"Okay – was habe ich verpasst?" Eine Frage, der wohl jeder von uns schon mal begegnet ist. Egal, ob man sie selbst gestellt hat oder mit ihr konfrontiert wurde. Manchmal kommt einfach der Zeitpunkt, an dem man sich vor allem eines wünscht: "Bringt mich doch mal auf den neuesten Stand!" Doch wie antwortet man darauf? Was hält man für besonders erwähnenswert? Es ist schwer, eine kurze, aber vollständige Antwort darauf zu finden. Wie misst man überhaupt Relevanz? An medialem Hype? Am Überraschungsfaktor? Oder doch an dem musikalischen Anspruch? In "Hört, hört!" geht es um das alles, reduziert auf zwei Veröffentlichungen. Ein Release, das vor allem im Untergrund auf Zuspruch gestoßen ist, und eines, das in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Zwei Werke, die wir nicht unbedingt gut finden müssen, aber eine gewisse Relevanz oder eine Bedeutung jeglicher Art für die hiesige Raplandschaft besitzen. Zwei Werke, die am Ende des Monats vor allem eines aussagen: "Hört, hört! Genau das habt ihr verpasst!"
3Plusss – Gottkomplex
3Plusss, der Ex-VBTler mit der großen Klappe und dem noch größeren Pferdeschwanz, sorgte im November mit seinem neuen Album für eine kleine Überraschung. Nicht etwa, weil "Gottkomplex" ein gutes Album wurde. Das konnte man aufgrund der unterhaltsamen Releases zuvor schon vermuten. Sondern viel eher, weil die neue Platte unerwartet persönlich und, noch viel wichtiger, wirklich bewegend ist.
Was sich mit der "Auf der Stelle"-EP Anfang des Jahres schon ankündigte, führt 3Plusss nun konsequent fort. Seinen Lebenszustand zwischen Antriebslosigkeit, Selbsthass und Missmut malt er in detailreichen Bildern. Bunte Farben benötigt er hierfür nicht, "Grau" oder "Schwarz" heißen seine Tracks. Und sie vermitteln ebenjenes Gefühl, das die trostlosen Farbtöne bereits andeuten. Die Lebenseinstellung lautet "Nein" – nicht zwingend Auflehnung, aber in jedem Falle Desinteresse an allem, was gesellschaftlich als gesetzt gilt, steht auf der Agenda. Die abweisende Haltung resultiert auch aus 3Plusss' persönlichen Erfahrungen: In einigen Zeilen rechnet er mit seinem Vater ab, mit dem Song "An und für dich" führt er beinahe erschreckend plastisch seine Unfähigkeit vor, mit einer Trennung umzugehen. Wo der Protagonist eindrucksvoll fast schon in sich selbst zerbricht, ist das Beatgerüst vom Produzentenduo We Do Drums umso opulenter. Die verneinende Stimmung des Rappers fangen sie atmosphärisch in dichten, elektronisch scheppernden und knarzenden Instrumentals ein und verstärken so den Sog in das depressiv-schöne Persönlichkeitsgemälde.
Gleichzeitig ist 3Plusss' Auseinandersetzung mit seinen Problemen so lebensnah, dass in den Gefühlen und Stimmungen auf "Gottkomplex" für die meisten Generationsgenossen ein ungemeines Verständnis mitschwingen dürfte. Ohne ein pathetisches Wir-Gefühl zu erzwingen, führt er vor, wie ein junger Mensch mit den Widrigkeiten der Welt umzugehen versucht, scheitert, aber doch irgendwie nie aufgibt. Und vielleicht braucht man gerade für diese Bewältigung des Lebens einen "Gottkomplex" im Kopf.
(Florian Peking)
Shindy – Dreams
There's a new Goldjunge comin' to town – seit Shindy bei ersguterjunge unter Vertrag steht, werden die Auszeichnungen quasi frei Haus ins Waldorf Astoria geliefert. Die Wahlheimat von "Berlins bekanntestem Touri" ist genauso exzentrisch wie der Lebensstil, den der Rapper verkörpert. Und wer "Dreams" kauft, bekommt den vollen Ausblick aus "Etage 29" des Luxushotels.
Hört man nämlich ins dritte Soloalbum des gebürtigen Reutlingers rein, sollte man nichts erwarten, was nicht an die Dekadenz eines neureichen Mittzwanzigers erinnert. Ein dreiminütiger Song, in dem man nur Summen anpreist, die in den letzten Jahren flossen? Ein Track darüber, dass mittlerweile keiner deiner Lieblingsrapper aus der Jugendzeit an Shindys Level rankommen kann, "ob ihr wollt oder nicht"? Alles kein Problem für den Mann, der "700 Euro für 'nen Sweater ohne Aufdruck" auf der hohen Kante hat. Shindy propagiert seinen Lebensstil mit einer so konsequenten Ignoranz, dass sie im deutschen Rap wirklich einmalig scheint. Selbst wenn es auf "31. Dezember" ein wenig ruhiger, ernster und persönlicher zugeht, zeichnet der Rapper seine sprachlichen Bilder so prägnant, dass man das Gefühl nicht loswird, direkt neben ihm in der Luxussuite zu sitzen. Wer also schon immer mal im Sinn hatte, am Ku'damm, Ecke Knesebeck, entspannt shoppen zu gehen, ohne dass die Brieftasche schlappmacht, dem werden hier zumindest musikalisch alle "Dreams" einwandfrei erfüllt.
Was bei all dem Aufruhr um Premium-Boxen, Rucksäcke und überteuerte Sweater mit oder ohne Aufdruck nämlich untergeht, ist der Fakt, wie gut Shindy eigentlich in seinem Metier ist. Man wird nie das Gefühl los, dass dieser Mann wirklich nicht mehr braucht als "'n Klavier, 'ne MPC, 'ne Packung Marlboro, ein Mic und einen Aschenbecher". "Dreams" mag seine Schwächen haben, doch wer sich zurücklehnt, die Produktionen genießen will und den ein oder anderen Schönheitsfehler ausblendet, der wird auch unterhalten werden. Oder, wie Shindy es weniger rational ausdrückt: "Gott weiß: Ich hab' geträumt von diesem Longplayer."
(Sven Aumiller)