Samy Ddeluxe aka Herr Sorge - Verschwörungstheorien mit schönen Melodien (2012)
Melodien gibt es hier reichlich, aber um Verschwörungstheorien geht es auf der Platte nicht. Der Titel ist so ein typischer Samy Deluxe Zweckreim. Solider Fünfsilber - jedoch auch nicht mehr. Als Zeile in einem Song ok, aber wieso als Albumtitel, wenn es nichtmal den Inahlt widerspiegelt?
Nach dem großen Erfolg von SchwarzWeiß fiel Samy Deluxe in eine depressive Phase. Als neues Release plante er zunächst ein Album mit dem Thema Therapie, schlug dann aber eine ganz andere Richtung ein. Die meisten Alben von ihm waren Projekte mit eigenem Konzept, das stilistisch oft sehr stark mit den vorherigen Werken brach. Diesmal ging es aber so weit in eine andere Richtung, dass er sich über die Musik hinaus ein Alter Ego zulegte: Herrn Sorge.
Samsemilia verkörperte schon in der Vergangenheit seinen Rapstyle auch optisch/outfittechnisch - der Ecko Rocawear-Backpacker zu Basement-Zeiten oder den 4XL Farb-Kombo Dipset Flava bei Verdammtnochma! - aber diesmal schlüpfte er in ein richtiges Kostüm mit Zylinder und Schminke, um seine Kunst auch visuell umzusetzen,; und trat darüber hinaus auch in Interviews in dieser Rolle auf, ließ sich von Visa Vie und Nico "kuratierte Playlists" Backspin siezen und fabulierte über seine Biografie als Herr Sorge (ein depressiver Clown aus einem Wanderzirkus, der gegen die Wurzel allen Übels - den Bösewicht Angelo Merkel (!) - kämpft) und Statements auf dem Niveau von "Politik bewirkt nichts, deshalb kann meine Musik nicht politisch sein, denn meine Musik bewirkt etwas" vom Stapel ließ. Das ganze wirkt unlocker, erzwungen und viel zu ernst - eher unangenehm anzusehen.
Musikalisch geht es tatsächlich noch weiter weg vom Ursprung als bisher - es wird fast ausnahmslos gesungen, meist mit viel Effekten wie Autotune oder vocoderartiger Stimmverzerrung. Raps kommen nur selten und als kurze Lückenfüller vor. Soundtechnisch gibt es einen klaren roten Faden, wodurch das Album wie aus einem Guss klingt: es dominieren 8bittige Lofi Synthieflächen und relativ hektisch programmierte Drums mit klatschenden Snares. Das erinnert ein wenig an Flying Lotus, nur etwas steriler und sauberer. Produziert wurde von ihm selbst, einem mir unbekannten Vito und Euro Rap-Star Jan van der Toorn. Wer genau welchen Song gemacht hat oder ob alle gemeinsam gearbeitet haben, konnte ich nicht herausfinden. Insgesamt finde ich die Instrumentals garnicht so schlecht, manche Beats sind schon gelungen. Und auch einige Hooks haben tatsächlich schöne Melodien und gehen ins Ohr. Teilweise wird der Gesang aber etwas zu schrill (zb Mobilee). Mit mehr Rap und anderen Texten wäre da vielleicht wirklich etwas hörbares herausgekommen.
