Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: Tua
"TUA – Wenn ich gehen muss (Official Video)". So steht es in der Beschreibung zu Tuas neuestem Clip. Doch was man zu sehen bekommt, ist kein klassisches Musikvideo – sondern tödliche Realität. Das ist der bittere Alltag von Sea-Eye. Einer Organisation, die sich für zivile Seenotrettung einsetzt, Flüchtende vor dem Ertrinken im zentralen Mittelmeer bewahrt und so bis heute bereits mehr als 14 000 Menschenleben gerettet hat. Auf der Homepage von Sea-Eye heißt es, dass ihr "Handeln eine Antwort auf die gescheiterte Migrationspolitik der Europäischen Union" ist, "die sich ihrer Verantwortung für die tausenden Todesfälle in ihrer direkten Nähe verweigert". Mit dem Video nutzt Tua seine Reichweite, um die Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Thema zu lenken, da es in den Medien aktuell wenig präsent ist. Er selbst geht dabei mit gutem Vorbild voran und spendet alle Einnahmen, die seit der Veröffentlichung der Single durch selbige generiert wurden, an den Verein. Wer auch etwas tun möchte, kann also den Song in Endlosschleife hören oder hier spenden.
Video: Tarek K.I.Z – Nach wie vor
Gewisse Menschen zu triggern, gehörte lange Zeit zum Tagesgeschäft von K.I.Z. Dass Tarek dazu auch ohne seine Kollegen imstande ist, zeigt er mit der dritten Video-Single zu seinem Soloalbum. Er wird darin durch eine Menge wütender Menschen geführt und landet vor Spitzenpolitikern der AfD. Die werden zwar nicht namentlich genannt, sind aber durch ihre Trademarks leicht zu erkennen. Statt auf seinen Prozess zu warten, befreit sich Tarek und besiegt alle Anwesenden. Das passiert auf den ersten Blick zwar brutal sowie mit jeder Menge Blut und Splatter – die Effekte und Schauspielerei sind aber bewusst so überzeichnet, dass man sie eigentlich nicht ernst nehmen kann. Jeder, der sich ansatzweise mit Spielfilmen auskennt, sieht außerdem deutlich die "Matrix"-, Tarantino- und "Kill Bill"-Anleihen, die HUSH & HYPE bei der Produktion haben einfließen lassen. Damit ist das Video von "Nach wie vor" ebenso stumpf wie die Mittel, derer sich AfD-Politiker zuweilen bedienen – und triggert genau die richtigen Leute.
Song: Cr7z – Ewigkeit
Das Alleinstellungsmerkmal des Rosenheimer Rappers Cr7z war – gerade auf seinen zahlreichen, aus dem tiefsten Untergrund heraus veröffentlichten Tracks – die schonungslose Deepness und Ehrlichkeit seiner Texte, die er stets technisch versiert präsentierte. Viele seiner letzten Releases waren jedoch vor allem vom Savas-typischen "Rap über Rap" geprägt, was nach kurzer Zeit redundant und eintönig wurde. Auf seinem neuesten Song "Ewigkeit" kehrt Cr7z zu seinen Wurzeln zurück. Kompromisslos stellt er sich seinen eigenen Schwächen und berichtet auf einem stimmigen Instrumental, das von Dj Eule produziert wurde, von übersinnlichen Erfahrungen. So regt er den Hörer zum Nachdenken über sich selbst an. Einerseits bleibt er dabei mit seiner Stimme stets ruhig, andererseits gelingt es ihm, einen starken Flow an den Tag zu legen und seine Message technisch anspruchsvoll vorzutragen. Er besinnt sich wieder auf die Stärken, die ihm allein vorbehalten sind. Und genau das macht diesen Track zum Highlight des Monats.
Instrumental: Plusmacher – Immun (prod. by The Breed)
Die richtigen Übergänge zu finden, ist essenziell für ein gelungenes Instrumental. Geradezu ein Paradebeispiel dafür ist der von The Breed produzierte Beat für Plusmachers neue Single "Immun". Er schafft es, von einem musikalisch eher orientalischen Intro zu einem richtigen Banger überzuleiten. Doch nicht nur das ist dem Producer besonders gut gelungen. Denn er hat einen Weg gefunden, die musikalische Untermalung des Songs absolut vielfältig zu gestalten, ohne dass sie überladen wirkt. Verschiedenste Melodieansätze finden im Hintergrund statt und harmonieren perfekt nebeneinander. Somit wirkt die Produktion an keiner Stelle langweilig und hat trotz des schlichten Drumsets absolutes Kopfnicker-Potenzial. In der Hookline taucht die orientalisch anmutende Melodie erneut auf und bildet eine Einheit mit den Drums, die absolut überzeugt. So besitzt "Immun" einen enorm mitreißenden Beat, der nicht nur aufgrund seiner Übergänge schon den Titel "Instrumental des Monats" verdient.
Line: Max Herre – Dunkles Kapitel
Alles vergessen, wieder reihen sie sich ein.
'Deutschland, Deutschland' und so weiter …
Die Meinungen zu Max Herres neuem Album mögen durchwachsen sein. Aber zumindest mit der Single "Dunkles Kapitel" hat der Stuttgarter alles richtig gemacht. Die Thematik, die Featuregäste, der düstere Beat und selbst das Video spielen perfekt zusammen. Und alles, um auf das aufmerksam zu machen, was Max Herre prägnant in wenigen Zeilen der Hook zusammenfasst: "Alles vergessen, wieder reihen sie sich ein." Der Rapper braucht keine großen Worte oder ausgeklügelte Metaphern, um das zu sagen, was so viele denken: Wir sind wieder an dem Punkt, an dem wir schon vor über 80 Jahren waren. Tragische Ereignisse dieser Zeit werden geleugnet. Blind wird wieder einer verwerflichen Ideologie gefolgt, statt Dinge kritisch zu hinterfragen. Wer eindeutigere Worte braucht zu dem, was gerade in diesem Land falsch läuft, muss sich nur "Dunkles Kapitel" in jeder vorhandenen Version anhören. Und wer nicht, der stimmt dann wohl ein in "'Deutschland, Deutschland' und so weiter …".
(Thomas Linder, Jakob Zimmermann, Michael Collins, Dzermana Schönhaber, Lukas Päckert)
(Grafik von Puffy Punchlines)