Credibil
Von einem Facebook-Post von Kool Savas über einen Splash!-Auftritt hin zum Debütalbum: Credibil aus Frankfurt ist mittlerweile fest in der Deutschrapszene angekommen. Dafür hat er sich Zeit gelassen – sein Erstlingswerk "Renæssance" ist kein Schnellschuss geworden, sondern ein fein ausgearbeitetes, strukturiertes und sehr persönliches Konzeptalbum, das sowohl bei Fans als auch bei Journalisten für einige Begeisterungsstürme gesorgt hat. Eine Weile nach dem Release der neuen Platte haben wir mit Credibil über seine sehr ambitionierten Ziele mit der Musik, seinen persönlichen Superhelden und die politische Verantwortung von Rappern gesprochen.
MZEE.com: Die erste Aufmerksamkeit innerhalb der deutschen Rapszene hast du mit Tracks anderer Rapper, die du auf deine Art und Weise verändert hast, auf dich gezogen. Damals gab es noch eine große Distanz zwischen dem Künstler Credibil und der Privatperson Erol. Dein aktuelles und erstes Album "Renaessance" ist eine sehr persönliche Platte geworden, die viel über dich verrät. Wie fühlt es sich mittlerweile an, so viel auf deinem Debütalbum von dir preisgegeben zu haben?
Credibil: Für mich war meine Musik eigentlich immer persönlich. Ich hab' aber schon irgendwann herausgefunden, worauf es ankommt. Dass man zum Beispiel im Detail über etwas erzählt, damit die Leute das Ganze besser erfassen können, als wenn ich über ein Thema nur so "daherfloskel". Mikis (Fontagnier von der Famefabrik, Anm. d. Red) meinte mal zu mir: "Bist du schon bereit dafür, rauszugehen und diese Sachen zu erzählen? Bist du dir darüber bewusst, dass die Leute ganz genau wissen, wer du bist – wenn du zum Beispiel über deinen Vater redest? Dass die Leute, die deine Musik hören, mehr von dir wissen als du von ihnen?" Das war schon ein bisschen merkwürdig, wenn man auf Leute trifft, die bestimmte Textzeilen feiern oder Momente, die ich erlebt habe und in meiner Musik wiedergebe. Dass die so viel von mir wissen und ich gar nicht weiß, was sie so treiben. Es gab auch mal einen sehr unangenehmen Moment. Ich bin mit meinen Jungs auf dem Weg in ein Café gewesen, als ich von weitem einen 40-jährigen Mann gehört hab', der sich über sein Leben beschwert hat. Er sehe seine Kinder kaum, komme immer spät nach Hause … Und genau in dem Moment komm' ich nah genug, dass er mich erkennt und er sagt: "Und ich hör' seine Musik!" Und dann steht da ein 40-Jähriger vor mir und sagt mir, dass er "Augenblick" und das Album sehr feiert. Das war mir schon unangenehm, weil wir in so verschiedenen Welten leben. Im Normalfall würde ich nie auf diesen Menschen treffen und mit ihm ein Ereignis teilen.
MZEE.com: Das kann doch aber auch eine schöne Erfahrung sein.
Credibil: Klar. Dass es viele schöne Erfahrungen gibt, brauchen wir gar nicht zu bereden. Aber dass es auch diese kleine Kehrseite gibt, hätte ich so nicht gedacht. Dass ich mich nicht mit diesem Mann unterhalten kann, weil es mir zu persönlich ist und ich ihn schon als Fremden sehe. Dieser Mann ist 40 Jahre alt, hat wahrscheinlich Kinder, eine Frau, ist Lehrer oder so – er ist mir fremder als irgendein HipHop-Head auf dem Splash!, der sagt: "Digga, ich fühl' das!" Denn das kenn' ich ja schon, das ist mir nicht so fremd. Ich kann mir aber nicht aussuchen, wer meine Musik hört und wer nicht …
MZEE.com: Wenn du sagst, dass dir das unangenehm ist – würdest du manche Songs im Nachhinein gerne ändern oder alles genauso stehen lassen, wie du es erzählt hast?
