Seit 2009 verteidigt Pierre Sonality den Funk – vermutlich tut er das schon einige Zeit länger, doch in besagtem Jahr erschien sein erstes Album "Kein Hip Hop Fame". Unter Liebhabern erarbeitete sich der in Hamburg lebende Magdeburger diesen Fame in den Folgejahren mit Boom bap-Musik erster Güteklasse samt staubigem Sample-Sound. In seinen Texten hielt er stets die Crew-Fahne hoch und zeigte temporären Hypes wie Entwicklungen den Mittelfinger. Doch mit diesem Image konnte sich der mittlerweile 36-jährige Marcus, so Pierres richtiger Name, schon länger nicht mehr identifizieren, hat er doch die Scheuklappen schon lange in seinem Hörverhalten und dem eigenen Schaffen abgelegt. So verkündete er im November unter durchaus großer Beachtung das Ende von Pierre Sonalitys Karriere. Dieser verabschiedet sich standesgemäßig mit einem letzten, großen Knall – das Ende Januar erschienene Album "Miami 420" zeigt, für welche Musik der Künstler im Jahr 2018 steht. Im Interview sprachen wir mit dem Funkverteidiger über die Reaktionen auf das Karriereende, das Erbe, welches Pierre Sonality hinterlässt, musikalische sowie persönliche Weiterentwicklung und blickten schließlich noch ein Stück in die Zukunft.
Bei meinem ersten Anruf gerate ich an den Anrufbeantworter. Hierbei falle ich auf den ältesten Trick der Menschheitsgeschichte rein, wenngleich auch sehr gut ausgeführt. Ich unterhalte mich ungefähr 20 Sekunden mit ebenjenem Anrufbeantworter, um mir schließlich ein gleichzeitig dreckiges und aus vollem Herzen stammendes Siegerlachen von Pierre Sonality anzuhören. Leicht gedemütigt wage ich einen zweiten Versuch und kriege tatsächlich den echten Pierre ans Telefon.
MZEE.com: Du hast ungefähr den fiesesten Anrufbeantworter aller Zeiten.
Pierre Sonality: Ja, ich hab' auch schon mal gut Stress deswegen bekommen. (lacht) Meine Steuerberaterin hatte den auch mal dran und fand das irgendwie gar nicht so witzig. Die meinte, wenn das noch mal vorkommt, kann ich mir jemand Neues suchen. Ist aber alles noch mal gut gegangen …
MZEE.com: Nachdem du das Ende von Pierre Sonality verkündet hast, dachten nicht wenige deiner Fans, du wolltest deine Karriere komplett beenden. Wie viele verzweifelte Nachrichten hast du bekommen?
Pierre Sonality: (grinst) Auf jeden Fall hat mein Handy sehr oft geklingelt und vibriert. Mir ist anhand der vielen Nachrichten mal aufgefallen, dass die Musik tatsächlich mehr Leuten etwas bedeutet, als es beispielsweise die Reichweiten meiner Videos vermuten lassen. Ich hab' da von einigen Leuten Storys darüber gehört, was sie mit meiner Musik verbinden. Das fand' ich auf jeden Fall cool. Sonst schreibt dir ja nicht jeden Tag jemand sowas. Es kamen viele Danksagungen. Da hat sich keiner auf den Boden geworfen und rumgeheult, sondern mir eher alles Gute für den weiteren Weg gewünscht. Ich geh' mit einem guten Gewissen raus aus der Sache.
MZEE.com: Du legst deinen Namen ab, um bei künftigen Projekten mehr Freiheit in Sachen Soundgestaltung zu haben. Das letzte Pierre Sonality-Album "Miami 420" vertritt aber bereits ein neues Klangbild – verstehst du dies als eine Art Übergang?
Pierre Sonality: Das ist 'ne gute Frage. Das Album repräsentiert meinen musikalischen Status quo. Das Gros von dem, was einem an der Platte neu vorkommt, ist natürlich ein relatives Novum im Vergleich zu der Musik, für die man mich kennt. Gerade diese vielen gesungenen Hooks und Synthesizer-Einspielungen, die bestimmt 80 Prozent des Albums ausmachen.
