Juni 2016: Audio88 & Yassin und Tua
"Okay – was habe ich verpasst?" Eine Frage, der wohl jeder von uns schon mal begegnet ist. Egal, ob man sie selbst gestellt hat oder mit ihr konfrontiert wurde. Manchmal kommt einfach der Zeitpunkt, an dem man sich vor allem eines wünscht: "Bringt mich doch mal auf den neuesten Stand!" Doch wie antwortet man darauf? Was hält man für besonders erwähnenswert? Es ist schwer, eine kurze, aber vollständige Antwort darauf zu finden. Wie misst man überhaupt Relevanz? An medialem Hype? Am Überraschungsfaktor? Oder doch an dem musikalischen Anspruch? In "Hört, hört!" geht es um das alles, reduziert auf zwei Veröffentlichungen. Ein Release, das vor allem im Untergrund auf Zuspruch gestoßen ist, und eines, das in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Zwei Werke, die wir nicht unbedingt gut finden müssen, aber eine gewisse Relevanz oder eine Bedeutung jeglicher Art für die hiesige Raplandschaft besitzen. Zwei Werke, die am Ende des Monats vor allem eines aussagen: "Hört, hört! Genau das habt ihr verpasst!"
Audio88 & Yassin – Halleluja
Platz 22 in den deutschen Albumcharts. Nachdem "Normaler Samt" eine halbe Dekade auf sich warten ließ, scheint seit dem Release plötzlich ein anderer Wind zu wehen. Audio88 & Yassin, die bis dahin absolut unverdient im Untergrund dümpelten, sind auf einmal – zumindest etwas – erfolgreich. Da könnte man fast befürchten, dass es den beiden Rap-Zynikern vielleicht etwas viel Trubel werden würde und das nächste Werk deshalb noch viel länger auf sich warten ließe. Doch die Gebete der Fans um ein baldiges, weiteres Werk wurden erhört.
"Halleluja"! Als wäre mit dem letzten Album der Knoten geplatzt, folgt die neue EP des Duos nur ein Jahr später – und steht dem Vorgänger dabei in nichts nach. Deutlich merkt man der Platte an, dass die Interpreten mit dem zufrieden sind, was in der letzten Zeit passiert ist. Schließlich kam der Erfolg nicht durch extravagante Businessmoves oder einer Abwendung vom gewohnten Sound, sondern mit einem Werk, auf dem "der Möchtegern-Kanacke und die Glatze mit der Zahl" ihrer Linie treu blieben. Und genau deshalb wird auch in den heiligen Texten der EP gegen Schmütze, das Spießbürgertum und vor allem Wutbürger gepredigt. Denn während Erstere nur mitleidig belächelt werden und man sich in Zweiterem teilweise selbst wiederfindet, kriegen vor allem Letztere ihr Fett erbarmungslos weg. Acht Anspielstationen, vollgepackt mit Zeilen, von denen jede zitierwürdig erscheint und die – dank unter anderem Dexter, Torky Tork und Fid Mella – zudem noch großartig klingen. Mit "Halleluja" veröffentlichen Yassin und Audio88 ein Werk, das treffend wie nie in das aktuelle Zeitgeschehen passt, ihr bisheriges Schaffen par excellence verkörpert und zudem noch zugänglich wie keine ihrer Platten zuvor ist.
"Halleluja" zerschlägt nicht nur alle Sorgen, die langsam wachsende Hörerzahl könnte Audio88 & Yassin den Spaß am Beleidigen nehmen, sondern läutet als Erstveröffentlichung des eigenen Labels "Normale Musik" wohl auch noch jede Menge Folgereleases ein. Allzu lange werden wir darauf auch nicht warten müssen, scheint der Erfolg das Duo doch durchaus zu motivieren. Empfehlenswert ist "Halleluja" also allemal und wer die Platte schon in- und auswendig kennt, kann sich vermutlich schon auf das nächste Werk freuen.
(Daniel Fersch)
Tua – Narziss
Was macht einen Künstler aus? Von was lebt seine Kunst? Aus wirtschaftlicher Sicht natürlich vom Profit. Und so ist die Kluft zwischen einem echten, durchdachten Musikstück und dem hundertsten Pop-Sommerhit größer denn je. Kommerziellen Erfolg mit einer eigenen Linie zu kombinieren, gelingt nur den Wenigsten. So oder so ähnlich kann man wohl erklären, warum es einem Tua auch nach Jahren in der Rap-Szene noch an dem Hit fehlt, den man für den großen Durchbruch eben braucht. Und wisst Ihr was? Sei's drum.
Johannes Bruhns kann darauf verzichten, das Game "Deutschrap" hat er sowieso längst mit Leichtigkeit durchgezockt. Nicht umsonst ist "deutscher Rap so verfickt langweilig, ich krieg 'n Krampf. Vor lauter Gähnen wächst mir inzwischen 'ne dritte Hand". Eine Erkenntnis, die das Chimperator-Signing schon vor Jahren aussprach. So ist auch sein neuester Streich "Narziss" weniger Rap, als sich viele "Grau"-Hörer wünschen würden. Doch auch in ganz anderen Gefilden findet sich Tua bestens zurecht. Der selbst ernannte "Prolet/Poet" ist, was seine Textfinesse betrifft, gewohnt düster, nachdenklich und anspruchsvoll unterwegs. Musikalisch merkt man ihm indes an, dass er an seinem ganz eigenen Konzept von Musik arbeitet. Weg von Boom bap und pseudoharten Ghetto-Klängen hin zu neuen synthielastigeren Ufern mit Basslines, die hämmern, als hätte Kanye West höchstpersönlich die Soundmachine angeworfen. Alles selbst eingespielt und komponiert, versteht sich.
Man wird das Gefühl nicht los, dass an jeder Note, jedem Wort und jeder Zeile noch mal doppelt und dreifach gefeilt wurde. Dass bei einem solch durchdachten Werk nicht der leichte Sommerhit entsteht, versteht sich von selbst. Dass "Narziss" ein wunderbares Werk mit Rap-Einflüssen geworden ist, das diesen Hit auch gar nicht braucht, allerdings auch.
(Sven Aumiller)