"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Die Nacht ist schon seit jeher meine liebste Tageszeit gewesen. Ich mag es, wenn alles entschleunigt ist und genieße die Stille, die mich umgibt. Es gibt einige Titel, die von der Dunkelheit erzählen – mein liebster ist jedoch "Nachtschattengewächs" von Waxolutionists feat. Manuva.
Der Song steigt mit einem relativ langen Intro ein, in dem langsam und bedächtig Töne auf einem Rhodes angespielt werden, die im weiteren Verlauf des Tracks die Grundmelodie liefern. Nach und nach baut sich der Beat auf und die Drums kommen hinzu. Manuva steigt mit sich wiederholenden Textpassagen ein und fragt mich: "Spürst du, checkst du, hörst du meinen Flow?" Ich nicke mit dem Kopf und werde sofort von der Stimmung des Songs gecatcht. Denn der Track transportiert die gleiche Faszination, die die Dunkelheit auf mich ausübt. Manuva beschreibt die Nacht auf eine Art und Weise, die Sehnsucht in mir weckt. Ich möchte meine Kopfhörer aufziehen, den Song abspielen und alleine durch die spärlich beleuchteten Straßen ziehen. Meinem Empfinden nach hat noch nie jemand diese besondere Atmosphäre der Freiheit treffender beschrieben. Romantisierend zeichnet er das Bild einer verlassenen Stadt, das mir beim Zuhören vor meinem inneren Auge erscheint. Das Ganze steigert er mit eingebauten Textfragmenten, in denen die Nacht die Ich-Perspektive einnimmt. Dabei wird seine Erzählung immer wieder von für sich stehenden Piano-Einlagen, Scratches und der unüblich positionierten Hook unterbrochen. So wie die dunkle Tageszeit Raum für Dinge schafft, die keinen Platz haben, wenn das Leben tobt, folgt auch der Song seinem eigenen Schema, was ihm seinen ganz besonderen Zauber verleiht.
"Nachtschattengewächs" ist der Soundtrack meiner nächtlichen Spaziergänge und transportiert perfekt die Energie, die man als Nachtmensch verspürt, sobald es dunkel wird. Für mich ist der Song ein absoluter Klassiker, der schon damals seiner Zeit voraus war und sich auch heute noch durch seine originelle Machart abhebt.
(Dzermana Schönhaber)