Ob Journalisten oder Rapper:innen, Produzent:innen oder DJs – von Jan Kawelke über Donvtello und Pimf bis hin zu DJ Ron und V.Raeter: Sie alle waren schon in unserem Format "DIGGEN mit …" am Start. Sie alle haben uns Playlisten zu Themen zusammengestellt, die ihnen ganz besonders am Herzen liegen. Und sie alle haben uns Track für Track Rede und Antwort gestanden, erzählt, warum genau dieser eine Song es in ihre Playlist geschafft hat und was sie mit ihm verbinden.
Zum Jahresende möchten wir, die MZEE Redaktion, Euch mit unserem diesjährigen Adventskalender nun eine eigene DIGGEN-Playlist schenken: "DIGGEN 2022" beinhaltet 24 Lieblingslieder der Redaktion aus diesem Jahr. Wir öffnen somit jeden Tag ein neues Türchen und erzählen Euch von einem Song und warum wir ihn so sehr schätzen.
Der Track für das heutige Türchen wurde von unserer Redakteurin Malin aus dem Interview-Team ausgewählt.
Im heutigen Türchen zu finden ist:
9. Donna Savage – Tritte (prod. by Brenk Sinatra)
Malin: An Energie mangelt es diesem Track kein bisschen. Genau das hat mich auch an Donnas Liveshow auf der Tapefabrik so überzeugt, als sie die Single dort performte. Die Wienerin strahlte dabei geballte Power aus, bretterte über den Beat von Brenk Sinatra und feuerte Punchlines ab, die sich gewaschen haben. Dabei schienen sie und ihre Crew eine Menge Spaß zu haben: Auf der Bühne ging genau das ab, was im Track "Tritte" beschrieben wird – eine fette Party. Wer den Auftritt verpasst hat, bekommt den gleichen Vibe auch im Musikvideo geliefert. Außerdem gibt es dort alles, was 2022 in ein Rapvideo gehört: Sportzigaretten, Schaumwein und schnelle Brillen. Man spürt förmlich, dass die Zeilen, die sie rappt, direkt aus dem Herzen kommen und ihre Clique sie bedingungslos supportet.
Alle bisher geöffneten Türchen gibt es hier zum Nachlesen:
1. Mariybu – Datenight (prod. by Kronsberg)
Marie: Ich habe eine Schwäche für Rache-Songs. "CopKKKilla" von Haftbefehl etwa ist einer meiner absoluten Lieblingssongs. In diesem Jahr war aber "Datenight" von Mariybu einer meiner großen Favoriten. Auch sie rächt sich, wie schon Haft, in diesem Song an Polizisten. Warum? "Weil ich Cops nicht mag", erklärt sie selbst im Song. Anders als Hafti setzt sie in ihrer Rachefantasie allerdings weniger auf rohe Gewalt als auf etwas, das man in den 90ern wohl "Die Waffen einer Frau" genannt hätte. Sie datet einen Polizisten, nur um ihn bei sich zu Hause zu verführen, zu fesseln und ihm anschließend Geld und Karre zu klauen. Oder wie sie es nennt: "Heut ist Datenight und du bezahlst." Im Video ist zu sehen, wie sie anschließend eine Freundin in das geklaute Auto einlädt und die zwei durch die Nacht fahren. Selbstermächtigung, die ich in diesem Jahr gefühlt habe.
2. $oho Bani – PLACEBO (prod. by Jurij Gold & Falconi)
Enrico: 2022 war für mich ein Jahr, in dem ich nach langen Einschränkungen durch die Pandemie endlich wieder etwas erleben wollte. Auf Festivals gehen, Partys feiern, jung, dumm und unvernünftig sein. Den richtigen Sound dafür hat mir persönlich in diesem Sommer $oho Bani geliefert. Der Berliner hat mich mit seiner unbekümmerten Art schon mit seinem Debütalbum gecatcht und dieses Jahr mit "Kids aus dem Versteck" noch mal einen draufgesetzt. Folgerichtig sollte der Besuch seiner Tour zum für mich ersten Konzert seit Langem werden. Verschwitzt, mit einem dicken Knöchel und überglücklich verließ ich die Münchner Muffathalle und war endgültig zum Fan der E-Gitarren, Technobässe und seiner jugendlichen Leichtigkeit geworden. All das findet man beispielhaft auch auf "Placebo". Und genau diesen Sound habe ich dieses Jahr gebraucht.
3. Waving the Guns – Gran Canaria (prod. by DJ Joaf & BRYCK)
Elias: Ich finde Widersprüche superspannend. Auch der Track "Gran Canaria" von Waving The Guns startet mit einer Schere zwischen Beat und Text. Während BRYCKs Instrumental zu Beginn bei mir für Sommerlaune sorgt, verpasst mir Milli Dance hingegen wenig später mit den Wörtern "Handbrüche" und "Brandbriefe" die lyrische Wach-auf-Schelle. Eine so wohlige Melodie wie diese schafft es meist, mich in leichte Trance zu versetzen. Milli Dance lässt das mit seinen gesellschaftskritischen Punchlines in "Gran Canaria" allerdings nicht zu. Stattdessen nicke ich mit und denke mit einer Mischung aus Wut und Euphorie: Fühlt sich gut an, mit der soziopolitischen Lage nicht zufrieden zu sein. Und gleichzeitig erinnern mich WTG an die eigene Inkonsequenz: "Auch meine Weste fleckig und die Hände blutig."
