"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Vor Kurzem hörte ich zum ersten Mal folgende Frage: "Wer ist denn Joy Denalane?" Gestellt von einem jungen HipHop-Fan. Bei diesem Namen muss ich unweigerlich direkt an den Moment denken, als ich ihre Stimme zum ersten Mal gehört habe – auf "Esperanto" von Freundeskreis. Bisher dachte ich immer, keines der Alben des Summer of '99 benötige eine weitere Empfehlung, aber hier ist sie – für alle, die die Platte noch nicht kennen oder lange nicht gehört haben.
Der charakteristische Instrument-lastige Freundeskreis-Sound versetzt mich direkt zurück in diesen Sommer. Gedanklich sitze ich im Stuttgarter Schlosspark und trinke Cider. Die Beats von Don Philippe – zumeist basierend auf Soul-Samples aus den 70er-Jahren – und Cuts von DJ Friction untermalen die Gespräche mit Freunden. Auch "Esperanto" selbst hat, wie bereits durch die Wahl des Titels erkennbar ist, einen starken Community-Charakter. Mit dabei sind unter anderem Stress und Shurik'n sowie Afrob, Massive Töne und Samy Deluxe. Zwischen all diesen hochkarätigen Features beweist sich Max Herre auf dem zweiten Album der Band als ungemein vielseitiger MC. Ob er auf "Erste Schritte" vom Werdegang der Band erzählt oder uns mit "Sternstunde" zu mehr historischer Recherche anregt, als es jeder Geschichtsunterricht je vermocht hätte. Den emotionalen Höhepunkt bildet für mich allerdings eines der schönsten und doch unkitschigsten Duette der Rap-Historie: "Mit Dir". Das dazugehörige Video, das Max Herre und Joy Denalane frisch verliebt auf Santorini zeigt, tut sein Übriges und trägt bis heute dazu bei, dass das Künstlerpaar eine besondere Stellung im deutschen HipHop-Kosmos einnimmt.
"Bin nicht vom Tod umgeben, doch wurd' erzogen, hinzusehn', die Welt nicht hinzunehm', während Unrecht passiert," fasst die Message der Platte perfekt zusammen. Auch nach 20 Jahren ist diese noch hochaktuell. Daher ist das Album besser gealtert als viele andere aus meiner persönlichen deutschen Golden Era. Ob am Lagerfeuer mit Freunden oder im Winter mit Tee auf der Couch – es lohnt sich immer wieder, zuzuhören und sich von den Vibes entführen und zum Nachdenken anregen zu lassen.
(Kerstin Klein)