cap­tain Gips: (lacht) Ja, also ich muss sagen, ich bin tat­säch­lich sehr ger­ne am Meer. Außer­dem bin ich halt in Ham­burg auf­ge­wach­sen und hab' dadurch schon einen Bezug zu Was­ser und Schif­fen und sowas. Aber es ist auch so ein biss­chen der Sty­le­fak­tor: Ham­burg und das Nor­di­sche pas­sen natür­lich auch zu mei­nem Namen.

MZEE​.com: Da du dei­nen Namen gera­de ansprichst: Ich hab' gehört, dass du dich in Geden­ken an jeman­den aus dei­ner Ver­gan­gen­heit "Cap­tain Gips" genannt hast. Gibt es also einen ech­ten Cap­tain Gips?

Cap­tain Gips: Ja, das stimmt. Ich bin in einem Vor­ort von Ham­burg auf­ge­wach­sen und da war einer, der hing immer am Bahn­hof, der hat auf so einem ganz klei­nen Boot gewohnt. Des­halb kann man auch nicht direkt sagen, dass er obdach­los war, aber das war halt nur so ein klei­nes Ruder­boot. Der saß immer am Bahn­hof und hat getrun­ken und Leu­te bepö­belt. Die Men­schen moch­ten den natür­lich alle nicht, weil er sie stör­te und manch­mal auch ein biss­chen ner­vig war – aber für uns Jugend­li­che war das ein­fach immer so 'ne Legen­de. Wir fan­den das wit­zig und haben da am Bahn­hof auch was getrun­ken. Irgend­wann ist er gestor­ben und wir hat­ten den Ein­druck, dass die Leu­te eher froh waren, dass der jetzt weg war. Und das hat mich irgend­wie geär­gert. Weil's ja trotz­dem ein Mensch ist, aus unse­rem Vier­tel. Dar­um habe ich dann gesagt: "Okay, ich über­neh­me das und tre­te das Erbe an." Und so kam es dann, dass ich mich nach ihm benannt hab', weil man dann natür­lich auch selbst immer so ein biss­chen rum­pö­beln kann. (lacht)

MZEE​.com: So sorgt man dann ja auch dafür, dass jemand nicht in Ver­ges­sen­heit gerät.

Cap­tain Gips: Ja, genau! Die Leu­te, die aus mei­ner Gegend kom­men, ken­nen den halt auch alle noch und für die ist das dann natür­lich cool. Wenn man das jetzt nicht wie du irgend­wo gehört hat, ver­steht man es auch eigent­lich gar nicht. Aber ich fin­de das immer geil, noch so 'nen Bezug zu sei­ner Gegend und Ver­gan­gen­heit zu haben.

MZEE​.com: Beschäf­tigt dich sowas auch? Die Angst, irgend­wann mal in Ver­ges­sen­heit zu geraten?

Cap­tain Gips: Mit sowas hab' ich mich noch gar nicht wirk­lich aus­ein­an­der­ge­setzt. Es wird ja eh irgend­wann auto­ma­tisch so sein, glau­be ich. Aber das beschäf­tigt mich nicht wirk­lich, nee.

MZEE​.com: Gera­de wenn man Musik macht, wird man ver­mut­lich eh noch län­ger in den Köp­fen der Men­schen ver­an­kert sein.

Cap­tain Gips: Klar, das stimmt. Aber irgend­wann hört man ja viel­leicht auf oder macht ande­re Sachen und dann fin­det man halt da statt.

MZEE​.com: Aktu­ell fin­det erst mal dein neu­es Album "Klar zum Ken­tern" statt. Kann man den Titel so ver­ste­hen, dass du "klar zum Ken­tern" bist, oder geht es eher dar­um, das Boot ande­rer ins Wan­ken zu bringen?

