Szene 1
Ich bin wieder zurück aus Dresden. In meinem Büro in Hamburg. Wenn ich mich ans Fenster stelle, kann ich den Hafen sehen. Ich habe immer noch diese Bilder im Kopf und diese Sätze im Ohr: "Lügenpresse!" "Wir sind das Volk!"
15.000 Menschen. Die
Pegida-Demo beginnt Montagabend an einer beschmierten Halfpipe in Dresden. Ein Skatepark als Treffpunkt. Hier
sammeln sie sich und halten Plakate hoch. Um mich herum schwenken Menschen Deutschlandflaggen, einige tragen Deutschlandkrawatten, andere halten Deutschlandlaternen. Irgendjemand ruft: "Keine Scharia in Europa!" Auf einem Plakat steht: "Alibaba und die 40 Dealer".
Ich krame mein Notizbuch aus der Tasche. Ein Mann kommt und sagt: "Na, du linksintellektuelle Prostituierte?" Ich sage: "Meinen Sie mich?" Er: "Na, du bist doch von der Lügenpresse!" und zeigt auf meinen Block. "Nee", sage ich, "von der Lügenpresse muss jemand anderes da sein, ich bin vom
stern." "Sag ich doch", sagt der Mann und verschwindet.
Szene 2
Ein anderer alter Mann: "Wofür schreiben Sie?"
Ich: "Für den
stern."
Er: "Mein Beileid. Aber Sie sind ja noch jung, Sie können doch noch was aus Ihrem Leben machen!"
Ich: "Was soll ich denn machen?"
Er: "Im Internet schreiben."
Ich: "Was soll ich denn im Internet schreiben?"
Er: "Mal zur Abwechslung die Wahrheit!"
Ich: "Aber im Internet schreiben doch nicht alle Menschen nur die Wahrheit?"
Dann sagt er irgendwas von Gleichschaltungspresse, Besetzung, Henri Nannen, Hitler und Amerika. Und er sagt, dass ich immer lügen müsse. Dass das mein Job sei, die Lügen der Amerikaner zu verbreiten. Und dass ich eigentlich staatenlos sei und dass ich mich schämen soll.
Ich sage ihm: "Ich muss nicht lügen."
Er: "Doch."
Ich: "Nein."
Er: "Doch."
Ich: "Nein."
Er: "Entweder sind Sie dumm oder Sie lügen schon wieder!"
Dann spuckt er mir vor die Füße.