"Okay – was habe ich verpasst?" Eine Frage, der wohl jeder von uns schon mal begegnet ist. Egal, ob man sie selbst gestellt hat oder mit ihr konfrontiert wurde. Manchmal kommt einfach der Zeitpunkt, an dem man sich vor allem eines wünscht: "Bringt mich doch mal auf den neuesten Stand!" Doch wie antwortet man darauf? Was hält man für besonders erwähnenswert? Es ist schwer, eine kurze, aber vollständige Antwort darauf zu finden. Wie misst man überhaupt Relevanz? An medialem Hype? Am Überraschungsfaktor? Oder doch an dem musikalischen Anspruch? In "Hört, hört!" geht es um das alles, reduziert auf zwei Veröffentlichungen. Ein Release, das vor allem im Untergrund auf Zuspruch gestoßen ist, und eines, das in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Zwei Werke, die wir nicht unbedingt gut finden müssen, aber eine gewisse Relevanz oder eine Bedeutung jeglicher Art für die hiesige Raplandschaft besitzen. Zwei Werke, die am Ende des Monats vor allem eines aussagen: "Hört, hört! Genau das habt ihr verpasst!"
Fatoni & Dexter – Yo, Picasso
Es ist immer schön, wenn sich zwei Menschen finden, die wirklich zusammen passen. Das gilt nicht nur für zwischenmenschliche Beziehungen – auch in der Musik ist es eine Freude zu sehen, wenn ein Paar miteinander harmoniert. Jüngstes Paradebeispiel hierfür sind Fatoni & Dexter, die mit "Yo, Picasso" ein – zumindest für mich – überraschendes Album ablieferten.
Natürlich kennt man Fatoni schon aufgrund einiger EPs und auch Dexter ist nicht erst seit seinen Gold- und Platinproduktionen für Cro in der Szene bekannt wie ein bunter Hund. Dennoch brauchte es ihre Symbiose auf dieser Platte, um mir beide erst richtig näherzubringen. Denn auf den über jeden Zweifel erhabenen Beats des Stuttgarters gehen die aberwitzigen Texte Fatonis erst richtig auf. Jeder von Dexters Produktionen hört man die Liebe zum Detail an. Aus reichlich Samples zwischen Jazz und Soul baut der Producer ein überaus organisches und lebendiges Klangbild. Auf diesem Kopfnicker fördernden Gerüst bringt Fatoni optimal seinen individuellen Rapstyle unter, der neben eigenwilligen Flowvariationen auch reichlich übertriebene Adlibs für den Hörer bereithält. Doch seine überschwängliche Art zu rappen scheint sich trotzdem nie aufzudrängen oder peinlich zu werden. Vielmehr passt jede noch so verrückte Wendung in den Raps zu seinen (selbst-)ironischen Lyrics. Fatoni hält in seinen Texten nicht nur der Gesellschaft den Spiegel vor – er erkennt auch sich selbst darin. Dann zerschmettert er besagten Spiegel, bis nur noch ein Zerrbild übrig bleibt, welches aber der Wahrheit näher scheint, als man sich eingestehen will. Genau hier liegt die Kunst von "Yo, Picasso".
Beats und Sprechgesang sind somit in ihrer Aus- und Zusammenführung ziemlich einzigartig, weshalb "Yo, Picasso" wirklich von jedem Rapfan eine Chance verdient. Man mag sich angesichts dieses Artikels streiten, ob Dexter & Fatoni wirklich noch Untergrund sind. Attitüde und Herangehensweise des Duos sprechen jedenfalls dafür. Für all diejenigen, die der Platte noch ausweichen, sage ich es deshalb zum Schluss ganz unverblümt: Hört Euch "Yo, Picasso" an!
(Florian Peking)
Alligatoah – Musik ist keine Lösung
Eines der Probleme von Drogen ist ja, dass man nur schwer wieder von ihnen loskommt. Und so geschieht es, dass auch zwei Jahre, nachdem halb Deutschland mit Alligatoah den Bach runterging, viele noch nicht genug vom Trailerpark-Szenestar haben. Zeit für kalten Entzug, denn "Musik ist keine Lösung".
Was für wunderbare Ansätze Musik aber bieten kann, um Probleme aufzuzeigen, beweist Alligatoah uns selbst ein ums andere Mal. Von der meist unzulänglich informierten Systemkritik ("Wie bitte") bis hin zum steten Beharren auf den Rechtsstaat ("Vor Gericht") werden eigentlich alle typisch deutschen Gepflogenheiten durch den Kakao gezogen – stets ironisch, aber treffend verpackt. Dabei schafft "Musik ist keine Lösung" eine schier einzigartige Gratwanderung: Die Kombination aus Ohrwurmhooks straight outta Schrebergarten, die zum Mitgröhlen nur so einladen, und clever gerappten Szenarien, die mit einzigartiger Kreativität präsentiert werden. Langeweile kommt so zu keiner Zeit auf, man wird eher von einem musikalische Extrem ins nächste getrieben. Dass Alligatoah dabei mehr denn je mit Pop anbandelt, stört nur selten, weil alles extrem harmonisch und schlichtweg ausgewogen klingt. Neue Facetten des Künstlers lernt man dann kennen, wenn der Rapper auf dem Titeltrack wirklich ehrliche, offene Seiten aufzieht und in seiner schlichten Art auch mal komplett ohne Ironie, Flachserei und Wortspielerei auskommt.
"Musik ist keine Lösung" steht damit nicht für ein normales Album. Es sind 15 authentisch gerappte Hits, die zu keinem Zeitpunkt nervig oder öde klingen. Und damit hat Alligatoah nicht weniger als das "Comeback des Jahres" geschaffen.
(Sven Aumiller)