Cap­tain Gips: Also, der ers­te Gedan­ke war eigent­lich eher der, dass es um mich selbst geht. Man sieht ja auf dem Cover auch, wie ich mir selbst ins Boot schie­ße. Ich hat­te in den letz­ten Jah­ren ziem­lich depres­si­ve Pha­sen und das teil­wei­se in Songs ver­ar­bei­tet. Da geht's dann um die per­sön­li­che Kom­po­nen­te. Manch­mal habe ich mir auch dar­über Gedan­ken gemacht, dass es mir eigent­lich voll gut geht und es nur an mir liegt, dass ich ken­ter' – und dar­um schieß' ich mir auch selbst ins Boot. Aber natür­lich sieht es, wenn man sich auf der Welt umguckt, auch nicht gra­de rosig aus, zum Bei­spiel was Poli­tik und Umwelt angeht. Da ist also einer­seits die per­sön­li­che Kom­po­nen­te, mei­ne eige­nen Depres­sio­nen, ande­rer­seits kann man die­ses Ken­tern aber auch sehr gut auf die Gesell­schaft oder Lage der Welt beziehen.

MZEE​.com: Wenn das eige­ne Boot ken­tert, kann man damit auch eher schlecht gegen das poli­ti­sche Schiff von rechts, das gera­de wie­der Fahrt auf­nimmt, anse­geln. Muss man sich dann eher dar­um bemü­hen, die­se Schif­fe zum Sin­ken zu bringen?

Cap­tain Gips: Das wäre natür­lich schön, ja. Auf der Plat­te gibt es auch so eine gewis­se "Manch­mal ist alles aussichtslos"-Stimmung. Man kommt sich teil­wei­se vor wie irgend­wel­che Gal­li­er gegen die Römer. So 'ne klei­ne Min­der­heit. Aber mir geht's nicht nur um die Rech­ten! Allein schon, wie vie­le ver­rück­te Män­ner in der Welt gera­de an der Macht sind – wie Erdo­gan, Putin und Trump an vor­ders­ter Front, das ist natür­lich beängstigend.

MZEE​.com: Kann der Ein­zel­ne gegen die­se Leu­te denn über­haupt etwas ausrichten?

Cap­tain Gips: Das ist natür­lich schwie­rig. Man kann in sei­nem Umfeld ver­su­chen, Leu­te zu über­zeu­gen, auch in die­se Rich­tung zu den­ken. Aber was sol­len wir schon gegen Trump oder Erdo­gan machen? Man kann zum Bei­spiel ver­su­chen, die frei­heit­li­chen kur­di­schen Kräf­te zu unter­stüt­zen oder so, um da indi­rekt was zu bewir­ken, aber all­ge­mein ist die Sache natür­lich ziem­lich aussichtslos.

MZEE​.com: Siehst du auch bei Künst­lern eine gewis­se Ver­ant­wor­tung? Soll­ten sich etwa Rap­per dar­um bemü­hen, ihre Hörer zumin­dest in eine rich­ti­ge Rich­tung zu weisen?

Cap­tain Gips: "Ver­ant­wor­tung" fin­de ich da ein wenig zu for­dernd und über­trie­ben. Ich mag auch Rap­per, die unpo­li­tisch sind und lus­ti­ge Sachen machen. Da ist dann eher die Fra­ge, wie sehr einen das per­sön­lich beschäf­tigt und inwie­weit man sich damit aus­ein­an­der­set­zen möch­te. Ich sehe mich selbst jetzt auch nicht als poli­ti­schen Rap­per, son­dern eher als jeman­den, der per­sön­lich dar­an sehr inter­es­siert ist und des­halb dar­über schreibt. Aber ich wür­de es nie­man­dem vor­wer­fen, wenn er das eben nicht macht.

MZEE​.com: So ganz ein­ver­stan­den bist du mit dem, was im deut­schen Rap aktu­ell pas­siert, aber auch nicht. Auf "Cap is back" bezeich­nest du die Sze­ne sogar als Quel­le für reich­lich Fremd­scham – wor­an machst du das fest?

