Jeder HipHop-Liebhaber kennt, hat und liebt sie: die Schallplatte. Es gibt sie im klassischen Schwarz, aber auch in bunt, transparent oder marmoriert. Das gepresste Vinyl ist mittlerweile schon fast 70 Jahre alt und nach wie vor sehr beliebt. Im Jahr 2018 wurden beinahe 30 Millionen Exemplare in Deutschland verkauft – trotz Streaminganbieter und Co. ist das eine beachtliche Menge. Irgendetwas hat sie einfach. Vielleicht ist es der warme Klang oder schlichtweg das Erlebnis, ganz bewusst Musik zu konsumieren. Das Lieblingsalbum nicht irgendwo in der U-Bahn-Hektik, beim Sport oder im Auto hören, sondern ganz entspannt zu Hause die Scheibe rausholen, auflegen und das Gesamtwerk auf sich wirken lassen. Und genau diese Lieblingsplatte ist meistens aus einem bestimmten Grund etwas ganz Besonderes. Deshalb haben wir zehn DJs gefragt: "Welche Platte ist die heiligste in deinem Besitz und warum?"
DJ Access: Ich habe glücklicherweise viele handsignierte Vinyls von diversen Künstlern zu Hause. Letztes Jahr war ich aber auf der "Weather or Not"-Tour von Evidence in Berlin. Die Energie war live so krass, dass ich als Fanboy nach dem Konzert eine Platte am Merch gekauft habe. Wir kennen uns über drei Ecken und daher signierte er sie mir noch. Eine schöne Erinnerung, da ich schon als Kid Fan war.
DJ Rookie: Meine heiligste Platte in den Crates ist definitiv "Amongst The Madness" von The Nextmen. Sie vereint einfach stilistisch alles, was ich feier'. Brutale Scratches, warme und drückende Boom bap-Beats gepaart mit überkrassen Samples. Definitiv eine zeitlose Platte, die sich jeder Head gegeben haben sollte. Und natürlich ist jede Vinyl von meinem MC Galv und jede, an der ich mitgewirkt habe, heilig.
Sepalot: Lyn Collins' "Think (About It)"-7-Inch-Single. Die Platte bedeutet mir sehr viel, weil sie für mich für Vieles steht. Ich habe sie vor Jahren auf einem Flohmarkt zwischen James Last und irgendeinem Klassiker gefunden. Sie ist nicht sonderlich selten, aber dass ich diese Originalpressung für eine D-Mark mit nach Hause nehmen konnte, hat mich süchtig gemacht, dem alten Vinyl hinterherzujagen. Ich war angefixt und kam mir vor wie ein Goldschürfer. Gleichzeitig ist auf dem Song einer der meistgesampelten Drum Breaks. Die ganze Sampling-Geschichte hat mich musikalisch bis heute schwer geprägt. Nach alter Musik suchen, verstaubte Perlen entdecken, obskure Breaks finden, die Klangästhetik – all das hat bis heute großen Einfluss auf mich. Es bestimmt sozusagen, wie ich Musik mache und auch höre. Diese Platte verkörpert all das für mich.