Credibil: Leider kann ich mir nicht aussuchen, was ich immer so treibe. Das geht immer nach meiner Laune. Und diese Laune kann ich nicht lenken. Wenn ich Lust habe, einen persönlichen Song zu schreiben, dann schreib' ich einen persönlichen Song. Wenn ich einen Floskel-Track machen will, dann mach' ich einen Floskel-Track oder einen metaphorischen. Es kommt, wie es kommt.
MZEE.com: Wie lange hast du dann darüber nachgedacht, so eine persönliche Platte zu machen, nachdem Mikis dich "vorgewarnt" hatte?
Credibil: Nicht lange. (lacht) Ich hatte das ja bereits aufgenommen, da war es schon zu spät. Ich wollte das Album eigentlich direkt nach dem "Deutschen Demotape" rausbringen. Auf dem Demotape war ursprünglich schon der Track "Schlaflos" drauf. Aber als ich Mikis die Songs vorgespielt habe, meinte er: "Das sind noch nicht die Songs, die wir rausbringen sollten." "Schlaflos" ist dann die erste Auskopplung von der "Molokopf"-EP geworden. So war das auch mit dem Album. Da haben wir wieder den richtigen Zeitpunkt abgewartet, an dem ich mich dazu imstande gefühlt habe, es rauszubringen.
MZEE.com: Du sagst, dass du auf deinem Album den Superhelden "Credibil" über die Person dahinter sprechen lässt. Hat es das für dich einfacher gemacht, über deine intimen Gedanken zu sprechen? Was ist sonst der Grund für diese "Abgrenzung"?
Credibil: Natürlich macht es das einfacher. Selbst, wenn Credibil irgendwann nicht mehr rappen sollte oder ihm Dinge passieren, die nicht so schön sind, schütze ich Erol (Credibils bürgerlicher Name, Anm. d. Red) dahinter. So kann der Hauptgenerator nicht mit einem Virus befallen werden. Credibil ist eine öffentliche Person. Ich gebe als Erol ein Okay dafür, was ich von mir selbst durch Credibil preisgebe. Alles, was Credibil tut, besteht aus der Figur hinter Credibil und ist real. Trotzdem ziehe ich eine klare Grenze zwischen meiner Privatperson und Credibil als Rapper. Privat habe ich auch mal Streit mit meiner Freundin oder zu Hause, ich komme in missliche Situationen – aber ich würde das ungern als Credibil sein. Ich bin mal traurig, bin mal wütend – aber ich möchte für die Leute draußen einen Superhelden erschaffen, an den sie glauben können. Der für etwas Gutes steht, der keine negativen Eigenschaften hat. Mit Credibil blende ich die schlechten Eigenschaften von Erol aus. Es ist wie eine Maske, die ich mir aufsetze. Außerdem hab' ich mir selbst Credibil als Superhelden erschaffen in dem Glauben, dass er ein guter Mensch sein kann: Als eine Annäherung an die Perfektion. Ich als Erol kann Fehler machen, aber Credibil will ich das nicht machen lassen. Er soll der Gute zwischen den Bösen sein. Daran will ich jedenfalls glauben.
MZEE.com: Du rappst auf "Toter Winkel": "Ich schreib' von Erol und der Zukunftsangst". Spielt diese Angst auch jetzt noch eine Rolle für dich, weil du alles auf die eine Karte "Rap" setzt? Hast du Angst davor, dass alles schnell wieder vorbei sein kann und du vor dem "Nichts" stehst?
Credibil: Das auch, ja. Vor einem Nichts werde ich nicht stehen. Das kann, glaube ich, nicht passieren. Dafür ist jetzt schon zu viel passiert. Meine Zukunftsangst, wenn es um Rap geht, bezieht sich darauf, ob ich meinen Fußabdruck setzen kann. Wobei ich auch da sagen muss: Es ist schon mehr passiert, als jedem anderen jungen Kerl in Deutschland passieren könnte. Aber klar: Ich denke auch über die fehlende Monatsmiete nach – über die Schulden meiner Mutter, die ich bezahlen will. Die Zeile kann man natürlich zweideutig interpretieren. Ich hab' in jederlei Hinsicht Zukunftsangst.