Cap­tain Gips: Dazu muss ich erst mal sagen, dass der Song fast schon ein biss­chen spät kommt. (lacht) Denn es ist eigent­lich schon viel bes­ser gewor­den in den letz­ten Jah­ren. Es gibt da so vie­le coo­le Rap­per, zum Bei­spiel einen Mar­te­ria oder einen Veedel Kaz­t­ro, Fato­ni, Audio88 – wirk­lich rich­tig gute Leu­te, bei denen ich über­haupt kei­ne Fremd­scham ver­spü­re, son­dern die ich rich­tig abfeie­re. Aber ich hat­te mal eine Zeit lang das Gefühl, dass die Charts nur noch voll mit irgend­wel­chen sexis­ti­schen Sachen, Gangs­ter­kram und frau­en­ver­ach­ten­dem Zeug waren. Das war es eigent­lich, wor­auf ich mich damals haupt­säch­lich bezog. Das fin­de ich aber auch heu­te noch zu stark ver­tre­ten und tole­riert. Nach dem Mot­to: "Is' ja nur Rap, der kann ruhig über Ver­ge­wal­ti­gung reden oder davon, dass dei­ne Freun­din nach sei­nem Schwanz schmeckt". Eini­ge von denen sind so gute Rap­per, die hät­ten das gar nicht nötig, sol­che Zei­len zu benut­zen. Die sind auch so geil. Ich fin­de das manch­mal echt beängs­ti­gend, wie vie­le jun­ge Leu­te – ich arbei­te ja als Sozi­al­päd­ago­ge – sich so 'ne Schei­ße anhö­ren und wie denen dann ins Gehirn gepflanzt wird, wie man mit Frau­en umzu­ge­hen hat oder wie Män­ner so sein müs­sen. Viel­leicht kön­nen das vie­le auch unter­schei­den, aber manch­mal habe ich da so mei­ne Beden­ken, dass sie das eben nicht können.

MZEE​.com: Gegen frau­en­ver­ach­ten­de Inhal­te posi­tio­nierst du dich im Video zu "Cap is back" samt Glit­ter und Lip­pen­stift auch deut­lich. Geht es dir dabei dar­um, die Inter­pre­ten oder deren Fans zum Um- oder Nach­den­ken anzuregen?

Cap­tain Gips: Ich weiß gar nicht, ob die mich so wahr­neh­men. Im Prin­zip ist es ein­fach so eine Art Batt­le­track. Ich gegen die. Und so, wie die über uns sagen, wir wären schwul oder Poli­tik hät­te mit Rap nichts zu tun, sind wir eben die ande­re Sei­te, die gegen die batt­let. Man kann das also durch­aus auf einer sport­li­chen Ebe­ne sehen. Den­noch regt es mich natür­lich auf und dar­um schrei­be ich auch darüber.

MZEE​.com: Auf "Cap is back" rappst du aber auch: "Ges­tern fand ich Rap noch pein­lich, heu­te ist ein neu­er Tag." Gibt es also irgend­wo doch noch Hoff­nung für die Szene?

Cap­tain Gips: (lacht) Ja, wie eben gesagt, gibt es jetzt schon echt gute Rap­per. Und letzt­lich ist das alles natür­lich auch ein Stück weit über­spitzt und über­zo­gen von mir. Ich glau­be, es wird immer bes­ser. Es wird zwar immer auch die­se ande­re Schie­ne geben, aber genau­so wird es Leu­te geben, die dage­gen wet­tern – und das ist eine sehr gute Ent­wick­lung. Auch bei den Stra­ßen­sa­chen. Ich höre mir das ja auch mal an und fin­de dann man­che Zei­len doof, wenn sie ein gewis­ses Frau­en­bild ver­mit­teln. Aber was Deutsch­land angeht, ist vor allem tech­nisch alles so viel bes­ser gewor­den in den letz­ten zehn Jah­ren. Ich fin­de es teil­wei­se echt scha­de, dass ich es nicht so sehr abfei­ern kann, obwohl ich die Beats und Tech­nik so gut fin­de – ein­fach, weil die so eine sexis­ti­sche Schei­ße labern.

(Dani­el Fersch)
(Fotos von Mal­te Schmidt)