"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
"Als wär' das hier mein erster und mein letzter Track …" – eine Zeile, die das Lebenswerk von Kool Savas so passend, eingängig und beständig beschreibt wie kaum eine andere. Die aggressive, treibende Ader, gepaart mit einer herrlich rotzigen Attitüde: Dafür steht seine "Aura" seit jeher. Dies gilt für jeden noch so kleinen Part – und besonders für sein gleichnamiges Album.
Heute bezeichnen viele "Der beste Tag meines Lebens" als Savas' Opus Magnum. Und ja: Das erste Solo-Album des Berliners wird in der Retrospektive als richtungsweisend für eine ganze Generation aufstrebender Rapper gesehen. Doch sein stringentestes und in meinen Augen bestes Werk schrieb er erst neun Jahre später. Mit "Aura" lieferte Essah im Jahre 2011 nicht nur ein Konzeptalbum allererster Güte ab, sondern gleichzeitig auch eine Art Statement. Er brauchte lediglich 35 Minuten, um allen klarzumachen, was ihn und seinen Werdegang ausmacht. Von der Akzeptanz eigener Unzulänglichkeiten bis hin zum Kampf um die Rap-Krone: Savas' Liebe zu Rap und der HipHop-Kultur triefte quasi aus jeder Silbe. Und genau das war es, was mich an dem Werk so begeisterte. Denn die Leidenschaft, die man schon im "Intro" regelrecht spüren konnte, lässt mich auch heute noch über die häufig gehetzte Vortragsweise und diverse textliche Mängel hinwegsehen. Oder um es mit Savas' Worten auszudrücken: "Sowas passiert wie Tomaten."
Lines wie diese ringen dem geneigten Rap-Hörer mittlerweile nicht viel mehr als ein mitleidiges Lächeln ab. Auch ich kann mit den jüngsten Veröffentlichungen von KKS leider eher wenig anfangen. Auf "Aura" schaffte es Kool Savas jedoch, die kleinen textlichen Aussetzer mit der durch und durch epochalen Inszenierung seines Werks zu überspielen. Damit lieferte er gleichzeitig "die Antwort auf die Frage: 'Wer ist fresh?' – S!" Für diese Konstanz, mit der er bis heute nie von seinem Stil abgewichen ist, kann er sich meines Respekts jedenfalls sicher sein. Denn der selbst ernannte King ist vor allem eines: "Lieber toter Rapper als lebender Singer-Songwriter."
(Sven Aumiller)