Pillath ist seit jeher bekannt für kräftige, dreckige Punchlines. Nach langjähriger Aktivität im Duo mit Snaga legte der Schalker eine sechsjährige Schaffenspause ein und widmete sich einer Laufbahn abseits der Musik. Er hatte zeitweilig keine rechte Lust mehr auf Rap und musste nach eigener Aussage einfach etwas anderes machen. 2016 trat dann aber die Kunst wieder in sein Leben: Pillath nutzte die Auszeit, veröffentlichte sein erstes Soloalbum "Onkel Pillo" und hat seitdem wieder Blut geleckt. Denn Anfang 2017 gab er seinen Vertriebsjob erst mal ganz auf und legte, nachdem er mit Eko Fresh im Herbst des letzten Jahres auf Tour war, gleich mit dem nächsten Release nach. Wir sprachen mit dem "Onkel der Nation" über den Einfluss seines Producers Gorex auf den bewusst zeitgemäßen Sound des neuen Albums, über die Entstehung und Hintergründe seines Storytelling-Tracks "Stummer Schrei" sowie sein gemischtes Verhältnis zur Politik. Außerdem verriet er uns seinen persönlichen Newcomer-Geheimtipp aus dem Ruhrpott.
MZEE.com: Während andere Rapper sich als King, Kaiser oder Imperator titulieren, hältst du es simpel "wie ein Onkel". Zu Beginn des Interviews würde ich gerne von dir wissen, was für dich denn die Position des Onkels in der Szene ausmacht?
Pillath: (grinst) Das haben schon viele gefragt, aber dieses Onkel-Ding hat sich von alleine entwickelt. Sicher kann man dahingehend ein paar Vergleiche ziehen, dass ich jetzt schon ein bisschen älter bin und auch deutlich älter als der ein oder andere Newcomer. Ich habe das Gefühl, dass das mit dem Alter bei den Rappern genauso ist wie bei den Fußballspielern. Die sind mit 25 schon alt und gehen mit 17 Jahren für 100 Millionen von A nach B. Das ist bei uns gerade auch so in der Rapszene. Zum Beispiel Eno und Soufian sind, glaube ich, nicht mal 18, wenn ich da nicht falsch informiert bin. Man kann da auf jeden Fall die Parallele zu meinem Alter ziehen, aber ich muss ehrlich sagen, dass ich mich nicht damit beschäftige, was mich als Onkel ausmacht.
MZEE.com: Du hast über dein aktuelles Album "Onkel der Nation" gesagt, dass es ein deutlich moderneres Soundbild hat. Man ist von dir über die Jahre ja einen gewissen musikalischen Stil gewohnt. Wie genau kann man sich dieses Soundbild also vorstellen? Wie viel Einfluss hatte dein Produzent Gorex auf dich?
Pillath: Gorex hatte einen großen Einfluss auf mich. Das ist auch der Grund, wieso ich ihn gewählt habe, das Album – bis auf eine Ausnahme – zu produzieren. Er hat mir den Sound von heute einfach nähergebracht. Ich war sechs Jahre lang komplett weg und habe auch kaum Musik gehört, was man beim Album "Onkel Pillo" vielleicht auch ein bisschen rausgehört hat. Ohne das negativ zu meinen, aber ich denke, dass ich mich bei dem Album rein vom Sound her irgendwo bei 2010 befunden habe. Ich bin kein Torch, der mit 45 klingt wie mit 20 … Da hatte ich keinen Bock drauf, weil: Du gehst mit der Zeit – oder du gehst mit der Zeit. Gorex ist einfach das komplette Gegenteil, er hört Rap erst seit drei Jahren und kommt eigentlich aus dem Rockbereich. Er hat mir das alles sehr nahegebracht und größtenteils finde ich den Sound von heute dadurch sehr geil. Es war nicht so, dass ich unbedingt so klingen wollte, weil sich aktuell alle so anhören. Gorex hat mich sehr in den ganzen Film von heute reingebracht, wenn man das so sagen darf … no homo. Es war mir wichtig, dass wir einen Sound kreieren, der mehr nach heute klingt. Das haben wir durch verschiedene 808-Elemente, was für das Album ein sehr großes Stichwort ist, Drums und Samples geschaffen. Bei den Samples war das ganz interessant, weil man die, die wir gepickt haben, auch ganz anders hätte aufziehen können. Man hätte die komplett auf 85 bis 90 BPM ablaufen lassen können, was vor sechs bis sieben Jahren ja noch Standard im Rap war. Wir haben das Album bewusst ins Heute transportieren wollen, vor allem was die BPM-Anzahl angeht. "Onkel der Nation" geht, glaube ich, bei 65 BPM los und hoch bis auf 140. Da ist von allem was dabei.
