Ist es normal, dass ich immerzu an meine Familie denke …
Doch sie nicht oft besuche, weil ich eben kein Familienmensch bin?
"Hikikomori" – so bezeichnet man in Japan das Phänomen, sich innerhalb der eigenen vier Wände von Mitmenschen und Gesellschaft fast vollständig isolieren zu wollen. Manch einer tut dies wohl aus soziophobischen Gründen, manch anderer, weil er sich dem Leistungsdruck nicht gewachsen fühlt. Und manchmal wollen sich zwei Künstler einfach nur für eine gewisse Zeit einsperren, um gemeinsam Musik zu machen. Ganz so wie Das W & Fehring Grau.
Inzwischen ist die Tür wieder entriegelt und beide kehren mit sechs Tracks zurück ans Tageslicht. Darauf präsentieren sie so ziemlich alles, was sie können – doch genau da liegt auch das Problem. Nach dem ersten Schritt "raus" wirkt alles noch "normal": angenehm ruhige Klänge, mit denen die Stimmen von Grau und W an genau den richtigen Stellen harmonieren und sich ergänzen. Man rappt und singt vom eigenen Innersten und davon, bis zum Äußersten zu gehen. Doch noch bevor diese Melancholie sich als Grundtonus einstellen kann, durchbricht "Kein Platz für Leben" mit seinem deutlich härteren, synthetischeren Beat die Ruhe. "Keine Menschenseele" führt die instrumentale Ästhetik kurz darauf in fröhliche, Maeckes-ähnliche Gefilde, nur damit "Für immer" sie dann direkt wieder in eine düsterere Atmosphäre zerrt. Wo jedes Lied für sich großartig funktioniert und zum Immer-wieder-Anhören einlädt, erzeugen die Tracks im Gesamtkontext der EP kein stimmiges Bild. Der recht schnelle Stimmungswechsel ist letztlich wohl zu sprunghaft, als dass er das Werk zusammenhalten kann.
Trotz eines inhaltlichen Grundthemas und des roten Fadens, den die Stimmen der beiden Protagonisten bilden, wirkt "Hikikomori" durch den zusammengewürfelten Charakter sehr unstet. Was schade ist, da jeder einzelne Track in sich stimmig klingt und – ähnlich wie Das W & Fehring Grau während der Produktion der EP – vor allem isoliert von allen anderen funktioniert.
(Daniel Fersch)