Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: Visa Vie
Rap ist seit jeher eine Möglichkeit gewesen, Meinungen zu politischen und gesellschaftlichen Themen zu vermitteln. Politische Zusammenhänge und differenzierte Stellungnahmen in einem drei-minütigen Song unterzukriegen, ist allerdings alles andere als eine leichte Aufgabe. Das ist auch der Grund, weshalb diese Thematiken heutzutage oft nicht ihren verdienten Platz in der Musik bekommen. Dasselbe dachte sich vermutlich auch Rap-Deutschlands bekannteste Moderatorin Visa Vie, weswegen sie nun bis zur Bundestagswahl am 24.09. mit einem neuen Podcast und Videoformat namens "Clarify" an den Start geht. Denn: Diese Wahl "geht alle etwas an" und Wählen gehen sei für sie "eine Pflicht". Da unserer Generation gerne nachgesagt wird, politisch desinteressiert und inaktiv zu sein, ist es umso wichtiger, Räume zu schaffen, in denen Denkanstöße gegeben werden können. Zusätzlich ist es ein gutes Ziel, die Definition dessen, was politisch ist und was nicht, immer wieder aufzugreifen. Dass Musiker so auch eine Plattform außerhalb ihrer Kunst bekommen, um über kontemporäre und relevante Themen zu sprechen, kann nur begrüßt werden.
Video: Zugezogen Maskulin – Was für eine Zeit
Zugezogen Maskulin sind zurück und lassen sich wieder lautstark über den gesellschaftlichen Status quo aus. Passend dazu statten sie ihren neuen Song "Was für eine Zeit" mit einem besonders verstörenden Video aus. Der Clip von Martin Swarovski unterstreicht in überzeichneter Form jene Themen, die ZM in ihren bisweilen ironischen und zynischen Texten ansprechen. Gewalt und Schrecken ist dabei allgegenwärtig: Während eine Gruppe Gefangener von Soldaten brutal misshandelt wird, rappt Testo auf einem Berg aus Leichen. Grim104 visualisiert seinen Part schon allein aufgrund seiner Moves und seines Blickes ähnlich furchteinflößend. Hinzu kommen ein vierbeiniges Monster in Yeezy-Sneakern und ein unersättlich fressender Mann mit VR-Brille. Der Zeitgeist wird in diesem bildgewaltigen Spektakel auf den Kopf gestellt. Was eigentlich als Technologie, Trend oder Jugendkultur gilt, offenbaren die Rapper als geißelnde Beschäftigungstherapie, die lediglich von den drängenden Problemen der Zeit ablenkt. Zugezogen Maskulins Clip zu "Was für eine Zeit" bleibt durch diese kompromisslose und bildhafte Darstellung lange im Kopf und schürt hohe Erwartungen für ihr neues Album, welches Ende Oktober erscheinen soll.
Song: 187 Strassenbande – Millionär
2017: Deutschrap floriert wie nie zuvor. Der Hype wächst und wächst und bringt neben den ganzen positiven Eigenschaften natürlich auch Negatives mit sich. Selten wurde Künstlern so viel Einfallslosigkeit und fehlende Kreativität vorgeworfen, denn immerhin wäre ja alles, was gerade im Hype ist, schlicht und ergreifend geklaut. Wie schön ist es da, dass es Leute wie die 187 Strassenbande gibt, die in Bezug auf solche Kritik wohl so ziemlich jedem Zweifel erhaben sind. Das beste Beispiel dafür ist "Millionär" von "Sampler 4". Ein düsterer Beat, klassische Gzuz- und Bonez-Parts mit gewohnt humorvoll pointierten Zeilen wie "Geh und kauf ihr tausend Rosen, doch sie schmeckt nach meinem Schwanz" oder "Die Bullen schieben Hass, aber die Straße hat mich lieb". Alles wie gewohnt: Doch das Merkmal, das den Song so großartig macht, ist die Hook. Mit ebenjener liefert Bonez eine geniale Eigeninterpretation von The Cranberries' "Zombie" ab und zaubert damit wohl jedem Hörer, der die Inspirationsquelle kennt, ein breites Lächeln ins Gesicht. Einfallslosigkeit oder mangelnder Ideenreichtum? Fehlanzeige. Die 187er zeigen mit "Millionär" gekonnt, wie viel Spaß deutscher Rap machen kann.
Instrumental: RAF Camora – Alles probiert feat. Bonez MC (prod. by Beataura & RAF Camora)
Produzent und Rapper sollten im Idealfall perfekt harmonieren – nur so kann das bestmögliche Ergebnis entstehen. Aus diesem Grund arbeiten Musiker wie Marteria seit Jahren mit den gleichen Producern zusammen. Es fördert ein Gefühl dafür, auf welchen Sound man sich einigen kann und wie man das beste Endprodukt erhält. Noch besser als eine langjährige Kooperation ist aber, seine Beats in Eigenregie zu basteln, weil man seine Ansprüche selbst am besten einzuschätzen weiß. Eine Herangehensweise, die RAF Camora in den letzten Jahren optimierte und sogar auf seinem neuen Song "Alles probiert" zum Thema macht. Dieses Mal schnappt er sich die Unterstützung von Beataura, um dem üblichen Soundbild von "Palmen aus Plastik" eine neue Facette zu verpassen. Die Afrotrap-Einflüsse vermischen sich mit einem düsteren Touch, was den neuen Song zwar weniger sommertauglich, aber dafür umso atmosphärischer wirken lässt. Die ruhigen Passagen gegen Ende, das für den Wiener typische "Krähen"-Sample – all das rundet das Gesamtbild perfekt ab und macht den stimmigen Beat von RAF und seinem Kollegen Beataura zum Instrumental des Monats.
Line: Weekend – Ich will dass irgendwas kaputt geht
Leute wie du, die fahren auch nach Malle.
Ich leih' mir deine Fresse und geh' Karneval als alle.
Weekend scheint mit dem Ist-Zustand der hiesigen Rapszene und der Gesellschaft im Allgemeinen alles andere als zufrieden zu sein. Dieser Umstand wird augenscheinlich, betrachtet man seine neue Single "Ich will dass irgendwas kaputt geht". Neben egozentrischer Oberflächlichkeit, übersteigerter Härte und fragwürdigen Vorstellungen von Ehre, kritisiert er in unserer Line des Monats Juli auch den Mangel an Individualität in Deutschland. Indem er von Mallorca als Urlaubsziel seines Adressaten spricht, evoziert er beim Hörer das Klischeebild des Schlager-grölenden-Ballermanntouristen, dem es an Intelligenz und gutem Geschmack mangelt. Auch der erwähnte Karneval passt zum Bild des unreflektierten Partygängers. Das Rudelverhalten, das oftmals von solchen Menschen an den Tag gelegt wird, steht im Kontrast zum Wunsch des Rappers nach kritischem Denken und individueller Haltung. Auch wenn der ganze Track einen zum Nachdenken anregen soll, ist er durchwegs mit dem für Weekend typischen sarkastischen Humor durchzogen. Dadurch wirkt sein Aufruf nach mehr Individualität weniger oberlehrerhaft und unterhält einen stattdessen bestens.
(Lennart Wenner, Florian Peking, Lukas Maier, Sven Aumiller, Steffen Bauer)
(Foto 3 von 187 Strassenbande)