Sarah Farina: Eine Platte, die mir extrem viel bedeutet, ist das "Double Cup"-Album von DJ Rashad. Die LP ist von 2013 und wird einfach nicht alt in meinen Ohren. Rashad hatte so eine futuristische und innovative Herangehensweise, was das Flippen von Samples betrifft und Musikproduktion im Allgemeinen wie kaum jemand anderes. Seine Musik wird meistens in das Genre Footwork eingeordnet, aber für mich persönlich ist es mehr als das. Er hat so viele verschiedene Musikstile miteinander fusioniert und damit massenhaft unterschiedliche Musikliebhaber abgeholt und zusammengebracht. Das Footwork-Genre und der dazugehörige Tanzstil kommt aus Chicago und hat seine Wurzeln in House, Techno, Juke und HipHop. Rashad und DJ Spinn, sein DJ beziehungsweise Producer-Freund, waren mit unter den Ersten aus dieser Subkultur, die den Sound aus Chicago an ein größeres Publikum bringen konnten und damit ein weltweites Movement namens "Teklife" gestartet haben. Egal, wo ich auflege, wie groß oder wie klein der Ort oder die Stadt ist – es ist mindestens immer eine Person in der Crowd, die ein "Teklife"-Shirt trägt. Das spricht auf jeden Fall für sich. Eine der besten Clubnächte, die ich je erlebt habe, war im März 2013 dank Rashad. Wir haben gemeinsam im Berliner Festsaal Kreuzberg aufgelegt. Die Energie und Freude, die durch sein DJ-Set freigesetzt wurde, kann man nicht in Worte fassen. Ich werde ihm für immer dankbar sein, dass er meinen Musik- und DJ-Horizont mit seinen Tracks und vor allem mit dem "Double Cup"-Album so sehr erweitert hat. R.I.P. Rashad.
DJ Tomekk: Kurtis Blows "Christmas Rappin'". Kurtis nahm mich auf meine erste Tournee durch die USA mit. Ich war 18, wir trafen uns in einem Radiosender – KISS FM Berlin – und wurden Freunde. Ihm gefiel, dass ich den Beat auf zwei Platten halten und gleichzeitig ein Interview führen konnte. "Du bist einer der besten DJs der Welt", sagte er zu mir und kurz danach tourten wir zusammen mit Run DMC und LL Cool J durch Los Angeles und Las Vegas. Für mich als 18-Jähriger war das eine prägende Erfahrung, meine Ausbildung. Wir touren immer noch. Europa, Amerika. Es sind mehr als 25 Jahre vergangen, ich habe drei Millionen Platten verkauft, eine Grammy-Nominierung bekommen. Kurt und ich sind immer noch Freunde. Als ich krank war, blieb Kurt fünf Wochen bei mir. Ich besuche ihn in New York und Los Angeles. Gelegentlich stehen wir zusammen auf der Bühne. Es ist wie Weihnachten für mein Herz, zu sehen, dass auch bei einem Rap-Superstar wie Kurtis Blow das Menschliche vor dem Geschäftlichen steht.
DJ Danetic: Die heiligste unter all diesen heiligen? Schwierig, aber eine der heiligen drei königlichsten ist wohl immer noch Dr. Dres "The Chronic" von 1992. Eine meiner ersten Vinylscheiben und ein Geschenk meiner ersten Freundin. Abgesehen vom emotionalen Wert ist das Album für mich bis heute ein Meilenstein in Sachen Produktion und Lyricism. Snoop, Dr. Dre, RBX, Lady of Rage, Daz, Kurupt, alle haben abgeliefert. Höre ich heute noch gerne, ohne zu skippen.
DJ Katch: In einer Kleinauflage von 400 Vinyls erschien 1994 die "Ich diss Dich" von Konkret Finn. Ich weiß noch wie heute, wie ich als kleines Kiddie die Scheibe im damaligen HipHop-Recordstore Frantic von Roey Marquis kaufte. Es war der erste deutsche Rapsong, den ich in- und auswendig konnte und mit Sicherheit auch ein Grund, warum ich angefangen habe, selbst Musik zu machen. Battlerap war was komplett Neues und hat mich mehr angesprochen als diese lustigen Raps à la "Klaus, Maus, Laus" der anderen Rapper damals. Der Lokalpatriotismus wurde natürlich auch sofort aktiviert, da man alle Sprüche, den Frankfurt-Slang und die erwähnten Locations im Song kannte. Als ich Jahre später die Ehre hatte, mit Iz zusammenzuarbeiten, ließ ich mir die Platte natürlich signieren. Sie ist seitdem auf jeden Fall ein Highlight meiner Sammlung.
