20:02 Uhr, Montagabend. Ich wollte eigentlich seit zwei Minuten mit Crystal F über seine neue Platte reden, aber er verspätet sich noch – weil er "kurz das Katzenklo sauber machen muss", wie er mir via WhatsApp mitteilt. Das ist der Moment, in dem mir klar wird, dass dies kein normales Interview wird. In den darauffolgenden anderthalb Stunden wurde aus einem simplen Gespräch über "Panzerband & billiges Crack" dann tatsächlich ein abwechslungsreiches Interview über Crystals Haltung als Rapper, Rassismus und wie ein solch emotionales Album wie Tuas "Grau" so einen großen Einfluss auf "Hauke MacGyver, den Zuhause-Abtreiber", haben konnte.
MZEE.com: Du bezeichnest dein neues Album "Panzerband & billiges Crack" als "Brücke zwischen dem alten und ganz neuen Ruffiction-Sound". Worin liegt für dich persönlich der größte Unterschied zwischen der damaligen und heutigen Musik?
Crystal F: Ich bin jetzt natürlich zwölf Jahre älter als zu Beginn meiner Karriere. Ich mache mir nicht nur in vielen Lebenssituationen Gedanken, sondern bin mittlerweile auch mit meiner Musik sehr viel mehr eingespannt. Ich mache mir vor Alben immer eine riesige Platte, wie ich das aufbaue. Auf diesem Release habe ich hingegen alles sehr spontan gemacht. Auch, weil ich wieder das Feeling von früher haben wollte: Einfach mal eine CD machen, rappen und alles ganz schnell erledigen können. Keine großen Gedanken an mögliche Singles oder sonst irgendetwas verschwenden. Ich wollte einfach mal wieder lustig rappen. (grinst) Außerdem wollte ich endlich wieder viel mit Freunden machen – es hat früher sehr viel ausgemacht, dass wir an alles gemeinsam herangegangen sind.
MZEE.com: Inwieweit ist es für dich ein anderer Vibe, wenn du mit deinen Freunden etwas aufnimmst im Gegensatz zu einer klassischen Solo-Platte?
Crystal F: (überlegt) So unterschiedlich ist der Vibe gar nicht unbedingt. Es ist häufig so, dass ich die Beats picke und zu 95 Prozent auch den ersten Part schon fertig habe, wenn die anderen ihre Strophe dazu liefern. Das Endprodukt ist also gar nicht so anders. Wenn man aber zusammen im Studio schreibt, ist das Gefühl natürlich nicht das gleiche. Da kommen dann noch mal Ideen von drei anderen dazu, das ist schon witziger. Die Musik ändert sich aber kaum. Es hat sich ja fast schon eingebürgert, dass zuerst ein Gruppen- und dann ein Solo-Album kommt. Ich finde, das ist ein schöner Ausgleich. Da kann man auch andere Themen bearbeiten. Ich habe auf den Solo-Dingern immer viel über Serienmörder-Kram geredet, das habe ich jetzt gar nicht gemacht. Das meine ich auch mit der lockeren Herangehensweise an "Panzerband & billiges Crack" – bei "Narben" zum Beispiel bin ich superverkopft an die Sachen herangegangen. Ich habe mich lange mit nichts anderem beschäftigt als Forensik und Hintergründen dazu, was Mörder ausmacht. Da ist es fast schon wie Urlaub, eine Ruffiction-Platte zu machen.
MZEE.com: Hast du vor "Narben" tatsächlich so krass zum Innenleben von Serienmördern recherchiert?
Crystal F: Ich war immer schon sehr beeinflusst von Büchern zu diesem Thema. Mein Album "Kunst des Todes" beruft sich beispielsweise auf "Der Todeskünstler" – dadurch bin ich schon lange tief in der Materie. Bei "Narben" war es wirklich hart. Ich habe mir fast nur noch Sachen reingezogen, die mit Mord oder Killern zu tun hatten. Wenn man sich sehr viel damit beschäftigt, belastet es dich natürlich auch im Alltag, wenn dich diese Gedankenwelt begleitet.
