Wieder neigt sich ein langes und ereignisreiches Jahr – auch für deutschen Rap – dem Ende entgegen. Um dieses gebührend abzuschließen, präsentieren wir Euch unseren MZEE.com Jahresrückblick in Form eines Adventskalenders. Zwischen dem 1. Dezember und Heiligabend warten somit 24 Türchen auf Euch, hinter denen sich insgesamt knapp 50 Interviews verstecken: Neben Rappern und Produzenten lassen auch Journalisten und Veranstalter bei uns das vergangene Jahr Revue passieren, indem sie auf fünf Fragen zum Jahresende Rede und Antwort stehen. Daraus ergibt sich ein buntes Mosaik, das Euch die Highlights aus 2016 noch einmal aus unterschiedlichen Perspektiven erleben lässt. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Lesen, eine schöne Weihnachtszeit und ein frohes Fest mit Euren Liebsten!
Eure MZEE.com Redaktion
Brian Damage
MZEE.com: Ob alte Hasen oder Newcomer: Was prägt ein Jahr mehr als neue Releases? Deshalb wüssten wir zu Beginn gerne deine persönliche Top 3 der 2016 erschienenen Deutschrap-Platten.
Brian Damage: Nummer eins ist Audio88 & Yassins "Halleluja". Ein rundum geiles Album! Die herablassende Arroganz, mit der die beiden Gesellschaftskritik üben, ist ein wunderschöner roter Faden, der sich durch das Album zieht. Texte von stumpf bis scharfsinnig. Auch Audios Entwicklung zum reimenden Rapper finde ich sehr gelungen. Was er bei den Bestesten begonnen hat, vollendet er hier elegant, ohne dabei seine Attitüde aufzugeben. Die Tatsache, dass drei meiner Lieblingsproduzenten – Dexter, MecsTreem & Torky Tork – Bretter dazu beigesteuert haben, lässt mich diese Platte natürlich umso mehr feiern. Auch die Videos sind visuelle Kunstprojekte, in denen viel Liebe zum Detail steckt. Davon können sich 70 Prozent der Deutschrapper eine Scheibe abschneiden. Nummer zwei ist Prezidents "Limbus". Prezident wurde mir bereits vor Jahren empfohlen, als den noch kein Schwein kannte. Ich hab' versucht, ihn zu hören, aber es war mir zu anstrengend. Erst in den vergangenen zwei Jahren habe ich seine Art zu rappen schätzen gelernt. Ich finde sie immer noch anstrengend und kann mir das Album nicht am Stück anhören. Aber das liegt einfach daran, dass jeder Track so viel beinhaltet und so komplex geschrieben ist, dass ich nach dem Hören erst einmal mein Hirn abschalten muss, um alles zu verarbeiten. Und das hat in den letzten Jahren kaum ein Rapper bei mir geschafft. Prezident schreibt komplexe Bilder in noch komplexeren Reimschemata. "Der ewige Ikea" beschreibt den Stil dieses Albums nur zur gut. Auch Lieder wie "Was glaubt die Welt denn, wer sie ist?" liefern schwerverdauliche Echtzeitdramatik auf Drum-lastigem Boom bap. "Rosa Blume" gefiel mir auch sehr, weil es im Prinzip ein simpler "Wo komme ich her?"-Representer Track ist, der aber durch Metaphorik und Prezidents Persönlichkeit alles andere als simpel wird. Fazit: Kein Durchhörfaktor, aber jedes Lied hat mehr Inhalt als 50 Prozent der restlichen Alben in Rapdeutschland. Nummer drei: SXTNs "Asozialisierungsprogramm": Ein Freund spielte mir "Deine Mutter" von SXTN vor. Ich dachte zuerst: "Was für ein Scheiß!", aber ich gestand mir da schon ein, dass die Beats echt fett sind. Dieser EASYdoesit hat jedenfalls ein Brett gebastelt. Die Texte sind stupide und simpel und eigentlich gar nicht mein Fall. Jedoch muss ich SXTN lassen, dass sie tight rappen und Juju auch gute Doubletime-Parts raushaut. Inhaltlich gab es nur einen Track, den ich richtig gut fand: "Made 4 Love". Das Leben einer Prostituierten aus der Ich-Perspektive und noch dazu von Frauen gerappt – das habe ich zuvor noch nie gehört. Das Lied ist eklig, real und vor allem gut! Und es gibt einer Randgruppe eine Stimme, mit der sonst keiner reden will. Ansonsten ist das Album einfach nur simple Auf-die-Fresse-Musik. Und vielleicht gefällt es mir genau deshalb ganz gut, da es eine kontrastreiche Abwechslung zu all dem komplexeren Deutschrap ist, den ich sonst höre.
MZEE.com: Werden wir ein wenig kleinteiliger, von Alben hin zu Tracks: Wer hat dieses Jahr die beste Line in einem deutschen Rapsong gebracht und welche war das?
