(1) Race is socially constructed, not biologically natural.
das ist in meinen augen eine falsche dichothomie. race ist ein soziales konstrukt, das unter anderem auf biologischen gegebenheiten aufbaut.
Delgado geht darauf in der Literatur nochmal genauer ein. Die biologischen Gegebenheiten, auf denen das Konstrukt Rasse aufbaut sind natürlich immanent und existieren unabhängig des Bewusstseins. Die Bedeutung, die du diesen biologischen Eigenschaften aber zuweist, sind aber wiederum bewusstseinsabhängig – sie existieren ohne Deutung des Menschen eben nicht. Daher ist es eben auch nach dem Autor falsch davon zu sprechen das Rasse etwas objektives oder natürliches sei.
(2) Racism in the United States is normal, not aberrational: it is the common, ordinary experience of most people of colour.
das ist mir zu wenig differenziert. ja, quasi jeder PoC erlebt rassismus im alltag. dieser geht aber, wenn man nicht jede unabsichtliche microaggression mitzählt, von einer minderheit an eben nicht normalen rassisten aus. dadurch wird rassismus nicht normalisiert. quasi jeder autofahrer wurde auf der autobahn schon rechts überholt, trotzdem ist rechts überholen nicht normal.
Delgado argumentiert, dass die auffälligsten Formen von Rassismus sehr selten auftreten, wie beispielsweise rassistisch motivierte Lynchmorde oder explizite Ausgrenzung von PoC. Es gibt aber eben auch Formen des Rassismus die subtiler und weniger auffällig sind. Dazu gehören laut dem Autor Mikroaggressionen, aber eben auch Phänomene wie dass PoC beim Aufnehmen von Krediten, oder bei der Job– und Wohnungssuche im Vergleich zu weißen benachteiligt werden und das eben von Leuten, die nicht mal offen rassistisch sein müssen. Das Normale besteht halt darin, dass es der Status quo für PoC ist. Während rechts Überholen eher die Ausnahme ist, sind diese Erfahrungen aber Alltag für viele PoC.
(3) Owing to what critical race theorists call “interest convergence” or “material determinism,” legal advances (or setbacks) for people of colour tend to serve the interests of dominant white groups. Thus, the racial hierarchy that characterizes American society may be unaffected or even reinforced by ostensible improvements in the legal status of oppressed or exploited people.
worum geht es da? dass weiße nordstaatler im bürgerkrieg gegen die sklaverei waren, weil die märkte mit plantagenprodukten aus der sklaverei geflutet wurden? dass institutionen durch die abschaffung von segregated bathrooms ressourcen sparen wollten? es gibt in jeder geschichtlichen entwicklung multiple akteure mit multiplen interessen. deshalb sollte man sich da nicht in details verfranzen, sondern das big picture betrachten. in den usa gibt es zum ersten mal in der geschichte 4 schwarze senatoren gleichzeitig, die vizepräsidentin ist schwarz. 2019 waren 10% der neuen board members von fortune 500 companies schwarz. natürlich ist das ende der fahnenstange nicht erreicht, aber die racial hierarchy, die zu zeiten der bürgerrechtsbewegung geherrscht hat, existiert so nicht mehr.
Interest convergence ist anscheinend ein machtkritischer Begriff, der besagt, dass antirassistische Veränderungen nur dann auftreten, wenn die Interessen von weißen und PoC konvergieren. Delgado nennt als Beispiel dafür, dass die ersten Durchbrüche der Desegregation von Schwarzen darauf zurück,
dass die USA während des Kalten Krieges ihr internationales Image aufpolieren wollten. Material determinism ist wiederum eine Strömung innerhalb der CRT, die Rassismus als Instrument sehen, mit der Eroberer die Ausbeutung des eroberten Volkes gerechtfertigt haben. Ich denke, dass das jetzt auch nicht so abwegig ist, wenn man mal bedenkt, welche Rolle Rassentheorien während des Kolonialismus gespielt haben, um Sklaverei zu legitimieren… Racial Hierarchy steht dazu im Gegensatz und ist die Position von Realisten, einer weiteren Denkströmung innerhalb der CRT, die davon ausgehen, dass es eine implizite und unbewusste Hierarchie der Rassen existiert.
(4) Members of minority groups periodically undergo “differential racialization,” or the attribution to them of varying sets of negative stereotypes, again depending on the needs or interests of whites.
racial stereotypes gibt es, ihre prävalenz unterliegt sicherlich auch gewissen schwankungen. aber das gilt in alle richtungen, es gibt nicht nur stereotype von weißen gegenüber nicht-weißen, sondern auch in allen möglichen anderen relationen, nicht zuletzt gegenüber angehörigen derjenigen race, der man selbst angehört.