MZEE.com: Ich wollte gerade fragen, ob das nicht auch Auswirkungen auf die eigene Psyche hat, wenn man sich so tief in diese Sache hineinkniet …
Crystal F: Ich beschäftige mich auch viel mit den Hintergründen solcher Taten. Wie entsteht sowas? Was sind die Ursachen? Deshalb habe ich auch den Storyteil der Platte von Dr. Mark Benecke analysieren lassen – um zu wissen, ob das gut recherchiert ist. Das Video davon gibt es auch noch auf YouTube. Du hast aber natürlich recht: Trotz dieser "wissenschaftlichen" Herangehensweise belastet dich das. Da kommt es schon mal vor, dass du beim Sport sitzt und darüber nachdenkst, wie die Haut beim Aufschneiden auseinandergeht oder dass du dir im Internet eine Sezierung ansiehst. Du kriegst gar nicht mehr mit, wie merkwürdig das eigentlich ist. (lacht)
MZEE.com: Weißt du noch, wie du diese Faszination entwickelt hast?
Crystal F: Schwierig zu sagen. Ich fange mal so an: Es gibt eine "South Park"-Folge, die großen Einfluss auf mich hatte. Die heißt "Scott Tenorman muss sterben". Es geht darum, dass ein Drittklässler Schamhaare an Cartman verkauft und ihm das Geld nicht zurückgeben will. Das Ende vom Lied ist dann, dass Cartman deswegen die Eltern umbringen lässt und ihre Überreste in einem Chili verkocht, was ebenjener Scott isst. Währenddessen spielt Scotts Lieblingsband – ich glaube, es war Radiohead – und lacht ihn dafür aus, dass er weint. In dem Moment kommt Cartman rein und leckt die Tränen von dem Jungen genüsslich ab. So fies und bösartig, wie es nur irgendwie geht. Für mich war das auch eine Art, an Songs ranzugehen. Zudem gab es eben die Bücher, die mir ein fundiertes und fachliches Wissen gegeben haben, sodass sich dieser Sound so eingebürgert hat. Mit "Narben" habe ich mit dieser Herangehensweise aber erst mal abgeschlossen, weil es das quasi perfektioniert hat. Jetzt ist der Stand, dass ich sowas nicht wieder machen würde – auch, weil es natürlich krass belastend ist. (grinst)
MZEE.com: Du hast gerade von dieser "unverkopften" Art, Musik mit Kollegen zu machen, gesprochen. Ist deswegen dein Debüt-Tape "Straight outta Keller" im Bundle deines neuen Albums dabei? Und ist es eigentlich genau dasselbe Werk wie damals?
Crystal F: Einen Song habe ich ausgewechselt, weil ich textlich nicht mehr dahinterstehen konnte. Das war "High 5", der erste Song, den ich mit den Jungs von Watch Your Back gemacht habe. Das ist im Endeffekt so eine Kinderficker-Story. Den fand ich mit 16 wohl irgendwie witzig, heute aber nur noch daneben. Stattdessen habe ich einen oldschooligeren Song aus 2013 draufgepackt, der aber einen ähnlichen Vibe hat wie die Songs von 2005, als das Tape erschien. Finde ich eine gute Ergänzung. Ansonsten ist es das Gleiche – man kann nicht einmal von einem neuen "Master" sprechen. Ich hab' das Tape abgegeben, damit man es auf Platte pressen kann – und meinte aber gleich: "Bitte hört nicht rein." (lacht) Die Qualität ist supergrottig. Ich wurde angefleht, da noch mal kostenfrei drübergehen zu können. War mir fast schon unangenehm, aber das habe ich dann natürlich angenommen. Es klingt also jetzt ein bisschen besser.
MZEE.com: Das Tape von damals ist quasi nicht mehr erhältlich, "Panzerband & billiges Crack" ist auch nur durchnummeriert in kleiner Auflage erschienen. Was war der Plan hinter dieser Entscheidung?
Crystal F: Ich mag das total. Mein zweites Solo-Album war ja auch zum Download freigegeben und auf CD gab es nur 100 Stück. Das nächste Release gab es dann 500 Mal. Ich finde, das macht ein Werk zu einem coolen Sammlerstück. Neben unseren häufigen Indizierungsproblemen. Ich mag diesen Gedanken, noch eine physische Kopie zu besitzen. Es ist natürlich auch voll okay, wenn man das Tape nur streamt – aber es ist eben ein anderes Gefühl. Das gibt den Leuten einen anderen Anreiz.