MZEE.com: Da dein Produzent sich erst seit drei Jahren kontinuierlich mit Rap beschäftigt: Hat er dich und die Album-Arbeiten somit auch durch andere Genres beeinflusst?
Pillath: Das eigentlich nicht. Er ist seit zwei bis drei Jahren sehr im Rap drin und hört so gut wie nur noch Rap. Derzeit macht er aber auch ein Album mit einer Metalband, mit der er schon seit Jahren zusammenarbeitet und die auch schon auf Welttournee war. Was er privat hört, ist aber schon sehr fixiert auf Rap, gerade auch, weil er jeden Tag mit einem anderen Rapper im Studio hängt. Ab und zu zeigt er mir Videos von irgendwelchen krassen Gitarristen, die soundso viele Anschläge in der Sekunde spielen können, aber das ist mir dann zu nerdig und unmusikalisch … Da bin ich dann raus.
MZEE.com: Gibt es trotzdem einen Stil oder einen experimentellen Ansatz, den du gerne mal ausprobieren würdest?
Pillath: (überlegt) Eigentlich nicht, wobei: Beim letzten Album wollten wir eine richtige Rocknummer machen, was ein bisschen in die Limp Bizkit-Ecke geht. Haben wir am Ende aber doch nicht mehr gemacht, weil das alles sehr aufwendig ist, eine komplette Rockband im Studio aufzunehmen. Dafür braucht man einfach einen gewissen Platz, um das in einer Booth zu recorden. Wir haben darüber schon mal gesprochen, aber müssen nun mal schauen, weil ich jetzt gerade noch bei meinem aktuellen Album bin.
MZEE.com: Wenn ich so darüber nachdenke, würde das auf jeden Fall zu deiner Stimme passen.
Pillath: Ich glaube auch, dass das scheppern würde. Wenn ich solche Sachen habe, dann ist ein Song dazu meistens in drei Minuten in meinem Kopf schon fertig. Das Ganze aber in die Booth zu bringen, kann dann ein bisschen länger dauern …
MZEE.com: Bleiben wir kurz beim Thema "Producing": Vor Kurzem haben wir zehn Produzenten die Frage gestellt, ob Producer im Allgemeinen zu wenig Anerkennung von Rappern bekommen und was der Grund dafür sein könnte. Wie ist da deine Sicht als Rapper?
Pillath: Ich glaube, das muss man aus zwei Winkeln betrachten. Die Rapper geben schon viel Credits an die Produzenten und würdigen sie auch. Ich zum Beispiel habe versucht, Gorex sehr in den Vordergrund zu stellen. Und wenn er Zeit hatte, war er auch bei meinen Interviewterminen dabei. Wenn ein Produzent ein ganzes Album produziert hat, dann soll er auch die Aufmerksamkeit dafür kriegen. Innerhalb der Szene ist es wieder was ganz anderes, denn für Produzenten hat sich in Deutschland noch nie einer interessiert, aber das war 2006 schon so. Vereinzelt gibt es Hörer, die darauf achten, aber du siehst unter ganz vielen Videos positive Kommentare zum Beat. Wer den Beat am Ende gemacht hat, interessiert die Leute in Deutschland einfach trotzdem nicht. Das ist was ganz anderes, als wenn ein Just Blaze früher eine Single für die Diplomats produziert hat oder wenn beispielsweise Timbaland, Dr. Dre oder Swizz Beatz mit am Werk waren, weil das direkt ein Hit wurde, nur weil der Produzent dabei war. Das hätte auch nur eine B-Produktion von denen sein können. Das gibt es hier in Deutschland nicht, aber ich kann dir nicht sagen, woran das liegt.
MZEE.com: Auf deinem aktuellen Album befindet sich der Track "Stummer Schrei", der die Geschichte und Probleme eines taubstummen Jungen erzählt. Am Ende des Videos wird darauf hingewiesen, dass in Deutschland ca. 80 000 gehörlose Menschen leben. Gibt es einen bestimmten Grund, aus dem es dir wichtig ist, diesen Menschen deine Stimme zu schenken?
