Tätowiere mir ein Messer direkt unters Herz.
Hunderte von Leuten warten gespannt. Sie alle jubeln, schreien und tanzen mit, als eine zierliche junge Dame die Bühne betritt und über ihre letzten Saufgelage rappt. Mit schrill-hoher Stimme denunziert sie daraufhin kurz einmal all ihre Rap-Kollegen und verlässt dann eine Dreiviertelstunde später frohen Mutes die Splash!-Stage wieder. Ein kleines Phänomen in der so männerdurchzogenen Domäne Deutschrap ist Haiyti damit schon – wenn man bedenkt, dass vor nicht einmal einem Jahr niemand ihren Namen kannte.
Dass sie mit KitschKrieg nun auch an genau die richtigen Produzenten für ihren Sound geraten ist, perfektioniert das Bild von "Robbery, Chefgirl", einer "echten Geschäftsfrau". Auf "Toxic" beweist die Rapperin ihre Vielseitigkeit. Zwischen offenkundig frommem Leiden darüber, dass "nur einer mich richten" kann, und dem "Absturz im Park mit Schampus" liegen nur drei Tracks voller Trap, Autotune und Fuckboys. Thematisch bleibt Robbery damit dezent und minimalistisch, was allerdings hin und wieder unvollendet wirkt. Doch ihr musikalischer Fokus liegt ohnehin ganz woanders: In erster Linie muss hier nur der Vibe stimmen. Und der wird transportiert durch dumpfe Bässe, treibende 808s und wabernde Synthie-Melodien. All das ist perfekt abgestimmt auf die mal komplett schrille, mal sehr ruhige Stimme von Haiyti. Darin liegt vielleicht aber auch die einzige Schwäche der "Toxic"-EP: Der Hörer muss sich wirklich auf den Flair des Releases einlassen. Die Stimmlage der Rapperin ist mitunter nervig hoch und kratzig. Erst, wenn man das Gesamtprodukt auf sich wirken lässt und diese verrückte Betonung akzeptiert, entfaltet das Gift von "Toxic" seine volle, infizierende Wirkung.
KitschKrieg und Haiyti, das passt eigentlich wie die Faust aufs Auge: Die modernen Sounds der Produzenten treffen auf eine Rapperin, die ebenfalls alles anders machen will. Wer einmal die Stimmfarbe von Haiyti akzeptiert hat, wird mit der EP seine helle Freude haben. Wer sie nicht tolerieren kann, sollte auch hier wieder die Finger von der Scheibe lassen. Doch Gift ist "Toxic" keineswegs für die Szene, sondern eher ein Heilmittel für festgefahrene Standards.
(Sven Aumiller)