MZEE.com: Bist du selbst noch einer derjenigen mit einem großen CD-Regal?
Crystal F: Tatsächlich wurden mir die meisten meiner CDs geklaut. Ich hatte im Keller einen großen Karton, in dem meine ganze Musik war und … (überlegt) Ich wohne in einer unsicheren Gegend. (lacht)
MZEE.com: Das schmerzt aber richtig krass, oder?
Crystal F: Total. Ich will auch gar nicht darüber nachdenken. Ich höre seit 2000 sehr viel Berliner Untergrund-Rap und hatte einige CDs in Erstpressung in der Sammlung, die total im Preis gestiegen sind. Sogar so ein Bushido-Demotape, das auf 300 Stück limitiert war. Das musste ich noch über sein Forum bestellen. Die Dinger waren übrigens auch durchnummeriert, aber weil ich den Sticker mit der Nummer hässlich fand, habe ich ihn einfach abgezogen. (lacht) So krass dumm einfach. Das hat mich aber auch dazu bewegt, nur wenige CDs vom neuen Tape zu pressen. Egal, ob meine Platte im Wert steigt oder nicht: Es ist schön, sowas als Fan zu besitzen.
MZEE.com: Ich liebe es auch, Alben wie "Grau" von Tua noch in Originalverpackung im CD-Regal stehen zu haben. Diesen Sammler-Gedanken verstehe ich total.
Crystal F: Genau das! So jemand wie ich geht auf sowas ab: So eine Erstpressung von dem Ding, damals noch bei Deluxe Records. Für mich ist das etwas Besonderes, auch wenn es materiell nicht einmal sonderlich viel wert ist. Dieses Album vor allem – das war schon krass damals. Wie er gerappt hat, welche Themen er angesprochen hat, das war seiner Zeit voraus. Als "Grau" in dieser Kosmos-Kollektionsbox rausgekommen ist, habe ich mir das Tape auch noch mal gekauft, einfach nur, weil ich es haben wollte.
MZEE.com: Was bedeutet dir das Album denn?
Crystal F: Er hat auf eine sehr raue Art Geschichten erzählt, die ich nachvollziehen konnte. Dieser Mobbing-Song, "Unter Druck" oder "Es regnet" – wahnsinnig viel Melancholie, aber man hat trotzdem gemerkt, dass der Kerl kein Toy ist. Der ist ein Junge von der Straße, der aber auch über solche Themen ehrlich sprechen kann. Deutschrap hat es vorher für mich nicht geschafft, emotionale Songs zu machen, ohne peinlich zu sein. Tua ist da absoluter Vorreiter. Das Album wird man einfach nie vergessen, weil man beim Hören schon so eine krasse Beziehung dazu aufgebaut hat. Das wirkt nicht ausgedacht – diese krassen Geschichten könnten genauso gut dir oder mir passieren. Mich hat es überzeugt, dass es okay ist, offen über Gefühle zu sprechen. Auf "Blutlinie" habe ich das auch gemacht, in dem Song geht es um meine Familie – der bedeutet auch vielen Menschen eine Menge, weil sie sich damit identifizieren können. Verstehst du?
MZEE.com: Das ist ja bei vielen Deutschrap-Klassikern so. "Vatertag" von Samy fällt mir da ein.
Crystal F: Genau. Das ist aus dem Herz geschrieben. Du musst nicht immer über Hollywood rappen und dir die krasseste Geschichte ausdenken. Im Endeffekt sind die Stories, mit denen du dich identifizierst, viel leichter aufzunehmen. Die Geschichten, die tiefer gehen.
MZEE.com: Gibt es noch andere Deutschrap-Platten, die dir ähnlich viel bedeuten wie "Grau"?