Aber genau hier liegt das große Problem des Albums. Die Lyrics und Inhalte sind größtenteils wirklich bescheuert und peinlich. Ich steh' ja eigentlich auf Punchlines mit Wortspielen, so "wir bringen Ökorapper zu Fall wie die Shuffle-Funktion", "My cars like an elephant: the trunk in the front", "Kugel im Kopf wie Galileo" Wie-Vergleich-Zeug. Was ich hingegen überhaupt nicht mag, sind solche Zeilen, die mit Doppeldeutigkeiten spielen, mit Oxymoronen, Gegensätzen, Ähnlichkeiten oder auch nur Reimen (solche Denyo Klassiker wie "ich halt' ne Basspredigt", "Fette Anlageberater, Afrodeutsche Bank", "Wir gehen aus und ihr geht ein"...), aber eigentlich keinen Sinn geben und jenseits des sprachlichen Bildes wenig aussagen. Und davon ist das komplette Album vollgestopft: "Zukunftsorientierte Endzeitmusik", "Deprimucke zum Wohlfühlen", "Schau durch eine Klobrille auf 'ne Scheißwelt" und ein kompletter Skit bestehend aus "Sind sie ziellos, ziehen sie ein Ziel-Los, sind sie hoffnungslos, dann ziehen sie ein Hoffnungs-Los" usw. Die meisten Strophen bestehen fast nur aus sowas. Dabei ist das ganze stets abstrakt gehalten und wird nie wirklich konkret. Größtenteils geht es in die typische ""gesellsschaftkritische"" Richtung, böse Politiker, gelenkt von der Industrie, um einen herum nur konsumierende Idioten und böse Technologie usw. Oft auf Facebookkachel-Niveau vonwegen dumme Menschen mit smarten Telefonen, die wenig reden und viel twittern. Man findet keinen originellen Gedanken, nichts durchdachtes, nichts was ansatzweise zum Nachdenken anregen könnte.
Natürlich reden wir hier von Musik und sind nicht im Seminar, Samy ist Künstler und kein Philosoph, von dem man messerscharfe Analysen oder Lösungsvorschläge erwaten sollte; es geht hier eher ums Feeling, eine Grundstimmung, eine bestimmte Haltung - Herr Sorge ist unzufrieden mit sich und der Welt und drückt das bildsprachlich aus. Aber auf Albumlänge fehlt bei dieser Monothematik einfach komplett die Substanz.
Kaum ein Song geht in eine andere Richtung. Es gibt eine Art Anti-Party-Song (mit belanglosem Marsimoto Feature), ein zwei Liebeslieder (eins davon mit Cassandra Steen (die auch auf dem nur 90sec langen Titeltrack singt)) und einen Track mit dem Thema Nacht, der zu den gelungeneren Stücken zählt und etwas raplastiger ist. Darüber hinaus gibt es noch ein Megaloh-Feature, bei dessen Part seltsamerweise der ganze Beat bis auf einen Synthie zurückgeschraubt wurde.
Am besten geht das Konzept noch bei Diesassda auf, wo der smoothe Beat überzeugt, und bei der ersten Single Fröhliche Weltuntergangsmusik, das den Soundentwurf am überzeugendsten umsetzt - wäre da nicht dieser spießige "die Moral und Werte sind nach unten versunken und wir schicken Satelliten zum Mars"-Text.
Kommerziell ist das Album gefloppt. Während alle seine Album zuvor die Top 5 geknackt haben, ging's diesmal auf Platz 43 und von der "Szene" gab es auch hauptsächlich negative Resonanz. Samy hingegen nannte die Platte retrospektiv aber einen Befreiungsschlag und hob hervor, dass er dadurch mehr Aufmeksamkeit in der Popwelt jenseits des Raps ergattern konnte und dadurch auch an lukrative Songwriter-Aufträge wie ein Album von Nena kam.
Hits: Fröhliche Weltuntergangsmusik, Nachtmusik, Diesassda
Flops: Los ziehen – Gedicht, Idiokratie, Mobilee
Fazit: Das Album ist musikalisch in Ordnung, wobei der Sound recht eintönig ist und nur selten komplett überzeugt. Nichts, was ich mir anhören würde, aber in der Kunstwerkstatt wurde schon schlimmeres hergestellt und die Songs sind noch geradliniger als die späteren Durcheinander-Tracks. Inhaltlich gefällt mir diese in abstrakte Wortspiele verpackte, substanzlose Gesellschaftskritik und negative Grundhaltung aber garnicht.
3/10