Racialization bezeichnet den Prozess der Herstellung von Rassen oder rassischer Identitäten und sich an die Bedürfnisse der Mehrheitsgesellschaft angepasst hat:
At one period, for example, society may have had little use for blacks, but much need for Mexican or Japanese agricultural workers. At another time, the Japanese, including citizens of long standing, may have been in intense disfavor and removed to war relocation camps, while society cultivated other groups of color for jobs in war industry or as cannon fodder on the front.
Stereotypen sind nach Delgado ebenfalls Teil davon:
In one era, a group of color may be depicted as happy-go-lucky, simpleminded, and content to serve white folks. A little later, when conditions change, that very same group may appear in cartoons, movies, and other cultural scripts as menacing, brutish, and out of control, requiring close monitoring and repression.
Ich kann es von daher aus einer machtkritischen Perspektive schon verstehen, warum man sich vor allem Stereotypen anguckt, die von Weißen ausgehen und nicht welche die von von PoC ausgehen. Weiße waren ökonomisch als auch politisch die meiste Zeit lang dominant in den USA und werden Stereotypen als auch Racialization für ihre eigenen Interessen und den Machterhalt ausgenutzt haben.
(5) According to the thesis of “intersectionality” or “antiessentialism,” no individual can be adequately identified by membership in a single group. An African American person, for example, may also identify as a woman, a lesbian, a feminist, a Christian, and so on.
dieser intersectionalism erstaunt mich echt immer wieder. diese ganze theorie ist logisch einfach 5 zentimeter vor dem extrem naheliegenden schluss stehen geblieben, dass menschen nun mal unterschiedlich sind und man sie dann eben vielleicht zuallererst mal als individuen wahrnehmen sollte, die in erster linie für sich selbst sprechen können, anstatt irgendwelche regeln oder punktesysteme anhand von gruppenzugehörigkeiten zu erfinden.
Also, vielleicht haben wir ja ein unterschiedliches Verständnis von Intersektionalität. Aber Intersektionalität betrachtet doch Menschen genau unter dem Punkt, dass Menschen sehr unterschiedlich sind. Eine schwarze Frau ist halt nicht nur schwarz, sondern auch eine Frau und wird die Probleme erfahren, die sowohl eine Frau, aber auch eine Schwarze erfährt. Der größte Kritikpunkt an Intersektionalität ist doch häufig, dass es zu komplex wird und du Diskriminierungserfahrungen oder anderweitige Benachteiligungen nicht mehr auf einen Aspekt wie zum Beispiel Klasse reduzieren kannst, sondern plötzlich eine ganzheitliche Betrachtungsweise gefordert wird. Keine Ahnung, wie du hier auf ein Punktesystem nach Gruppenzugehörigkeit kommst.
Finally, (6) the “voice of colour” thesis holds that people of colour are uniquely qualified to speak on behalf of other members of their group (or groups) regarding the forms and effects of racism. This consensus has led to the growth of the “legal story telling” movement, which argues that the self-expressed views of victims of racism and other forms of oppression provide essential insight into the nature of the legal system.
es ist wichtig und richtig, leuten zuzuhören und sie grundsätzlich erst einmal ernst zu nehmen. manche individuellen erfahrungen sind auch durchaus zu einem bestimmten grad verallgemeinerbar auf angehörige von bestimmten gruppen. aber das ist nicht per se so, das kann auch gar nicht sein, ansonsten müssten z.b. alle schwarzen immer einer meinung sein, damit es nicht zu einem logischen widerspruch kommt.
all das läuft in der realität immer wieder darauf hinaus, dass eine kritische auseinandersetzung mit den aussagen von voices of color nicht stattfindet, da nicht-betroffene angeblich nicht mitreden können und daher nicht mitreden dürfen. der status als opfer wird mit einer gewissen retaliativen macht verknüpft, die auf manche menschen natürlich sehr anziehend wirkt und das aufbauschen von lappalien mit sich bringt. auf diese weise werden immer mehr verhaltensweisen je nach ethnie des handelnden tabuisiert: als weißer dreadlocks tragen? cultural appropriation! als weißer "dreadlocks" sagen? kolonialistischer stereotyp!
