Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir in jedem Quartal an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: MC Smook (Veröffentlicht: 05.09.2016)
Die HipHop-Kultur im Allgemeinen entwickelte sich bekanntermaßen unter anderem aus sozialen Missständen, der Black History sowie dem Zuwanderungsgeschehen in den USA heraus. Daher wohnte Rapmusik schon immer auch eine politische Komponente inne. So ist es nicht verwunderlich, dass auch deutscher Rap die hiesige Politik thematisiert und Künstler Stellung beziehen. Zumindest sollte es so sein. Denn wenngleich Rapper sich selbst gerne als Spiegel der Gesellschaft sehen und über das reden, was sie gerade beschäftigt, schien bisher ein beachtlicher Teil der Szene einen Bogen um die gerade recht angespannte politische Lage zu machen. Dennoch gibt es natürlich auch die Rapper, die sich deutlich mit Rassismus und Wutbürgerbewegungen auseinandersetzen und eine klare Haltung gegen PEGIDA und AfD einnehmen. Mal passiert dies innerhalb der Musik, mal in Interviews oder durch Öffentlichkeitsarbeit. Mal sind die Aussagen diplomatischer und allgemeiner, mal direkter und aussagekräftiger. Doch nur wenige brachten ihre Meinung bisher so einfach und treffend auf den Punkt wie MC Smook: "Wähl nicht die AfD". Auch wenn der ursprüngliche Track schon vor einem halben Jahr veröffentlicht wurde, scheint er gerade aktueller denn je und bedarf in seiner Einfachheit kaum weiterer Erklärung. Und wo die Originalversion "nur" durch einen Videospiel-inspirierten Beat und vor allem seine Aussage bestach, punktet das im September veröffentlichte Video besonders durch den Gastbeitrag von Renate Lohse zusätzlich in Sachen Hörgenuss mit Ohrwurmqualität. Mit Zeilen wie "Kreuz für AfD ist so 1933" scheint Smook der AfD dabei tatsächlich ein Dorn im Auge zu sein, beachtet man den vom Rapper selbst veröffentlichten Screenshot, in dem er von der Parteivorsitzenden Frauke Petry aufgefordert wurde, den Track zu löschen. Da wünscht man sich fast mehr Rapper, die so deutlich ihre Meinung vertreten und sich ihrer politischen Verantwortung bewusst werden. Andererseits liegt es auch bei jedem Einzelnen, sich bei anstehenden Wahlen eigenverantwortlich zu zeigen und den Vorschlag von MC Smook und Renate Lohse zu beherzigen: "Wähl nicht die AfD".
Video: Beginner – Es war einmal …
Von dem großen Comeback der Beginner kann man halten, was man will – da gehen die Meinungen weit auseinander. Was man allerdings nicht einfach ignorieren sollte, ist ihr Video zu "Es war einmal …". Bereits der Track an sich vermittelt die Biografie der Beginner und ist geschmückt mit zahlreichen Anspielungen auf ihre größten Hits. Und genau diese verspielte Verbindung von Message und Gimmicks setzt Regisseur David Aufdembrinke auch im dazugehörigen Video perfekt um. Nur, dass er eben Tagesfernsehen mit zahlreichen Cameo-Auftritten verbindet. Ob es nun Gzuz als kaum wiedererkennbarer, gepflegter Streber oder Oliver Kalkofe in einem für sein eigentliches TV-Format üblichen Kommentar zum Track ist – die Liste der prominenten Gäste ist endlos lang. Doch damit nicht genug, denn auch der Aufbau des Videos selbst ist eine Augenweide. Angelegt als wildes Zapping durch das TV-Programm, wechselt man zwischen Referenzen auf die Beginner und einer gewissen Satire gegenüber dem heutigen Fernsehen hin und her. Und nebenbei gibt es noch solch liebevolle, amüsante Kleinigkeiten wie die Korrektur des Slogans einer bekannten Partnervermittlung zu entdecken. Bei so detailverliebter Arbeit muss man das Video einfach mal gesehen haben.