Crystal F: Die erste M.O.R.-Platte hat mich wahnsinnig krass geprägt. Die hat mich an diesen rauen Flavour rangebracht. Damals gab es noch die Uzi Entertainer-Platte von dem Kollektiv, bei dem ich 2005 war – die hat mich mit der D12-Platte "Devils Night" am meisten beeinflusst. Da wusste ich zum ersten Mal, wie ich meinen Rapstil finde. Oder um mal einen Song zu nennen, der mich geprägt hat wie "Grau": SDs "Wenn er geht". Der hat mich umgehauen. Das war so ehrlich und intuitiv gerappt.
MZEE.com: Wenn du an deine nächste Platte denkst: Glaubst du, solche Themen könnten dir so gut liegen, dass du ein emotionaleres Album aufnehmen könntest? Mehr über deine Person?
Crystal F: Nachdem für mich klar war, dass ich diese Mörder-Thematik abgeschlossen habe, wollte ich darüber viel nachdenken. Was sind meine Stärken? Wo geht der Weg hin? Dinge, die man eben überlegt, wenn man vor einem Quasi-Neubeginn steht. Da kam mir ein solcher Gedanke auch. Das wurde aber viel zu verkopft. Ein Song aus der Zeit hat es aber auf "Panzerband & billiges Crack" geschafft: "Nicht verliebt". Der geht in die Richtung, die ich mir damals vorgestellt habe. Ich kann auch über Gefühle und Zwischenmenschliches rappen, ohne dass es gestellt rüberkommt. Ich will mich jetzt aber noch nicht auf irgendetwas festlegen. Wenn ich Beats höre, die dazu passen, dann wird das passieren, ansonsten nicht. Auf Krampf will ich jetzt nicht über Gefühle rappen. (lacht)
MZEE.com: Wer deine Musik hört, wird unweigerlich auf das Thema "Grenzen" stoßen, das auch im Battlerap gerade viel diskutiert wird. Gibt es für dich welche?
Crystal F: Das ist immer eine persönliche Sache. Über manche Dinge würde ich einfach nicht rappen. Ich habe früher in meiner Musik das Wort "Schwuchtel" als Schimpfwort benutzt, das würde ich heutzutage nicht mehr machen. Es hatte auch keinen Hintergrund, ich habe nie etwas gegen Homosexuelle gehabt. Das war wie ein Insider bei uns: Wer die stumpfeste Line gegen Schwule hat, gewinnt. Dann hatten wir mal ein Fotoshooting, bei dem ein Fan dabei war – und der hat sich lustig gemacht über zwei Jungs, die da händchenhaltend vorbeigingen. Er dachte, er wirkt damit cool auf uns. Ich hab' ihn dann gefragt, ob er eigentlich noch alle Latten am Zaun hat. Da wurde mir klar, dass es Leute gibt, die denken, ich hätte wirklich etwas gegen Schwule. Das war ein bisschen wachrüttelnd. Ab dem Zeitpunkt habe ich aufgehört, das zu benutzen – im Alltag wie auf Songs. Das macht einen Track auch nie besser. Eine Grenze gibt es für mich aber nicht. Es gibt Dinge, die nicht aus meinem Mund kommen sollten und die ich nicht gut finde. Wenn du dir eine Grenze setzt, musst du die für dich selbst einhalten. Wobei – bei Rassismus hört es bei mir auf.
MZEE.com: Du musst dich natürlich auch immer fragen, welche Leute du mit deiner Musik erreichst. Vielleicht findet jemand mit rechter Gesinnung genau diese Grenzübertritte geil. Wie gehst du mit sowas um?
Crystal F: Deshalb habe ich vor einigen Jahren angefangen, mich ganz offen gegen rechts auszusprechen. Nicht mit dem Zeigefinger auf Tracks, sondern mit klaren Regeln. Wenn ein Nazi auf einem Ruffiction-Konzert ist, kann ich dir sagen: Der ist nicht lange da und hat auch keine gute Zeit. (lacht) Ich möchte diesen Leuten einfach sagen, dass sie unerwünscht sind – wenn sie meine Musik dann trotzdem noch hören, verstehe ich das zwar nicht, aber ich habe meinen Teil getan. Als wir uns auf "Ausnahmezustand" klar gegen rechts ausgesprochen haben, stand in einem Kommentar bei YouTube sinngemäß: "Netter Versuch, mich abzuschrecken damit, ich feiere euch trotzdem!" Das kann ich halt nicht nachvollziehen. Da verzweifelst du auch als Künstler. Was soll ich denn noch machen, um solche Leute wegzukriegen?