Worüber möchte man denn als Nicht–Betroffener von Rassismus reden, wenn es um Rassismus geht? Es ist halt schon ein feiner Grad zwischen angebrachter Kritik und Betroffenen ihre Erfahrungen abzusprechen. Das Ding ist halt aber auch, dass es für dich Lappalien sind und deswegen anscheinend auch nicht verstehst, warum PoC sich daran stören könnten, wenn eine weiße Mehrheitsgesellschaft beispielsweise Kleidung oder Frisuren übernimmt, die historisch in der Kultur der PoC entstanden ist. Die weiße Mehrheitsgesellschaft war eben nie der Diskriminierung ausgesetzt, die PoC ausgesetzt waren und können ethnische Kleidung oder Frisuren tragen, ohne die Nachteile zu erfahren, die PoC erfahren mussten. Die selben Frisuren oder Klamotten, durch die PoC Diskriminierung erfahren haben, gelten dann an weißen Models plötzlich als schön. Dazu kommt halt auch die Kommerzalisierung kultureller Erzeugnisse durch Vertreter der dominanten Kultur. Ich bezweifle nämlich irgendwie, dass die indigene Bevölkerung der USA viel von den Verkäufen von indigenen Schmuck den sich irgendwelche Hippies übers Bett hängen sehen wird.
Versteh mich nicht falsch, ich bin jetzt auch nicht sonderlich begeistert von den Auswüchsen der Cultural–Appropriation–Diskussion und sehe auch, dass das häufig in Essentialismus und identitären Unsinn abdriften kann. Aber ich denke schon, dass die oben erläuterten Dinge etwas sind, über die man mal reflektieren kann.
letzten endes hat das eine immer stärkere spaltung der gesellschaft zur folge, und zwar nicht nur zwischen PoC und weißen, die mit unterschiedlichen rechten in bezug darauf, was sie sagen dürfen und welche beachtung ihren aussagen geschenkt wird, ausgestattet werden, sondern auch zwischen einer woken bildungsbürgerlichen elite, die die akzeptanz des CRT-regelwerks als läuterungsritual für zwei flugreisen im jahr und die eigene aktive teilnahme an der gentrifizierung irgendeines hippen stadtteils sieht und dem rest der gesellschaft, der keine lust auf entmündigung hat. parlamentarisch hat das ganze eine verschiebung nach rechts zur folge, da wohl kaum jemand, der nicht eh schon links der mitte wählt, anhänger der CRT ist, wohingegen die CRT nicht wenige ansonsten eher links zu verortende wähler abschreckt, nicht zuletzt aus der arbeiterklasse
Na ja, niemand verbietet Ethnodeutschen über Rassismus zu reden. Kann halt nur sein, dass sie von PoC dafür ausgelacht werden oder nicht überall eine Plattform finden. Abgesehen davon, gibt es halt auch kein CRT–Regelwerk. Ich habe jetzt mal knapp die Hälfte des Buches von Delgado gelesen und habe den Eindruck bekommen, dass CRT doch recht differenziert und eigentlich wenig aufregend ist. Das Buch ist aber mittlerweile auch 20 Jahre alt und ich habe keine Ahnung, wie sich CRT seitdem weiterentwickelt hat. Was ich zumindest weiß ist, dass die Position der Realisten zumindest ordentlich wackelt. Wenn ich mich recht entsinne, haben sie ihre Annahme, dass es unbewusste rassisische Hierarchien in unseren Köpfen gibt versucht über den Race Implicit Association Test zu messen, der na ja,
eher eine bescheidene Replizierbarkeit hat. Ansonsten dient CRT halt als Linse, um eine machtkritische Perspektive auf verschiedene Lebensrealitäten oder Phänomene zu kriegen. Ich denke das große Problem ist hier vor allem, dass die CRT aus der Akademie kommt und dort eben wesentlich differenzierter diskutiert wird, als man es halt in irgendwelchen Mainstream–Nachrichtenseiten oder auf Twitter tut, wodurch wahrscheinlich auch viele Nuancen verschwinden und es vor allem um große Wörter und polarisierende Inhalte geht. Was man imho auch bedenken sollte ist, dass CRT in den USA vor dem Hintergrund der amerikanischen Geschichte und den Rassismuserfahrungen von dort lebenden PoC entstanden ist und auf Deutschland nicht einfach so anwenden kann. Diese Weiß–Schwarz–Dichotomie funktioniert hier halt auch einfach nicht sonderlich gut, insbesondere weil Afrodeutsche halt selbst eine Minderheit unter den Menschen mit Migrationshintergrund sind und die Menschen, die hier von Rassismus betroffen sind nicht selten sogar selbst weiß sind.
Insgesamt wirkt die ganze Aufregung um die CRT für mich aber so, als ob man nach der Frankfurter Schule und Kulturmarxismus einen neuen Boogeyman gefunden hat, den man als Angriffsfläche verwenden kann.