Pillath: Der Song ist relativ früh entstanden. Ich glaube, sogar in der ersten Session, in der wir wirklich sehr produktiv waren. Wir hatten die Beats vom Intro und "Willkommen im Affenhaus" schon gemacht und saßen dort gemeinsam mit Sami, unserem Sänger und Alex, der das Piano eingespielt hat. Alex spielte ein bisschen auf dem Klavier rum und auf einmal war die Melodie da, die wir ausbauen wollten. Ich wollte dafür aber ein krasses Thema haben und nicht zum hundertsten Mal einen dieser "Bruder, Kopf hoch"-Tracks, weil ich das einfach schon oft hatte. Genau wie die Themen über Tod und Selbstmord zu Snaga & Pillath-Zeiten. Gorex kam erst auf die Idee, für den Track eine Story über einen Typen zu erzählen, wo am Ende rauskommt, dass er blind ist. Das hab' ich nicht so verstanden. (grinst) Mir kam dann die Idee von dem taubstummen Jungen, was auch noch nie einer im Deutschrap gemacht hat. Das hat eine überkrasse Dramatik, weil ein Taubstummer den Track nicht hören kann und wenn ich selbst taubstumm wäre, hätte ich in meinem Leben nie Musik machen können. Wir haben das dann gemeinsam eine halbe Stunde richtig hochgespielt und überlegt, was man alles nicht machen kann, weil man nicht hören und nicht reden kann. Damit hatten wir die Idee, dass wir einen Track über einen Typen machen, der nicht sagt, was er denkt oder fühlt, weil er seine Zähne nicht auseinanderkriegt – und ganz am Ende kommt raus, dass er seit Geburt taubstumm ist. Nach dem Videodreh habe ich überlegt, ob ich nicht noch was zu dem Text am Ende des Videos hinzufügen soll: Sowas wie "Möge der Song ihm eine Stimme geben", aber das war mir dann doch alles zu pathetisch. Ich wollte am Ende bewusst darauf hinweisen, weil es ein krasses Thema ist. Wenn du es von klein auf nicht anders kennst, kannst du natürlich damit anders leben, aber wenn ich selbst von heute auf morgen nicht mehr hören und sprechen könnte, würde ich mich, denke ich, erschießen.
MZEE.com: Ich habe aus dem Track ein Zitat für dich mitgebracht: "Und ich finde tausend Worte für dich. Sprech' sie aus, doch hör' sie nicht. Schrei' sie, doch du hörst mich nicht." – Wann hast du dich das letzte Mal in einer solchen Situation wiedergefunden, dass deine Meinung beziehungsweise deine Stimme auf kein Gehör stieß?
Pillath: Jedes Mal, wenn ich mit meinem Label spreche. (lacht) Nein, das war bestimmt, als ich noch normal gearbeitet und irgendein Mitarbeitergespräch geführt habe und im Nachhinein feststellen musste, dass es nicht so angekommen ist, wie ich es vermittelt habe. (grinst) Da fehlt aber die Dramatik, um den Vergleich zum Song zu ziehen. Staiger hatte mich auch mal gefragt, ob es ein autobiografischer Song ist, der die Parallele zu dem unverstandenen Kind zieht. Aber das war bei mir nicht so, weil ich eine relativ coole Kindheit hatte, was meine Eltern angeht. Wenn es um wirklich wichtige Themen geht, bin ich ein gut verstandener Mensch, denke ich.
MZEE.com: Wie betrachtest du als "Onkel der Nation" denn die Entwicklung in der deutschen Gesellschaft und Politik in der jüngeren Vergangenheit?
Pillath: Ich muss ehrlich sagen, dass ich versuche, mich soweit es geht aus Politik rauszuhalten. Eko hat mich auf der Tour versucht, da ein bisschen reinzuziehen, weil er ja voll der Politikfreak ist und ich mir nachts im Tourbus auch die TV-Debatte zwischen Hillary Clinton und Donald Trump anhören musste, die live gestreamt wurde. Das hat mich danach wieder dazu bewegt, weniger mit Politik zu tun haben zu wollen. Ich kann dir zum Beispiel nicht sagen, wer in welchem Bundesland Ministerpräsident ist. Da hab' ich keine Ahnung von. Nichtsdestotrotz kriege ich die Themen mit, die im Alltag passieren und mit denen du konfrontiert wirst, wenn du dich nicht in deiner Wohnung abschottest und am sozialen Leben teilnimmst. (grinst) Das sind bei uns im Ruhrgebiet Themen wie Arbeitslosigkeit und das Schwinden des Mittelstandes, weil die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird. Ansonsten natürlich die Flüchtlingsthematik, denn wir haben im Ruhrgebiet auch sehr viele Flüchtlinge untergebracht, was ich nicht wie andere schlimm finde. Viel schlimmer ist, wie Leute damit umgehen und alles über einen Kamm geschoren wird. Je mehr ich mich mit solchen Themen beschäftige, desto schlechtere Laune kriege ich, deswegen mache ich das so selten wie möglich. Auf der anderen Seite kann man da sagen: Wenn sich nie einer damit beschäftigt, wird auch nie etwas besser, aber ich bin da zu ignorant. Ich schaue, dass ich da weiterhelfe, wo ich kann. Zum Beispiel habe ich zu der Zeit, in der ich gearbeitet habe, Leute eingestellt, die wahrscheinlich kein anderer eingestellt hätte. Manchmal war das von Erfolg gekrönt, oft leider auch nicht. Ich gucke einfach, dass ich meinen Teil zu einem besseren Miteinander beitragen kann, aber ich bin nicht der, der die Welt retten muss.