MZEE.com: Gab es da – ähnlich der Situation beim Fotoshooting – einen bestimmten Moment, der dich dazu bewegt hat, dich so klar dagegen zu positionieren?
Crystal F: Das ist entstanden, als ich Alligatoah gehört habe. Auf "Musik ist keine Lösung" spricht er sich so klar gegen Nazis aus, das fand ich bewundernswert. Viele andere hätten nach "Willst du" versucht, daran anzuknüpfen. Er hat sich dafür entschieden, ein total politisches Album zu machen, das mit Sicherheit bei vielen Leuten auch angeeckt ist. Ich finde es beeindruckend, dass ein Künstler mit so einer Reichweite so klar eine Haltung vermittelt und es in Kauf nimmt, den ein oder anderen Käufer abzuschrecken.
MZEE.com: Wie wichtig findest du es, auch als großer Künstler Haltung zu zeigen?
Crystal F: Unfassbar wichtig. Ich möchte doch auch nicht, dass Nazis meine Musik hören. Also stelle ich klar, wie ich über sie denke. Es gibt im Jahr 2018 nichts Dümmeres, als Leute wegen ihrer Religion, Herkunft oder Hautfarbe zu verurteilen. Rassismus ist für mich das Dümmste der ganzen Welt. Ich kann diese Verallgemeinerungen nicht nachvollziehen. Wenn ich lese, dass manche Menschen Flüchtlinge einfach im Meer ertrinken sehen wollen, bin ich fassungslos. Leute, das sind Menschen! Das könntest auch du sein. Die sind nicht anders als du. Wie kann man das in so einer Zeit nicht verstehen? Wie kann man heutzutage noch Rassist oder homophob sein? Das geht nicht in meinen Kopf rein.
MZEE.com: Wieso, glaubst du, kann so ein Weltbild immer noch existieren?
Crystal F: Ich weiß es nicht. Ich kann es dir nicht sagen. Ich kann mich auch nicht in die Lage dieser Leute hineinversetzen. Ob sie falsche Werte vermittelt bekommen haben, ob sie negative Erfahrungen gemacht haben, ich kapiere es nicht. Ich bin einfach nicht aufgewachsen mit so einer Denke. Ich bin ja in einer ländlichen Gegend groß geworden und da hatte man zum Beispiel keine Berührungspunkte mit Homosexuellen. Als ich nach Berlin gezogen bin, hatte ich deswegen aber kein Problem mit Schwulen, nur weil ich das nicht kannte. Es ist etwas anderes, aber doch nichts Schlimmes. Das sind zwei Menschen, die sich lieb haben. Daran ist doch absolut nichts verwerflich. Wie kann man denn gegen das Glück zweier Menschen sein? Wieso macht es meine Ehe denn schlechter, wenn zwei Frauen oder zwei Männer auch heiraten dürfen?
MZEE.com: Viele berufen sich gern auf die Bibel, um das als falsch darzustellen …
Crystal F: (überlegt) Ich bin auch überhaupt nicht religiös aufgewachsen und habe mich nie zu einer Religion hingezogen gefühlt. Ich kann dir gar nicht sagen, ob es Gott gibt oder ob nach dem Tod etwas kommt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass da an der Himmelspforte gesagt wird: "Ah okay, du bist schwul oder ein Moslem, dann musst du in die Hölle!" (lacht) Als würde das eine Rolle spielen. Wenn es Gott gibt, dann hat er mit Sicherheit nichts dagegen, dass Menschen glücklich sind. So, wie sie sind. Aber wie gesagt, ich habe auch keinen Bezug zu Religion. Ich habe sogar mal einen Song gegen Gott gemacht, aber das ist auch eines der Dinge, die ich nicht noch mal machen würde.
MZEE.com: Wieso nicht?