MZEE.com: Du hast kaum Samples benutzt.
Pierre Sonality: Genau. Ich glaube, zwei Songs basieren auf Samples, der ganze Rest ist eingespielt oder eingetriggert. Natürlich ist das im Vergleich zu meiner bisherigen Musik neu. Aber die Musik, die ich jetzt auf dem Rechner habe und mit der ich komme, wenn die Zeit soweit ist, stellt einen ziemlichen Bruch zu den alten Sachen dar. Das will ich den Leuten nicht direkt zumuten.
MZEE.com: Du willst deine Hörer also durch die aktuelle Platte bei dieser Entwicklung mitnehmen?
Pierre Sonality: Im besten Fall passiert das so, ja. Die Platte ist ja auch kein total krasses, neues Supersound-Album, sondern einfach ein für meine Verhältnisse ziemlich großer Schritt nach vorne. Aber generell ist es ja Musik, die man schon irgendwoher kennt.
MZEE.com: Ich finde, das Ganze lässt sich gut als moderne Weiterentwicklung des klassischen Pierre Sonality-Sounds beschreiben. Du hast ja zum Beispiel auf Hi-Hat-Spielereien oder sonstige Trap-Elemente verzichtet.
Pierre Sonality: Das Album war auch ein totaler Lernprozess. Ich hatte tatsächlich so ein paar Trap-Nummern ausprobiert, weil ich total feiere, was da momentan passiert. Das ist Wahnsinn! Es ist geil, in alle Ecken schießen zu können und dass Rap das mittlerweile darf. Aber ich hab' bemerkt, dass es zu affektiert klingt, wenn ich dieses "klassische" Trap-Ding bringe. Da hab' ich mich lieber darauf zurückbesonnen, was ich gut kann.
MZEE.com: Wann ist dir zum ersten Mal bewusst geworden, dass dein Image als Pierre Sonality längst nicht mehr deiner Musik entspricht?
Pierre Sonality: Das war so ein schleichender Prozess. Als wir mit Sendemast "Generation Hauptbahnhof" gebracht haben, war das in meinen Augen schon eine ziemliche Entwicklung. Da haben ja auch einige Redakteure von einem "geilen Boom bap-Brett" geschrieben, obwohl ich das überhaupt nicht so empfunden habe. Das hat mich schon ein bisschen gestört. Und nachdem "Miami 420" fertig war und ich schon an neuen Sachen gesessen habe, hab' ich mal etwas reflektiert, wie ich in den Medien so dargestellt werde. Da bin ich einfach auf den Trichter gekommen, dass ich mit dem Namen "Pierre Sonality" nicht mehr von diesem Rucksack wegkomme. Der liegt mir auf der Schulter – egal, was ich mache und wie sehr ich versuche, mich zu entwickeln.
MZEE.com: Theodor Fontane hat mal gesagt: "Alles Alte, soweit es den Anspruch darauf verdient hat, sollen wir lieben; aber für das Neue sollen wir eigentlich leben." Hat Pierre Sonality aus dieser Sicht vielleicht sogar zu lang gelebt?
Pierre Sonality: (überlegt) Also, die Zeit, in der ich als Pierre Sonality staubigen Boom bap-Sound gemacht habe, würde ich nicht als zu lang bezeichnen. Ich hab' sehr viele krasse, coole Sachen erlebt und konnte mich ausdrücken. Ich beherrsche mein Handwerk und weiß, wo ich den Hebel ansetzen muss, um ein Boom bap-Brett zu machen. Die Zeit ist halt einfach vorbei, weil meine eigene Herangehensweise angefangen hat, mich zu langweilen. Dann lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, wie der Volksmund sagt. Vielleicht hab' ich es irgendwann ein bisschen verpennt, mich etwas zu öffnen. Denn andere Musik hab' ich nebenbei schon immer gemacht. Meinen Freunden hab' ich zuhause immer schon ganz andere Sachen gezeigt, ich hab' mich aber nicht wirklich getraut, das rauszuhauen. Diese Angst vor negativem Feedback hatte ich vielleicht zu lange, aber jetzt nicht mehr.
