"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Der Großstadtdschungel Berlins ist kein gewöhnlicher. Es bedarf schon eines ganz besonderen Getiers, um hier den Überblick zu behalten. Und so schwingt sich der letzte echte "Stadtaffe" im September 2008 durchs Dickicht der deutschen Hauptstadt. Was Seeed-Member Peter Fox dabei beobachtet, geht über die üblichen Einblicke eines Touristen hinaus. Er sieht seine Heimat in den verschiedensten Facetten, zieht mit Afterhour-Bierchen durch die engen Gassen und betrachtet die "Ratten, die sich satt fressen im Schatten der Dönerläden".
Die moderne Berlin-Hymne "Schwarz zu Blau" hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Denn es sind genau diese Einblicke in eine "ganz schön schreckliche" Stadt, die einen aufhorchen lassen. Durch diesen ungewohnten Erzählstil wird im Laufe der Spielzeit der Opener "Alles Neu" nicht nur zum Slogan eines Kreuzbergers, der seinen Lebenswandel auf Albumlänge präsentiert. Vielmehr steht er, wie das gesamte Release, für die Restaurierung eines ganzen Genres. Peter Fox bricht als einer der ersten Künstler mit sämtlichen, damals gültigen Rap-Dogmen, vermischt Dancehall und HipHop mit zahllosen anderen Einflüssen – und trifft entgegen aller Erwartungen damit genau den Zeitgeist. Zwischen der poppigen Hymne zum jüngsten Gericht und düsteren Ausführungen über Peters "zweites Gesicht" gibt es auf dem Album keine Sekunde zum Verschnaufen. Das für den Sound zuständige Produzenten-Team The Krauts und Peter Fox entführen den Hörer auf eine abwechslungsreiche Rundreise. Nicht nur durch die deutsche Hauptstadt, sondern in erster Linie durch die Musikwelt.
Bis heute ist "Stadtaffe" für mich eines der herausragendsten Storyteller-Alben überhaupt. Vor allem die Leichtigkeit, mit der das Werk noch heute zeitgemäß erscheint, wirkt beeindruckend. Genauso beeindruckend wie der Abdruck, den Peter Fox mit nur einem einzigen Soloalbum in der deutschen Raplandschaft hinterlassen hat.
(Sven Aumiller)