Brian Damage: Das war definitiv Fatoni in der Splash!-Mag Cypher 2016: "In jeder Cypher rede ich von Torch, aber meine Feinde sehen eher aus wie Beatrix von Storch. Aber an der Grenze bin ich auch für einen Schießbefehl – also, falls sie da mal spazieren geht: Blokka, Blokka!" Einfach nur … schön! (grinst)
MZEE.com: Kommen wir zu dem, was vor einem Jahr noch nicht absehbar war: Was hat dich in Bezug auf deutschen Rap im vergangenen Jahr so richtig positiv überrascht?
Brian Damage: Als Battlerapper hat mich natürlich sehr positiv überrascht, wie viel Aufmerksamkeit die Acapella Battlerap-Szene inzwischen bekommt und wie sehr sie gewachsen ist. Viele tolle Battles, viele unterhaltsame Newcomer und immer mehr bekannte Rapper gucken Battles und lassen sich davon inspirieren. Trailerpark zum Beispiel machten mit DLTLLY ein Battle-Event in deren Bar in Berlin – einfach nur, weil sie Fans sind und die Sache supporten wollen. Finde ich respektabel! Auch die HipHop-Presse interessiert sich mehr und mehr für Battlerap, siehe dieses Interview.
MZEE.com: Und im Gegenteil: Was war in diesem Deutschrap-Jahr so richtig unnötig? Warum?
Brian Damage: Ein weiteres Samy Deluxe-Release! Warum? … Es ist ein weiteres Samy Deluxe-Release.
MZEE.com: Zu guter Letzt darfst du hier noch heimlich, still und leise jemanden auszeichnen: Welche Persönlichkeit der deutschen Rapszene – ganz gleich, ob Rapper, Produzent, Manager oder Journalist – hat in diesem Jahr besonders durch eine Leistung geglänzt oder konnte hervorstechen? Womit und warum?
Brian Damage: Auszeichnen würde ich den Produzenten und Rapper Maniac. Meiner Meinung nach ist er einer der Top 10-Produzenten in Deutschland. Er hat nicht nur ein Album mit dem bayerischen Rapper Liquid releast, sondern sitzt immer fleißig am Rechner und bastelt für alle möglichen Leute Beats. Und falls keiner darauf rappt, stellt er seine Tapes auch noch gratis ins Netz. Einfach nur, um dope Beats in den Umlauf zu bringen. Ein sehr fleißiger Mann, der wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient hat.
Nedal Nib
MZEE.com: Ob alte Hasen oder Newcomer: Was prägt ein Jahr mehr als neue Releases? Deshalb wüssten wir zu Beginn gerne deine persönliche Top 3 der 2016 erschienenen Deutschrap-Platten.
Nedal Nib: "Palmen aus Plastik" ist nicht nur des Erfolges wegen die klare Nummer eins dieses Jahr. Platz zwei und drei … kein Plan. Gibt bestimmt 'n paar gute Sachen, die ich nicht gehört habe. Aber ich denke, Nimo, Ufo361 und die KMN-Jungs haben dieses Jahr einen neuen Style in Deutschland etabliert. Hanybal feier' ich auch mies.
MZEE.com: Werden wir ein wenig kleinteiliger, von Alben hin zu Tracks: Wer hat dieses Jahr die beste Line in einem deutschen Rapsong gebracht und welche war das?
Nedal Nib: Oha, was für 'ne Frage! Natürlich schreiben wir selber die besten Lines. Spontan fällt mir da 'ne Zeile von Mighty Mo ein: "Dumm gelaufen wie 'n PEGIDA-Demonstrant."
MZEE.com: Kommen wir zu dem, was vor einem Jahr noch nicht absehbar war: Was hat dich in Bezug auf deutschen Rap im vergangenen Jahr so richtig positiv überrascht?
Nedal Nib: Dass Kollegah 2016 immer noch Versace trägt.
MZEE.com: Und im Gegenteil: Was war in diesem Deutschrap-Jahr so richtig unnötig? Warum?
Nedal Nib: Unnötig war wie immer so einiges. Aber das alles aufzuzählen, würde den Rahmen hier sprengen. Deswegen belassen wir es am besten bei der Antwort.
MZEE.com: Zu guter Letzt darfst du hier noch heimlich, still und leise jemanden auszeichnen: Welche Persönlichkeit der deutschen Rapszene – ganz gleich, ob Rapper, Produzent, Manager oder Journalist – hat in diesem Jahr besonders durch eine Leistung geglänzt oder konnte hervorstechen? Womit und warum?
Nedal Nib: Fler verdient auf jeden Fall einen Orden für sein großes Ego.
(Florence Bader & Lukas Päckert)
(Grafik von Daniel Fersch)