Crystal F: Ich habe das Thema einmal aufgegriffen und für mich reicht es dann auch. Für mehr habe ich zu wenig Bezugspunkte. Ich beschäftige mich dann doch lieber mit dummen Menschen. Wobei ich Religion als Trigger in den Texten immer wieder spannend finde. "Ich reise in Manny Marcs DeLorean zurück in der Zeit und ficke Maria vor Josef, ich bin wie Gott" – das funktioniert für mich auf einer humorvollen Ebene, das sind eben stumpfe Lines. Ich finde es immer wieder lustig, dass ich Dinge sage, bei denen selbst die eigenen Fans sagen, sie können nicht glauben, dass ich sowas rappe. Das beste Feedback dazu gab es beim letzten Album: "Ey, ich finde Song XY schon echt gut, aber ich kann einfach nicht feiern, dass du sagst, du hättest dich selbst eingeschissen." (lacht) Da rappt man darüber, wie man Kinder entführt, aber das ist dann zu eklig. Als würde ich das ernst meinen.
MZEE.com: Freust du dich denn auch über solche Reaktionen?
Crystal F: Tatsächlich, ja. Ich habe auch beim Schreiben immer so eine kindische Freude. Ich bin total leicht zu begeistern, wenn ich auf sowas komme. 80 Prozent der Menschen, denen ich das zeige, fragen sich, was mit mir falsch läuft. Für mich ist das eben normal. Deshalb sind die Reaktionen auch so interessant, ich mache das halt schon seit zwölf Jahren. Ich habe mich wirklich totgelacht, als mir diese Line eingefallen ist: "Meine Alte ist schwanger, ein Fall für Hauke MacGyver – Kleiderbügel und Stift, der Zuhause-Abtreiber!" Das ist wahrscheinlich das Asozialste, was mir in letzter Zeit so eingefallen ist. Was ist das denn für eine kranke Scheiße? Hat was von einem Slogan. Ich wollte sogar schon meine dämlichen Photoshop-Skills rausholen, um mir ein Logo für die Zeile zu basteln. Das sind aber alles Zeilen, die ein Bild malen und als Punchline funktionieren. Natürlich ist sowas in der Realität überhaupt nicht witzig und viele würden mich für die Line hassen. Dafür ist Horrorcore ja auch bekannt. Deshalb wird es aber auch nicht so erfolgreich werden wie … "Señorita". Meine Musik hören eben keine zehnjährigen Mädchen, die sich gut fühlen wollen. Nicht jeder kann sich ein Album von mir jeden Tag anhören, man fühlt sich danach halt nicht so gut. Wobei ich mir in den Kopf schießen würde, müsste ich jeden Tag "Señorita" hören. Krasseste Story dazu: Ich konnte mir nie vorstellen, dass es Leute gibt, die auf dem Weg zur Arbeit sind und sich denken: "Boah, jetzt den Song von Pietro und Kay One anhören." Das kann ich mir einfach nicht vorstellen! Dann spreche ich aber mit einem Kumpel und der erzählt mir, dass seine Freundin genau das tut. Jeden Morgen. Da war mir klar, dass es sie wirklich gibt. Ciao.
MZEE.com: Ich merke, du bist gerade gut dabei in Sachen Namedropping. Auf der Platte kriegt Banjo sein Fett weg, jetzt Kay One, auf Twitter ist Genetikk das beliebteste Opfer …
Crystal F: Ich feiere gerade G-Mo Skee total ab. Seinetwegen habe ich wieder richtige Slim Shady-Gefühle gehabt. Der disst auch quasi jeden und ich finde das ja schon geil, wenn man endlich mal wieder einfach random Leute beleidigt. Vor allem Musiker, die ich halt kacke finde. Samy Deluxe hat auch einen Diss auf dem Album gekriegt, das heißt aber nicht, dass ich ihn hasse. Einfach mal wieder einen wegbeleidigen. Das macht doch jeder gerne mal, auch bei Genetikk. Bei denen ist das ja so: Würden die Jungs nicht so übertreiben mit ihrem Künstler-Gehabe, müsste ich sie auch gar nicht so haten. Selbst, wenn ich die Musik trotzdem nicht gut finde. Dieser Karuzo kann halt kaum rappen. "Achter Tag" klingt, als hätte er das unter Zeitdruck in zwei Tagen zusammengeschrieben. Er widerspricht sich permanent. Auf der einen Seite will er krass moralisch sein, auf der anderen verherrlicht er Markenkonsum aufs Übelste. Hauptsache, er quatscht auf Twitter darüber, wie Architektur ihn beim Schreiben der Texte beeinflusst. Alter, red doch keine Scheiße! Dadurch sind die eben noch unsympathischer geworden. Die sind nach zwei, drei okayen Alben komplett abgedreht und ich weiß nicht, wieso. Dieses krasse Künstlertum. Habt ihr euch zu oft Rocky und Kanye West angeguckt?