MZEE.com: Welchen Ratschlag würdest du den Deutschen mit Blick auf die bald anstehende Bundestagswahl mit auf den Weg geben, wenn du könntest?
Pillath: Es ist natürlich ein bisschen heuchlerisch, wenn ich mich dafür nicht interessiere, aber den Leuten sage, sie sollen sich damit beschäftigen und wählen gehen. Aber genau das ist es ja. Vielleicht bin ich da einfach ein bisschen bauernhaft unterwegs, indem ich sage, dass es egal ist, ob der eine oder der andere Verbrecher da steht … so wird ja gerne mal bei uns geredet. (lacht) Wichtig ist, dass solche Erscheinungen wie die AfD nicht noch mehr Macht bekommen, weil das irgendwann sehr gefährlich werden kann. Das haben wir in Deutschland schon mal erlebt und das macht es umso kranker, dass wieder so ein "Hype" entsteht und die bei irgendwelchen Landtagswahlen 20, 30 Prozent erzielen. Ich nehm' mir das aber schon seit Jahren vor, dass ich mich bei der nächsten Wahl mal richtig einlese und mich schlaumache. Ich gehe schon immer wählen, aber das ist eher mit einem Halbwissen. Ich sag' dir ganz ehrlich: Bevor viele Leute nicht zur Wahl gehen und die, die es tun, AfD oder Ähnliches wählen, rate ich allen einfach, alles außer diese Parteien anzukreuzen. Das kann nicht noch mal vorkommen in Deutschland, das darf nicht passieren.
MZEE.com: Vor fast genau einem Jahr hast du deinen wohl politischsten Song "Kranke Welt" zusammen mit Fard veröffentlicht. Wie siehst du die Entwicklung circa ein Jahr später? Um was würdest du die Message des Songs ergänzen wollen?
Pillath: Das kannst du jede zweite Woche ergänzen und das wäre nur die Spitze des Eisberges, weil es nur das wäre, was die deutschen Medien uns erlauben, zu sehen. Wenn man mal überlegt, was in der Welt noch so alles passiert, wovon wir hier gar nichts mitkriegen … Von daher könntest du den Song jedes Jahr neu rausbringen mit drei Strophen und mehr als 16 Bars pro Strophe, weil es kein Ende nimmt und es an allen Ecken und Enden rappelt. Egal, ob das Terror, Amokläufe, Ehrenmorde oder Gott weiß was alles noch ist. Jedes Mal, wenn du die Nachrichten einschaltest, kommen neue Hiobsbotschaften, deswegen gucke ich auch so wenig Nachrichten. Den Song könnten ich und fünf weitere Rapper jedes Jahr weiterführen und da würden sich keine Themen wiederholen.
MZEE.com: Du hast zusammen mit Snaga über die Jahre hinweg immer wieder aufstrebende Künstler aus dem Ruhrgebiet gepusht. Deshalb hätte ich zum Abschluss gerne einen Geheimtipp für einen aktuellen Newcomer aus dem Pott.
Pillath: (überlegt) Haben wir einen aus dem Pott? Doch, aber ich weiß nicht, ob ich den schon sagen darf. (lacht) Es gibt einen krassen Dude, der auch gerade mit Gorex arbeitet, der heißt Bato. Er wird sehr bald kommen und ziemlich rasieren. Den kennt man wirklich noch gar nicht, ich selbst kannte ihn bis vor anderthalb Monaten auch noch nicht. Er ist ein vielversprechender Typ, der, was Rap und Gesang angeht, sehr musikalisch talentiert ist. Ich glaube, der wird gut ankommen, er trifft auch den Zeitgeist als junger Typ. Da erwarte ich sehr viel von! Wenn wir aus dem Ruhrpott rausgehen, muss ich jemanden nennen, den ich bei dieser Frage in allen Interviews immer vergessen habe. Ich find' Bausa überkrass! Der hat in den letzten Monaten drei Videos veröffentlicht, war mit Capo unterwegs, baut gerade seinen YouTube-Channel neu auf und hat bei Warner direkt als Majorsigning unterschrieben. Ich glaub', von dem können wir noch viel erwarten. Wobei ich die Sachen, die er jetzt schon rausbringt, überkrass finde vom Sounddesign und vom Musikalischen her. In meinen Ohren ist das schon Amerika-Niveau.
(Laila Drewes)
(Fotos von Mario Andreya)