MZEE.com: Die Acapella-Parts am Ende vieler Songs stechen heraus. Wie kam es zu der Entscheidung, die Musik dadurch immer wieder zu unterbrechen? Und was ist die genaue Bedeutung der Acapellas – was sollen sie bewirken?
Credibil: Ich wollte eine zweite Ebene für mein Album erschaffen. So ähnlich, wie es Kendrick Lamar mit "good kid, m.A.A.d city" gemacht hat. Es sollte themenbezogen einen roten Faden geben, nicht nur im Beat- oder Soundkonzept. Wie in einem Spielfilm. Es sollte etwas neben den Songs passieren. Mein Album soll ja ein Theaterstück darstellen – die Acapellas gehören dazu. Sie bringen den Hörer auf die zweite Ebene zurück und unterstreichen den roten Faden. Man merkt, dass es kein Wirrwarr ist, dem man da zuhört. Nachdem der Beat ausklingt, ist man wieder auf der Theaterbühne und wird thematisch von Song A zu Song B geschickt.
MZEE.com: Du hast dein Album in drei Akte unterteilt. Erzähl doch einmal, wofür jeder dieser Akte steht.
Credibil: Der erste Akt befasst sich mit meiner Vergangenheit und heißt "Familie". Ich erzähle von meiner Mutter, meinem Vater und meinem Stiefvater. Bei "Risiken & Nebenwirkungen" geht es um Aufopferung, bei "Augenblick" geht es um Schmerz, bei "Sandform" um meine Kindheit. Der zweite Akt dreht sich um Frankfurt und ist aufgebaut wie eine Pyramide, die auf dem Kopf steht. In "Druckluft" beschreibe ich die Stadt, in "Toter Winkel" das Viertel und in "Bang Bang" den einzelnen Menschen im Viertel. Der dritte Akt nennt sich "Hass/Liebe" und befasst sich mit meinen Träumen und meinen Wünschen. Die Songs erzählen auch von der Hassliebe zur Musik. Die Inspiration, mein Album so aufzuteilen, stammt übrigens vom Film "Barton Fink". Ich wollte mein Album so strukturiert haben, dass die Leute sich an die Gefühle erinnern, die sie beim Hören einer bestimmten Stelle hatten.
MZEE.com: Wieso, glaubst du, machen so wenige Rapper in Deutschland Konzeptalben nach dieser Art?
Credibil: Ich glaube, weil sie auf ihrem Weg zu sehr auf die Füße der anderen sehen. Vielleicht haben sie Angst, vielleicht haben sie auch einfach keinen Bock. Sie haben möglicherweise aber auch nicht dasselbe Ziel wie ich. Ich möchte, dass die Leute in zehn Jahren über meine Alben als Kunst reden. Ich möchte den Pulitzer-Preis. Ich möchte, dass meine Songs an Schulen im Deutsch-Unterricht behandelt werden. Ich will ganz woanders hin. Ich hätte auch die etwas einfacheren Songs des Albums als Single auskoppeln, das ganze Konzept runterschrauben und die Acapellas rausschmeißen können. Es wäre dasselbe Album minimiert – leichtere Kost. Vielleicht würde ich ein, zwei Alben mehr oder weniger verkaufen, wer weiß. Aber ich bin mir dessen bewusst, dass ich schwere Kost gemacht habe, und das Feedback, das ich bekommen habe, gibt mir Recht. Außer euch hat ja fast jeder gesagt: "Das ist das beste Album, das wir seit zehn Jahren gehört haben."
MZEE.com: Würdest du dir denn mehr Konzeptalben in Deutschland wünschen?