Song: RAF Camora & Bonez MC feat. Gzuz – Mörder
Die Wahl zum Song des Quartals bietet einigen Spielraum, denn viele Werke haben etwas ganz Eigenes, wodurch sie hörenswert werden. Mal gibt es eine Single, die ein heiß erwartetes Comeback einläutet, mal kommt ein anderes Musikstück mit einer ganz besonderen Message daher. So oder so wird eine Auskopplung oft millionenfach gehört und versetzt einen Großteil der deutschen Rapfans in Euphorie. Häufig ist das Rezept für einen Hit sehr simpel: Der Song muss einfach nur laut sein und dafür sorgen, dass man nicht die Füße still halten kann. So geschehen mit der Single "Mörder" von Bonez MC & RAF Camora zusammen mit Gzuz. Hier wurde das einfache wie geniale Rezept konsequent und sehr wirksam umgesetzt. "Mörder" zeichnet sich durch einen sehr eingängigen und schnellen Beat sowie eine absolut krasse Ohrwurmhook aus. Bonez und RAF liefern obendrauf gleich noch ihre Meinung zur immer wieder aufkochenden Realness-Debatte und machen deutlich, dass sie "Freizeit-Soldiers im Undercut-Look" nicht "ein' Prozent ernst" nehmen. Kürzer und besser, wie die beiden es mit dieser Single machen, kann man ein Statement eigentlich nicht verpacken. Zu guter Letzt krönt Gzuz den Track mit einem für ihn typischen Part. In diesem verfehlt er zwar das Thema – allerdings spielt das keine große Rolle. Die betont asoziale und zugleich humorvolle Art machen seinen Beitrag zu einem absoluten Knaller, den man nach ewigen Sessions im Loop wahrscheinlich auswendig kann.
Instrumental: Casper – Lang lebe der Tod (prod. Markus Ganter)
Als Beatproduzent in Deutschland hat man es eigentlich ganz leicht. Für den passenden Oldschool-Sound braucht man ein langsames Jazz-Sample mit knallender Snare, für die richtigen Trap-Anleihen bedient man sich einfach an der guten alten "808s & Heartbreak"-Kiste – und für viele Rapper scheint das auch 2016 noch zu reichen. Der Minimalismus vieler Produzenten wirkt in der riesigen Rap-Landschaft häufig zu eintönig, auf Dauer gar langweilig. Markus Ganter hingegen liefert seit Jahren den genauen Gegenpol dazu. Als Produzent von "Hinterland" demonstrierte er bereits, wie pompöser Pop-Sound auf reichlich Pathos trifft und dabei immer noch eingängig und einzigartig klingen kann. Ein Soundkonstrukt, an das er mit "Lang lebe der Tod" einwandfrei anschließt. Hier treffen bombastische Drumsets auf eine Spur kanyesken Größenwahn, um ein druckvolles, dunkles und erdrückendes Soundbild zu erschaffen. Ganters Instrumental harmoniert gut mit der kratzigen Stimme von Casper und ergänzt den düsteren Vibe der ganzen Single perfekt. Hinzu kommt die ruhige, gar verspielte Art, mit der Caspers Feature-Gäste auf der Hit-Single in Szene gesetzt werden. Man merkt einfach, dass an jeder Sekunde gefeilt und geschliffen wurde – das genaue Gegenteil zum deutschen Beat-Minimalismus eben.
Line: Chima Ede – Fick die AfD
Wir sind zu weit gekommen, um zurückzukehren.
Bleiben wir doch mal konstant, dieser Rückschritt nervt.
Durch Europa und die USA geht momentan ein Rechtsruck, der sich nicht leugnen lässt. In Deutschland äußert sich dieser primär durch den aktuellen Erfolg der AfD. Nun steht HipHop im Gegensatz dazu für Weltoffenheit und ein friedliches Miteinander. Es ist enorm wichtig, dass diese positiven Grundwerte der Kultur regelmäßig nach außen kommuniziert werden, da sie bei all dem Gossip um szeneinternen Beef schon mal in Vergessenheit geraten. Einer, der das zum wiederholten Male getan hat, indem er sich in seiner Musik explizit gegen rechtes Gedankengut stellt, ist Chima Ede. Der junge Berliner macht auf "Fick die AfD" deutlich, dass er nicht viel von der rechtspopulistischen Partei hält. Für ihn steht sie vor allem für eines: Rückschritt. In Zeiten der multikulturellen Gesellschaft plädiert er dafür, weiter zusammenzuwachsen und keinen Hass zu schüren. Mehr Macht für die AfD bedeutet hingegen vor allem, dass die Menschen sich voneinander entfernen. Gegenseitiges Verständnis, friedliches Miteinander und gesellschaftliche Integration werden bei dieser Entwicklung immer schwieriger. Im Gegenzug entsteht dabei eine Fremdenfeindlichkeit, die in ihrer extremsten Form vor weniger als einhundert Jahren in Deutschland zum Nationalsozialismus geführt hat. Chima leistet mit seinem Track einen Beitrag dazu, dass positive gesellschaftliche Entwicklungen nicht so einfach von ein paar frustrierten, selbstsüchtigen Konservativen negiert werden können.
(Daniel Fersch, Lukas Päckert, Benjamin Borowitza, Sven Aumiller, Steffen Bauer)
(Fotos von David Königsmann (Beginner), Christian Alsan (Casper), DungD2N (Chima Ede))