"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Curse war der erste Rapper, den ich nicht hauptsächlich wegen seiner Coolness gehört habe, sondern aufgrund seiner tiefgründigen Texte. Neben einigen Genreklassikern haben mich dabei auch seine unbekannteren Veröffentlichungen beeindruckt. Eine davon, die EP "Feuer über Deutschland", beinhaltet unter anderem den Track "Enttäuschung", der mich besonders nachhaltig geprägt hat.
Genau wie ich scheint auch Curse ein Mensch zu sein, der in seinem Leben viele emotionale Verletzungen zu verarbeiten hatte und täglich versucht, das Beste aus diesen Erlebnissen zu machen. "Ihr richtet lieber alles nieder und verbrennt, statt aufzubauen. Und ihr schaut viel lieber herab – ihr seid nicht stark genug, um aufzuschauen", rappt der Mindener daher voller Inbrunst über ein sich langsam entfaltendes, warmes Instrumental von Busy. Er steht hier zu seinen vermeintlichen Schwächen. Während dem Track, der aus einer einzigen langen Strophe besteht, betont er deshalb mehrmals, dass er es leid ist, sich nach außen als tougher Sunnyboy zu präsentieren, an dem alles abprallt. Denn das ist er schlichtweg nicht. Stattdessen ist Curse enttäuscht von falschen Freunden, reißerischen Medien und Fans, die ihn am Boden sehen möchten, um ihr "voyeuristisches Bedürfnis nach dem Leid anderer Leute" zu befriedigen. Letztendlich wird ihnen dieser Wunsch erfüllt, denn er lässt sich unter keinen Umständen sein Recht auf Verletzlichkeit nehmen und kotzt sich auf kathartische Art über den Struggle aus, den das mit sich bringt.
Curse ist jemand, der verstanden hat, dass man negative Gefühle nicht unterdrücken sollte. "Ich bin für die, die sich Blöße geben, damit wir sehen und verstehen, dass die echten Weisen in Schwächezeigen die Größe sehen", hatte er zuvor an anderer Stelle bereits gerappt. "Enttäuschung" verdeutlicht mit seinen großartigen Lyrics dieses Mantra jedoch besser als jedes andere Stück Musik, das ich kenne. Dadurch hat der Track mir dabei geholfen, mit meinem eigenen, unweigerlich unperfekten Menschsein zurechtzukommen.
(Steffen Bauer)