"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Der Abend wurde zur Nacht, als mich das Intro von "HELLBOY" aus der nicht enden wollenden Suche nach neuer Musik riss. Eine verzerrte Gitarrenmelodie, schmutzige Hi-Hats, stumpfe Kicks und schließlich, nach einem gefühlt zweiminütigen Loop, setzt Lil Peep mit all seiner Sehnsucht in der Stimme zum ersten Verse an: "You don’t even know what I've been through." – Eine Line, die ihre volle Tiefe erst im Laufe der Jahre erreichen sollte.
Die aufrichtige Ehrlichkeit in seiner Stimme hat mich sofort berührt. Seine unpathetische Art erlaubt es ihm, einen von Versagensängsten, Depressionen und suizidalen Gedanken geplagten Charakter zu zeichnen, der gleichzeitig nahbar und doch ungreifbar wirkt: Er hat es geschafft, seine Probleme zu vermitteln, ohne dabei über sich selbst zu sprechen. Seine kratzige Stimme wird von verzerrten Gitarren und Drums untermalt, die seine innere Zerrissenheit musikalisch widerspiegeln. Er samplet diverse Indie-Rock-Bands wie blink-182, bedient sich aber, was die Drums angeht, klassischer Trap-Elemente. Dadurch lässt sich der Sound keinem bestimmten Genre zuordnen – und genau das hatte er während des Schaffensprozesses wahrscheinlich im Sinn. Als Künstler hat Peep früh erkannt, dass Grenzen menschengemachte Illusionen darstellen – als Mensch musste er sich genau diesen beugen. Der Tod ist auf seinem fünftem und letzten Mixtape ein wiederkehrendes Thema. In Anbetracht seines tragischen Ablebens sind es vor allem Lines wie "I don't wanna die alone right now, but I admit I do sometimes. These drugs are calling me, do one more line, don't fall asleep", die einen immer wieder treffen.
Nach seinem Exitus am 15. November 2017 ist das Tape erst mal tiefer in die Plattenkiste gerutscht. Trotzdem haben er und "HELLBOY" mich immer dann begleitet, wenn ich von niemand anderem begleitet werden wollte, weshalb die Platte auf ewig einen Platz in meiner Sammlung haben wird. "Move on, be strong" und "Rest In Peace", Peep.
(Jonas Jansen)