"Okay – was habe ich verpasst?" Eine Frage, der wohl jeder von uns schon einmal begegnet ist. Egal, ob man sie selbst gestellt hat oder mit ihr konfrontiert wurde. Manchmal kommt einfach der Zeitpunkt, an dem man sich vor allem eines wünscht: "Bringt mich doch mal auf den neuesten Stand!" Doch wie antwortet man darauf? Was hält man für besonders erwähnenswert? Es ist schwer, eine kurze, aber vollständige Antwort darauf zu finden. Wie misst man überhaupt Relevanz? An medialem Hype? Am Überraschungsfaktor? Oder doch an dem musikalischen Anspruch? In "Hört, hört!" geht es um das alles, reduziert auf zwei Veröffentlichungen. Ein Release, das vor allem im Untergrund auf Zuspruch gestoßen ist, und eines, das in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Zwei Werke, die wir nicht unbedingt gut finden müssen, aber eine gewisse Relevanz oder eine Bedeutung jeglicher Art für die hiesige Raplandschaft besitzen. Zwei Werke, die am Ende des Monats vor allem eines aussagen: "Hört, hört! Genau das habt ihr verpasst!"
Snew – Frank Drebin
Kennt ihr noch Frank Drebin? Das ist der tollpatschige Polizeiermittler, den man hierzulande vor allem durch "Die Nackte Kanone"-Filme kennt. Für Snew, den manche vielleicht noch als eine Hälfte von eou in Erinnerung haben, ist der von Leslie Nielsen verkörperte Charakter ein Kindheitsheld. Grund genug, seine aktuelle EP nach ihm zu benennen.
Auf sechs Stücken verbindet der Rapper, der alle Beats selbst produziert hat, Einflüsse aus Indie-Pop, Rap und Liedermacherei. Auf den für HipHop sehr untypischen Produktionen gibt Snew sich leichtfüßig sowie selbstironisch und umschifft dabei gekonnt gängige Rapparadigmen. Auf den ersten Blick ist die "Frank Drebin"-EP ein sehr kurzweiliges Vergnügen. Schaut man jedoch einmal genauer hin, offenbart sich ein Sammelsurium an Querverweisen und kleinen Details. Auf der Fehlfarben-Hommage "Es geht voran" beispielsweise werden gesellschaftskritische Saiten angeschlagen, aber auf lockere Weise zu einem eingängigen Popsong komponiert.
Es lässt sich sicher behaupten, dass es "Frank Drebin" an inhaltlichem Tiefgang fehlt – jedoch ist es kaum vorstellbar, dass dies der Anspruch Snews bei der Produktion war. Vielmehr ist die EP ein kleines Experiment, bei dem Snew sich verschiedenster musikalischer Quellen bedient und so ein ganz eigenes, sehr verspieltes Klangbild erschafft, das sich gängigen Trends oder Klangvorstellungen bewusst entzieht. Im Gegensatz zum namensgebenden Frank Drebin steht die Musik Snews glücklicherweise nicht für völligen Klamauk. Vielmehr betrachtet Snew das Leben sowie sein eigenes Schaffen mit einem gewissen Augenzwinkern und das ist einfach immer sympathisch.
(Christian Weins)
Xatar – Baba aller Babas
"Scarface", "Goodfellas", "Der Pate" … Aufstieg und Fall von Gangstern, die im großen Stil agieren, üben eine unglaubliche Faszination aus. Der exzentrische Lebensstil, das strikte Ehrsystem und die Aura des Gefährlichen bilden die Eckpunkte, die Gangsterbosse so reizvoll für die Popkultur machen. 2015 wurde diese Begeisterung auch endgültig in den deutschen Rap übertragen – in Form von Xatar.
Die Geschichte von Xatars Goldtransporterüberfall kennt auf den Schulhöfen Deutschlands jedes Kind. Giwar Hajabi ist ein echter Gangster. Die harte Realität, die sich in Form des Goldraubs und dem anschließenden Gefängnisaufenthalt äußert, bietet einen unvergleichlichen Treibstoff für die Karriere des Bonners. Schon die Entlassung aus dem Knast wird geheimnisvoll in einem Facebook-Video inszeniert. Von diesem Moment an machen Xatar und sein Label Alles oder Nix Records alles richtig: Xatar rappt nicht nur, er sieht auch aus wie ein filmreifer Verbrecher. Die großspurig inszenierten Musikvideos kommen wie waschechte Hollywoodstreifen daher und selbst der Goldraub wird in der limitierten Fanbox als beigelegter Goldzahn verarbeitet. Der Rapper präsentiert sich durch und durch als unantastbarer Gangsterboss, der "Baba aller Babas" eben. Doch damit nicht genug: Xatar legt, im Vergleich zu seiner bisherigen Diskografie, auch raptechnisch noch eine gewaltige Schippe drauf. Souverän rappt sich der Mantelträger durch die Tracks, untermalt von einem extrem stimmigen Oldschool-Sound, der mit seinen Kopfnicker-Brettern Tribut an die goldenen Tage von Westcoast und New York zollt.
Inszenierung, Rap, Beats, Realness, Humor – hier stimmt einfach alles. Das wissen auch die Fans zu schätzen und belohnten Xatar mit der Pole Position der deutschen Albumcharts. Vom Verbrecher zum Häftling, Aufstieg und Fall. Doch Xatar ist nicht Tony Montana, seine Geschichte nimmt kein tragisches Ende. Er dreht den Spieß um. Vom Knast schafft er es an die Spitze der Charts: Xatar IZ DA.
(Florian Peking)