Credibil – Nie wieder Bahnhof
"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Samstagnacht, Großstadt. Das x-te Bier zu viel ist getrunken, die letzte Bahn längst verpasst. Verkatert winkt man das erstbeste Taxi heran – und steigt damit in eine kleine Parallelwelt. Während man selbst angeheitert aus irgendeiner Bar torkelt, trifft man hier auf einen Fahrer, dessen müde Augen ganz eigene Geschichten erzählen. Auf "Nie wieder Bahnhof" präsentiert uns Credibil ebenjene Stories.
Er entführt uns in das Leben von Frank. Sein Mercedes kutschiert die Bewohner der Mainstadt durch den Alltag: von der Prostituierten, die zum nächsten Kunden fährt, bis hin zum Broker, den der Sorgerechtsstreit um das eigene Kind zerreißt. Sie alle nehmen Platz auf der gleichen Rückbank und hören zu, wie Frank im Autoradio zehn neue Songs des Frankfurter Rappers lauter dreht. Die Themen, die sie hier zu hören bekommen, könnten genauso gut Gesprächsstoff der Taxifahrt sein. Es geht um Loyalität, um Freundschaft, um Aufopferung für die Familie. All das verpackt Erol Peker in ein kleines Hörspiel, in dem die Anspielstationen eigentlich eher Beiwerk zu den Geschichten des Fahrers sind. Credibil erzählt uns auch vom Leben, vom Scheitern und von den Straßen seiner Stadt. Ungeschönt, offen und berührend, vor allem, wenn er von seinem Onkel "Celal" und dessen Einfluss auf sein Leben berichtet. Selbst Trap-Anleihen und Party-Exzesse "mit den Jungs" verpackt der Frankfurter mit seiner ganz eigenen Melancholie, die dieses Hörspiel einzigartig macht.
Viele dürfte es abschrecken, in Zeiten von Spotify und der Kurzlebigkeit von Musik einem fast 50-minütigen Einteiler lauschen zu müssen, da die Songs erst als Teil des Gesamtwerks ihre volle Wirkung entfalten können. Credibil beweist damit aber, dass so auch ein ganz anderes Hörerlebnis mit ungewohnten Vorzügen erzeugt werden kann: nahbarer, vielleicht sogar ehrlicher. Oder wie der Frankfurter es selbst schon auf der EP sagt: "Mach' es alles aus Liebe."
(Sven Aumiller)