MZEE.com: Hörst du dir die Musik denn trotzdem an?
Crystal F: Klar. Ich will mir nicht nachsagen lassen, ich würde das ohne Grund runtermachen. Ich bin nur ehrlich. Ich sage auch, wenn ich etwas gut daran finde. Auf dem letzten Album war ein Song wirklich gut, die Beats sowieso ganz oft. Aber dann reden die auch wieder über so dumme Dinge: Setzen sich in Interviews und sagen, sie wollen nur mit Frauen Interviews führen, weil die mit weniger Logik rangehen. (überlegt) Krass, wie lange wir jetzt schon über solche Leute reden. Wieso unterbrichst du mich denn nicht?
MZEE.com: Ganz ehrlich: Wir wollten 30 bis 45 Minuten lang das Interview führen und sitzen jetzt seit anderthalb Stunden hier. Von meinen 13 vorbereiteten Fragen habe ich bisher zwei gestellt. Meine Chefin köpft mich sowieso, da kannst du dich auch mal stabil in Rage quatschen, ist jetzt auch egal.
Crystal F: Was hast du denn noch für Fragen gehabt?
MZEE.com: Ich habe ein Zitat für dich vorbereitet, ein paar Fragen zu dem YouTube-Account deiner Frau …
Crystal F: Über das YouTube-Ding habe ich in anderen Interviews aber auch schon gesprochen! Ich finde das gut, dass sich die Gespräche inhaltlich total unterscheiden, nicht wie so ein Fler-Interview über zweieinhalb Stunden und dann noch komplett unkritisch. Ich liebe ja "Carlo Cokxxx Nutten" und auch das erste Südberlin Maskulin-Tape, aber wenn er im Gespräch erzählt, dass sich Krankheiten nicht übertragen können … ciao. Egal. Welches Zitat hattest du?
MZEE.com: "Bis ein Radiosender meine Lieder spielt, werde ich alt und grau und sterbe im Bau" von "Klimpergeld". Kein Spaß, das wäre die zweite Frage im Interview gewesen, aber bei Frage eins sind wir schon abgeschweift. (lacht) Da wäre die Frage gewesen, ob du wirklich mal im Radio gespielt werden wollen würdest.
Crystal F: Geil. Aber nein, ich strebe nicht an, im Radio zu laufen. Beziehungsweise wäre es cool, wenn das passieren würde, aber ich würde mich niemals anpassen, damit meine Musik dort gespielt wird. Da gibt es kurz Shoutouts für Fler: Der meinte mal, er kann das nicht leiden, wenn man seinen Sound nur für solche Zwecke ändert. Den Hit auf Teufel komm raus zu schreiben.
MZEE.com: Für einen Hit muss man heutzutage eigentlich auch nicht mehr im Radio laufen.
Crystal F: Eben. Das neue Radio ist die größte Spotify-Playlist mit der höchsten Reichweite. Das ist genau das Gleiche. Du hast andere Regeln: Statt Schimpfwörtern im Radio geht es da halt nach Algorithmen, nach denen du dich richten sollst. Die Zeiten von so leichten Songs sind auch vorbei – Mütterficken ist Mainstream geworden.
MZEE.com: Das … ist eigentlich ein perfektes Schlusswort, oder?
Crystal F: Ich finde auch! Und ich ficke halt meine eigene Mutter, das ist der Unterschied. (lacht)
(Sven Aumiller)
(Fotos von Bastian Harting & Maiky Hewener)