4. Lugatti & 9ine – AK (prod. by Traya)
Mina: Ich habe dieses Jahr so viele beschissene Live-Shows gesehen, ich kann sie nicht mehr zählen – Playback auf der Bühne, durchgehend Moshpit ohne Sinn und Verstand im Publikum. Und viele Rapper, die Menschenmassen besorgniserregend aufstacheln oder aber völlig kalt lassen. Außerdem Müll von Einmal-E-Zigaretten mit fancy Geschmäckern wie Blueberry Cheesecake so weit das Auge sieht. Ich verachte alles daran. Was den aktuellen Rap-Zeitgeist angeht, überzeugen mich Lugatti & 9ine allerdings jedes Mal wieder davon, dass man auch würdevoll performen kann. Bei ihren Konzerten findet man alles, das ein Fan-Herz erwärmt: ein "Fick Red Bull!", eine irre, aber ungefährliche Energie im Publikum, guten Live-Rap, emotionale Songs, Humor, Zuschauer:innen, die gesamte Texte mitrappen können, und ein bisschen Pyro für die Freund:innen der visuellen Untermalung. Das Trio ist einfach für die Bühne gemacht und "AK" macht mir bei jedem Hören Lust auf ein kühles Erfrischungsgetränk bei einem ihrer Auftritte.
5. CONNY – Kannst du woanders traurig sein? (prod. by ok schade.)
Mana: Da ich schon über 20 Jahre Deutschrap höre, denke ich oft, dass mich nichts mehr so richtig überraschen kann. Aber jedes Jahr gibt es eben doch wieder mindestens diesen einen Track, der es schafft. CONNY hat mich mit seinem Song und auch dem dazugehörigen interaktiven Video voll abgeholt. Mit einem Kloß im Hals und einem Haufen Emotionen saß ich nach dem ersten Hören wortlos da und habe die Frage, ob ich "woanders traurig sein" kann, am Ende seines Videos per Mausklick beantwortet. Ich liebe es, wenn Rapper:innen auch mal den Mut haben, unpopuläre Themen wie Depressionen aufzugreifen, besonders wenn sie wie in CONNYs Track eigentlich absolut präsent in unserem Alltag sind und sich jede:r auf eine Art und Weise damit auseinandersetzen sollte.
6. Crystal F x Stockmann x Ikarus – Neue Probleme (prod. by Ikarus & Stockmann)
Jens: In diesem Jahr konnten mich nur wenige Releases überraschen. Eine Vielzahl an qualitativ hochwertigen Veröffentlichungen habe ich persönlich als logische Fortführungen des bisherigen Werks empfunden. Blicke ich auf die letzten Monate zurück, sehe ich aber einen Künstler, der konstant am eigenen Stil gefeilt hat: Die künstlerische Weiterentwicklung von Crystal F fasziniert mich sehr und ist anhand von "Neue Probleme" mit Ikarus und Stockmann deutlich zu erkennen. Ikarus liefert ein von Reese-Bässen getriebenes Drum 'n' Bass-Instrumental, auf dem Crystal F seinen Emotionen freien Lauf lässt. Mit Stockmanns gesungener Hook stellen sie die Frage danach, wann die Normalität zurückkehrt – eine Frage, die mir in Zeiten von globalen und privaten Krisen direkt aus dem Herzen spricht.
7. Pimf – final.wav Intro 2022 (prod by. Wyshmaster)
Jakob: Stolze 13 Tracks hat es gedauert, bis Hofgeismars finest Pimf das Intro seiner pimf_final.wav-Playlist veröffentlicht hat. Der Track "final.wav Intro 2022" steht für mich stellvertretend für die Plackerei von Pimf und seiner Crew, die auch dieses Jahr keine Pause kannten. Die sechs Tracks, die dieses Jahr hinzugefügt wurden, geben mir das Gefühl, dass Pimf musikalisch immer mehr da ankommt, wo er hinwill. Musikalisch ist diese Style- und Sinnsuche höchst abwechslungsreich: Von Dirty South-Beats geht es bis zu Instrumentals mit Techno- oder Elektro-Einfluss. Thematisch war es dafür vergleichsweise dieses Jahr eher weniger deep und mehr auf Representer ausgerichtet, was jedoch nicht weiter relevant ist. Pimf hat es 2022 geschafft, dass man wirklich jeden Song auf Repeat hören kann, ohne gelangweilt zu werden. Für mich steht demnach "final.wav Intro 2022" symbolisch für diese krasse Leistung und seinen brutalen Grind. Und ob das jetzt ein Album, eine Playlist oder irgendwas anderes ist – who cares?
8. Megaloh feat. MONSOUN – Licht (prod. by Truva)
Kerstin: Megaloh ist am Start, so lange ich denken kann – ich bin also quasi mit ihm erwachsen geworden. Von den rauen Anfängen in den 00er Jahren über die deutlich reflektierteren Alben "Endlich Unendlich" und "Regenmacher" bis zum im Sommer erschienenen "Drei Kreuze" hat er mich selten verloren und häufig abgeholt. Genauso erging es mir wieder, als "Licht" zum ersten Mal in meine Playlist gespült wurde. Zeilen wie "Hab keine Angst vor den eigenen Schatten. Besser, man kennt seine eigenen Macken. Wunden sind da, um sie heilen zu lassen" treffen bei mir mitten ins Schwarze. Er beschreibt sehr genau, wie man einen neuen Blick auf das eigene Aufwachsen richtet, wenn man ein Kind, das eventuell einige dieser Macken geerbt hat, dabei begleitet. Auch wenn Megaloh immer mal wieder an ein Karriereende denkt, hoffe ich sehr, dass er noch lange am Start ist und mir gedankliche Impulse und "Licht" mit auf den Weg gibt.
(die MZEE.com Redaktion)
(Titelbild von Daniel Fersch)