HipHop gleich Rap – oder? Zugegeben: Rapmusik nimmt einen großen Teil der Subkultur ein, was wohl auch ein Stück weit am stark angestiegenen "medialen Hype" der letzten Jahre liegt. Doch in Zeiten, in denen Sprechgesang regelmäßig die Charts anführt, rückt der ursprüngliche Community-Gedanke – zumindest oberflächlich betrachtet – zusehends in den Hintergrund. Dabei gibt es nach wie vor genug Menschen, deren Schaffen fernab von Booth und MPC stattfindet und die ihrerseits einen nicht unerheblichen Beitrag zur HipHop-Kultur leisten. In dem MZEE.com-Format "Das hat mit HipHop was zu tun" wollen wir ebendiese Leute zu Wort kommen lassen, die sich in irgendeiner Form, vielleicht sogar aus einer tatsächlichen Leidenschaft heraus, mit HipHop auseinandersetzen, als "Nicht-Rapper" jedoch selten im Rampenlicht stehen.
Beim Gedanken an die eigene Kindheit werden die meisten von uns wehmütig an eine im Grunde sehr glückliche Zeit zurückdenken. Dass Erwachsenwerden nicht immer eine Aneinanderreihung von Späßen ist, vergessen wir dabei allzu leicht. Nicht so Julian Jeromin. Der heute 26-Jährige erkrankt im Alter von 17 Jahren an Leukämie. Nach der Diagnose verbringt er einige Monate in der Kinderkrebsstation der Uniklinik Münster. In dieser Zeit kommt er intensiv in Kontakt mit anderen erkrankten Kindern und Jugendlichen und erlebt deren teils tragische Schicksale mit. Seine eigene Erkrankung kann erfolgreich therapiert werden – andere haben jedoch nicht so viel Glück: "Ich sah Kinder, denen ein Bein amputiert wurde. Kinder, die mit gerade mal acht Jahren mit der zweiten Tumorerkrankung wieder ums Überleben kämpfen mussten. Und Kinder, die es nicht geschafft haben … Mit so einer Erkrankung wird man mit einem Schlag erwachsen – egal, wie alt man ist."
Diese Zeit und die damit verbundene intensive Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod prägen den jungen Mann nachhaltig. Er beginnt, sich Gedanken über die Prioritäten zu machen, die er in seinem Leben setzen wird. Klar ist: Das Thema "Krebs bei Heranwachsenden" lässt ihn nicht mehr los. Nach zwei Jahren ist seine Leukämie besiegt und der mittlerweile Volljährige beginnt, sich in seinem neuen, gesunden Leben einzurichten. Er beschäftigt sich nun professionell mit Video und Film, startet mit JerominFilms seine eigene Firma. Außerdem gründet er mit Hilfe seiner Familie die "Jeromin Kinderkrebshilfe". Deren Ziel ist "die Unterstützung und Verbesserung der Lebensqualität von krebskranken Kindern und deren Angehörigen. Die Jeromin Kinderkrebshilfe e.V. sammelt dazu direkt Spenden und organisiert verschiedene, spannende Projekte, über die weitere Einnahmen für den Vereinszweck erzielt werden sollen". Die Idee für RAP4AID entsteht, als er mit befreundeten Rappern erste "Untergrund"-Rapvideos produziert. Jeromin erweist sich als talentiert, dreht kurz darauf bereits mit namhaften Künstlern wie PA Sports, Massiv, Alpa Gun, Nazar und Kontra K.