Credibil: Nein. Ich weiß echt nicht, ob ich das überhaupt hören wollen würde. Ich mache es gerne, aber ich höre auch den ganzen Tag Haftbefehl, weil's einfach gut und befreiend ist. Meine Freunde hören alle Farid und Kollegah, ich kann das schon nachvollziehen. Was ich gemacht habe, ist schwere Kost – manche hören das auch den ganzen Tag. Das ist auch schwerer zu vermarkten – ich kann schon verstehen, warum man diese Mucke nicht machen will. Ich will manchmal auch nur auf die Kacke hauen. Vielleicht mach' ich ja noch ein Aka und zerleg' die ganze Deutschrapszene. (lacht)
MZEE.com: Was für Alben haben dich denn bei der Entstehung von "Renæssance"
inspiriert? "So schön hässlich" erinnert ja zum Beispiel an "Schwarz zu Blau" von Peter Fox …
Credibil: Ja, klar. "Stadtaffe" ist ganz große Kunst und hat mich auf jeden Fall inspiriert – das ist auch ein Konzeptalbum vom Sound und vom Inhalt her, auch wenn es keine große Geschichte erzählt. Da kann keiner was dagegen sagen. Marteria hat mich die letzten zwei, drei Jahre auch sehr stark beeinflusst.
MZEE.com: Zusätzlich wurde zum Album noch ein Buch auf iTunes veröffentlicht. Wie kamst du auf die Idee? Reichte das Album nicht aus, um alles zu sagen?
Credibil: Mir reichte das Album schon, aber meinem Vertrieb nicht. (lacht) Ich seh' darin aber ein gutes Medium: Wer mehr Futter braucht, findet es im Buch. Das war dann einfach ein cooles Gimmick, dass Mikis die Geschichte erzählt, wie er diesen Superhelden getroffen hat. Das beruht ja auch auf wahren Begebenheiten und hat auf jeden Fall Spaß gemacht, das zu lesen.
MZEE.com: Politik spielt in deinen Texten auch eine Rolle – nach dem Horror von Paris hast du direkt auf deinen Track "Toter Winkel" verwiesen. Wie siehst du die Lage in Deutschland beziehungsweise Europa? Hast du Angst, dass sich hier etwas in die falsche Richtung entwickelt?
Credibil: Ich sehe vor allem ein großes Problem darin, dass sich rechtes Gedankengut verbreitet – sowohl bei Deutschen als auch bei Ausländern. Klar ist, dass dieser Terror, der dort passiert ist, nichts mit Muslimen und dem Islam zu tun hat und auch nicht mit den EU-Bürgern.
MZEE.com: Siehst du dich in der Pflicht, etwas dagegen zu tun? Glaubst du, dass Rap sich allgemein in dieser Frage politisch mehr und differenzierter positionieren muss?
Credibil: Erst mal hat jeder die Möglichkeit, etwas zu tun. Meine Freunde versuchen auch etwas zu tun, auch wenn sie keine 30 000 Likes bei Facebook haben. Ich würde immer versuchen, mit Hand und Fuß zu helfen. Man darf sich nicht darauf ausruhen, Rapper zu sein und einen Post zu machen. Das finde ich scheinheilig, das ist viel zu wenig. Es ist wichtig, dass man etwas sagt, dass man sich positioniert. Aber es ist viel wichtiger, etwas zu tun – und zwar nicht als Promo-Move. Man sollte die öffentliche Strahlkraft nutzen, dann aber auch etwas machen und sich nicht die Tapferkeitsmedaille umhängen – das Ganze ist für mich eine Selbstverständlichkeit.
MZEE.com: Hast du jetzt schon Pläne für dein nächstes Release? Wird es vielleicht sogar eine Fortführung des ersten "Theaterstücks" "Renæssance"? Nach der Renaissance kam ja der Barock …
Credibil: Keine Ahnung. Ich denke jeden Tag über das nächste Release nach, aber noch ist nichts entschieden. Auf jeden Fall wird es kein stinknormales Album. Ich hab' Bock, die Geschichte einfacher zu verpacken. Vielleicht hab' ich Lust, die Geschichte von jemand anderem zu erzählen, vielleicht, meine Geschichte weiter zu erzählen. Vielleicht ist meine Geschichte auch die von jemand anderem, das weiß ich auch nicht. (lacht) Das ist alles sehr weit hinten drin in meinem Kopf. Vielleicht gibt es auch eine Fortsetzung, ich weiß es noch nicht. Oder ich weiß es und es ist mir noch nicht eingefallen …
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Mikis Fontagnier)