DJ Thomilla: Die Frage kann ich relativ gut beantworten, da ich erst letzten Monat alle meine Platten im Studio sortiert habe. Ich habe sie noch immer, die erste Vinylscheibe, die ich mir im Alter von neun Jahren mit meinem mühsam gesparten Taschengeld gekauft habe: Herbie Hancocks "Rockit" von 1983 als Maxi-Single. Diese Platte begleitet mich schon mein ganzes Leben lang. Bei meinen ersten Mix- und Scratch-Versuchen auf meinen Flohmarkt-Plattenspielern mit Riemenantrieb. Da war ich mittlerweile 13 oder 14 Jahre alt. Dann auf meinen ersten Technics SL-1210MK2-Turntables, die ich noch heute besitze, auf denen das Mixen und Scratchen auch endlich einigermaßen funktioniert hat. Das war während meiner kaufmännischen Ausbildung im Alter von ungefähr 17 Jahren. Eigentlich meine gesamte bisherige musikalische Laufbahn – mit erstem Studio, Sampling, Mixing, Producing, die ersten DJ-Bookings mit Partys. Der Sound und Style der Platte entspricht oft der Art und Weise, wie ich auflege und produziere. Es hat Wurzeln und Sound-Ästhetik von Soul, HipHop und vielleicht auch ein bisschen Jazz. Außerdem elektronische Elemente, Drum Machine, Synthesizer, analoge Klänge. Das Tempo liegt irgendwo zwischen dem klassischen HipHop-Tempo und dem elektronischer Dance Music. Außerdem Vocoder, Scratches und Samples, die verwendet und verfremdet wurden. Teilweise progressive Parts im Arrangement, vieles davon hat mich beim Musikmachen bis heute inspiriert und geprägt. Ich habe die Platte auf unzähligen Partys gespielt. Sie hat leider schon so viele Kratzer und das Cover fällt auseinander. Aber egal, was passiert, diese Vinyl wird für immer in meinem Besitz bleiben, bis sie zu Staub zerfällt.
DJ Boulevard Bou: Eigentlich habe ich keine richtige Lieblingsplatte, weil ich alle meine Platten liebe. Aber wenn ich eine Scheibe herausheben soll, muss ich sagen, dass mir eine 12-Inch-Maxi-Single seit dem ersten Tag besonders ans Herz gewachsen ist: "Still D.R.E." von Dr. Dre featuring Snoop Dogg. Der Song ist einfach ein absoluter Klassiker. Sound, Melodie, Text, Attitude, da passt einfach alles. Scott Storch und Jay-Z hatten ihre Finger mit im Spiel. Das Video zu dem Song ist irgendwie in alle Köpfe eingebrannt. Funktioniert auch heute noch auf jeder Party, ohne aus der Zeit gefallen zu wirken. Außerdem ist das Vinyl, das ich habe, hellgrün und durchsichtig. Das Auge mixt schließlich mit.
ESKEI83: Meine heiligste Platte ist unsere "Serato x Crispy Crust"-Kollaboration. Es mag ein bisschen seltsam klingen, hier ein eigenes Release aufzuführen. Aber diese Vinyl, die in einer Pizza-Schachtel daher kommt, Pizza-Slipmats dabei hat und außerdem von allen DJs, die mit Serato spielen, genutzt werden kann, um die DJ-Software zu steuern, war ein Meilenstein für mein Label Crispy Crust mit den Drunken Masters. Außerdem sind da auch noch sechs Releases drauf. Unter anderem "Rave" und "Fire" sowie unser erfolgreichstes Release "Love You More" von Ben Esser.
(Sabrina Heuler)
(Fotos von Christin Nitzsche (DJ Access), She Dortmund (DJ Rookie), Stefan Grau (Sepalot), Kate Kuklinski (Sarah Farina), Daniel Woeller (DJ Katch), Christian Mentzel (DJ Thomilla), Matthias Bedenk (DJ Boulevard Bou))