Inspiriert durch AGGRO.TVs "Halt die Fresse"-Videos, denkt er über ein ähnliches Format nach, setzt die Idee aufgrund diverser bestehender Formate aber nicht um – bis ihm aufgeht, dass er auf diese Weise "wohltätigen Rap" ermöglichen könnte. Damit schlägt der HipHop-Fan Jeromin zwei Fliegen mit einer Klappe. "Ich wollte den Nicht-Raphörern zeigen, dass diese harten Typen auch alle ein Herz besitzen und sich gemeinschaftlich für die gute Sache einsetzen", begründet er die Motivation, gerade mit rougherem Rap einen wohltätigen Zweck zu verfolgen. Durch seine Kontakte, besonders in die Straßenrap-Szene, kann Jeromin zahlreiche Rapper für seine Idee gewinnen. Diese performen daraufhin einzelne Verses oder ganze Songs, welche von dem Münsteraner aufgenommen und hochgeladen werden. Die daraus erzielten Einnahmen sollen anschließend gespendet werden. So entstehen etliche Videos, unter anderem mit Megaloh, SSIO, Kontra K und Vega.
Das Projekt scheint ein voller Erfolg zu werden. Doch plötzlich gibt es unerwartete Schwierigkeiten. Die Organisation, an die Jeromin spenden möchte, will das Geld nicht haben, da es scheinbar ethische Probleme mit dessen Herkunft gibt: "Sie könnten keine Spenden aus Projekten entgegennehmen, bei denen in Videos eventuell frauenverachtende – hier würde vermutlich schon das Wort 'Bitch' reichen – Texte oder gegebenenfalls rauchende Personen zu sehen oder hören wären." Damit scheint Straßenrap, bei dem zumindest das Kokettieren mit einer gewissen Härte und Furchtlosigkeit, die sich auch im sorglosen Umgang mit Rauschmitteln niederschlägt, plötzlich nicht mehr geeignet. Jeromins Projekt steht auf der Kippe. Mit der Kinderkrebshilfe Münster findet sich dann doch ein kooperationswilliger Partner. Mit Spendensammelaktionen und Charity-Auktionen auf eBay gelingt es Jeromin, weitere Gelder zu erhalten. Insgesamt kamen so bislang 10.000 Euro zusammen, mit denen die Münsteraner Toskana- sowie Skifreizeit mit jeweils 5.000 Euro unterstützt werden sollen. "Dort wird den Kindern durch die gemeinsame Zeit während der Genesung und nach der Therapie die Gelegenheit geboten, ihre Erlebnisse sowie die schweren körperlichen und seelischen Belastungen der Krankheit zu verarbeiten und sich auszutauschen", erklärt Jeromin dazu.

Dennoch hat er das Projekt RAP4AID auf Eis gelegt. Denn neben der zunehmenden Belastung, der negativen Seite von Jeromins beruflichem Erfolg, funktioniert die Zusammenarbeit mit Künstlern oftmals nicht gut, da sie "einen vereinbarten Dreh mal eben platzen lassen" oder anderweitig unzuverlässig sind. Somit übersteigt die nötige Arbeit mittlerweile die Kapazitäten einer einzelnen Person. Es bestünde auch die Möglichkeit, einfach ganze Musikvideos zu spenden – jedoch macht sich kaum ein Rapper den Aufwand, ohne am Ende vom Erfolg seines Videos selbst profitieren zu können. Auch die Erlöse des Projekts "Hoffnung", einem von Jeromin, der Gestalterin Sarah Bühler und einigen renommierten Fotografen designten Kalender, der 2016 in zweiter Auflage erscheint, werden gespendet. Das Projekt zu unterstützen, kann also auf verschiedensten Wegen erfolgen. Viele Menschen beschäftigen sich mit dem Thema "Krebs" jedoch äußerst ungern, wie der Kameramann selbst bemerkt. "Es ist halt leider oft so, dass ich, wenn ich ein Bild von Essen oder Urlaub im Internet poste, wesentlich mehr Likes bekomme als für ein Foto von einer Charity-Aktion", stellt er fest. Julian Jeromin ist aber nach wie vor entschlossen, anderen aktiv zu helfen – und kann dabei jede Hilfe gebrauchen.
Unterstütze die "Jeromin Kinderkrebshilfe" hier.
(Jonathan Rogg)
(Fotos: Julian Jeromin)