MZEE.com: Du hast eben schon angesprochen, dass du viele aktuelle Sachen im Rap-Kosmos feierst, wodurch sich ja auch dein Sound verändert hat. Ich finde es vor dem Hintergrund echt interessant, dass es Leute gibt, die jahrzehntelang immer wieder nur die gleichen Sachen hören und Neues total ablehnen …
Pierre Sonality: Das hat, denke ich, gar nicht so viel mit der Musik zu tun, sondern ist teilweise einfach ein Charakterzug. Manche haben halt gar keinen Bock, sich mit etwas Neuem auseinanderzusetzen. So war's bei mir auch. Ich hab' bestimmt vier Jahre lang nur das Album "Creep wit me" von Ill Al Skratch und vielleicht drei, vier ähnliche Platten gehört, was Rap betrifft. Dann wirst du natürlich immer älter und da sind wir schon beim Generationsding. Platon hat ja bereits gesagt, dass die Jugend völlig verkommen sei. Die traditionalistischen Rocker werden über neuen Rock genau das Gleiche sagen. Ich weiß nicht … Ich denke das findet einfach viel in den Köpfen statt und hat mehr mit Mentalität zu tun. Wenn dir derjenige, der sagt, wie scheiße der ganze neue Kram ist, nicht mal fünf neue Tracks nennen kann, kannst du ja davon ausgehen, dass er sich damit gar nicht befasst.
MZEE.com: Eine große Rolle spielen dabei wohl auch die großen Klassiker von früher, die man tatsächlich immer wieder hören kann. Ich weiß nicht, ob viele aktuelle Sachen bei mir diesen Status erlangen. Aber für einen heutigen 16-Jährigen ist ein Travi$ Scott-Album in zehn Jahren möglicherweise der Klassiker schlechthin. Das hat natürlich auch alles mit Nostalgie zu tun.
Pierre Sonality: Klar, du verbindest ja mit der Musik von früher eine gewisse Zeit. Man sieht das immer sehr sentimental und verklärt die alten Zeiten, unbeschwert mit den Jungs im Park chillen … das geht alles mit der Sehnsucht nach dieser coolen Zeit einher. Manchmal hat das vielleicht auch damit zu tun, dass du dein Leben gerade nicht so lebst und als so cool empfindest, sodass du dich noch mehr nach den alten Sachen sehnst. Ich hab' zum Beispiel vor sieben Monaten aufgehört, Turn Up zu machen und seitdem keinen Tropfen Alkohol getrunken. Und ordentlich abgenommen. Ich merke halt, dass die Zeit jetzt 'ne übelst geile Zeit ist. Damit verabschiede ich mich gerade von meinen alten Hits der Jugend und mache auch selbst modernere Musik.
MZEE.com: Du hast deinen Lebensstil also umgestellt und achtest mehr auf deinen Körper. Wie hat sich dein Leben dadurch verändert? Bist du erwachsener geworden?
Pierre Sonality: Ich bin auf jeden Fall viel, viel gecheckter. Ich passe einfach auf, dass ich mich nicht so gehen lasse und übe mich mehr in Selbstdisziplin. Das mache ich halt auch nicht alleine, sondern zusammen mit Lukutz und Maulheld. Wir motivieren uns alle gegenseitig, wie so eine kleine Sportgruppe. Es macht auch irgendwie Spaß, dass wir da was gefunden haben, das wir abseits von der Musik zusammen machen können.
MZEE.com: Vermisst du irgendetwas?
Pierre Sonality: Gar nichts. Es ist in allen Bereichen nur cooler geworden. Ich mach' ja nicht übertrieben Bodybuilding oder so, es geht eigentlich nur darum, was ich so konsumiere. Das war eben irgendwann too much vorher. Ich merke eigentlich nur, dass mich der ganze Turn Up-Kram tierisch gebremst hat.
MZEE.com: "Miami 420" handelt allerdings thematisch noch viel vom Gras- und Alkoholkonsum, da es ja auch über einen längeren Zeitraum entstanden ist. Werden deine Texte sich deinem Lebensstil in Zukunft anpassen?
Pierre Sonality: Das behalte ich ganz konkret erst mal für mich, bis es so weit ist. Aber ich hab' mir schon vorgenommen, Alkohol nicht mehr so zu promoten. Ich seh' mich tatsächlich auch nicht wirklich darüber rappen, dass ich trinke, wenn ich nichts mehr trinke.
MZEE.com: Kannst du schon skizzieren, wie sich deine nächsten Projekte anhören werden?
Pierre Sonality: Die Frage ist, wie viel ich jetzt schon preisgebe. Ich habe auf jeden Fall Gesangsstunden genommen. Ich kann jetzt Akkorde greifen und Melodien, die ich mir ausdenke, frei spielen. Aufschreiben kann ich sie noch nicht. (grinst) Ich rappe auch immer noch ganz gerne mal einen auf. Also, ich mach' noch die gleichen Lieder, nur mit ganz anderen Melodien und ganz anderen Texten.
MZEE.com: Und gibt es schon einen neuen Künstlernamen?
Pierre Sonality: Nein! (lacht) Den habe ich tatsächlich noch nicht. Es ist noch lange nicht spruchreif, dass die Musik, die aktuell auf meinem Rechner liegt, rauskommt. Ich arbeite einfach erst mal dran. Da lass' ich mir Zeit, bis mir das Universum den Ball zuspielt.
MZEE.com: Zum Ende des Interviews wollen wir Pierre Sonality noch mal die Ehre erweisen, die er verdient. Welches Erbe hinterlässt er für dich? Und was war der prägendste Moment in seinem Leben?
Pierre Sonality: Für mich hinterlässt er auf jeden Fall das Gefühl, das du aufbaust, wenn du durch die Liebe zu einer Sache andere Leute kennenlernst, die genau die gleiche Liebe dafür haben. Diese Leute werden dann deine Kumpels, du machst erste Tracks … Das ist mittlerweile 16 Jahre her und diese Menschen sind immer noch deine Freunde. Das werden Leute kennen, die im Kanu- oder Fußballverein groß geworden sind. Für mich war's halt Rap. Und irgendwann hat man dann angefangen, mit der Musik durch Deutschland, Österreich und die Schweiz zu touren. Das erste Mal Fliegen durch die Mucke war ein krasser Moment. Das war einfach eine coole Zeit, durch die man ein Ego und Selbstbewusstsein entwickelt hat. Der beste Moment für Pierre Sonality und auch für mich als Mensch war, dass wir genau an meinem dreißigsten Geburtstag beim Splash! aufgetreten sind. DJ Skala und seine Frau haben mich da im offenen Cabrio auf das Gelände gefahren. Dann kam noch ein Dude im selbstbemalten Funkverteidiger-Shirt vorbei … Das war einfach eine coole Erfahrung, weil ich gar nicht mehr dachte, dass ich da irgendwann mal hinfahre.
MZEE.com: Zum Abschied wüsste ich von dir gerne die drei besten Songs von Pierre Sonality.
Pierre Sonality: (überlegt) Einer meiner drei liebsten Songs ist auf jeden Fall "Wochenenden und Feiertage". Den hab' ich in meinem ersten Studio in Leipzig auf zwölf Quadratmetern aufgenommen. Ich hatte keine Kohle und war total abgefuckt, das war so ein Protestsong. Und ich wollte kein Leben nur für Wochenenden und Feiertage – egal, wie kacke es mir ging. Den State of Mind hab' ich in dem Song gut konserviert. Als Zweites würde ich "Crack is wack" nennen, da hab' ich zum ersten Mal diese Drums so setzen können, wie ich es wollte. Den Track hatte ich sehr fix fertig, nach solchen Drums hatte ich zuvor ewig gesucht und war dann total geflasht. Und was meine Produktionen angeht, ist der Beat für "Spliffmeister" ganz vorne dabei. Insgesamt viele Sachen für das Mase-Album. Ich liebe die Platte, weil wir uns da genau gefunden haben.
(Alexander Hollenhorst)
(Fotos von Lena Allgeier)