"Okay – was habe ich verpasst?" Eine Frage, der wohl jeder von uns schon mal begegnet ist. Egal, ob man sie selbst gestellt hat oder mit ihr konfrontiert wurde. Manchmal kommt einfach der Zeitpunkt, an dem man sich vor allem eines wünscht: "Bringt mich doch mal auf den neuesten Stand!" Doch wie antwortet man darauf? Was hält man für besonders erwähnenswert? Es ist schwer, eine kurze, aber vollständige Antwort darauf zu finden. Wie misst man überhaupt Relevanz? An medialem Hype? Am Überraschungsfaktor? Oder doch an dem musikalischen Anspruch? In "Hört, hört!" geht es um das alles, reduziert auf zwei Veröffentlichungen. Ein Release, das vor allem im Untergrund auf Zuspruch gestoßen ist, und eines, das in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Zwei Werke, die wir nicht unbedingt gut finden müssen, aber eine gewisse Relevanz oder eine Bedeutung jeglicher Art für die hiesige Raplandschaft besitzen. Zwei Werke, die am Ende des Monats vor allem eines aussagen: "Hört, hört! Genau das habt ihr verpasst!"
Degenhardt – Terror 22
Es gibt verschiedene Arten von Rappern – von Stars, denen man sich durch ihre Omnipräsenz nicht entziehen kann, bis zu Untergrund-Künstlern, die sich im Hintergrund halten und nur für ihre vergleichsweise kleine Fanbase da sind. Degenhardt gehört definitiv zu letzterer Gattung. Seit nun mehr als sechs Jahren hat der Düsseldorfer seine zahlreichen Alben immer gratis ins Netz gestellt. Mit seinem neuesten Release "Terror 22" traut er sich nun aus dieser Komfort-Zone heraus und möchte sich mithilfe von Melting Pot Music einer breiteren Masse offenbaren.
Selbstoffenbarung ist auch genau das, was er auf "Terror 22" macht. Es ist ein weiteres Werk, in dem der Hörer die Gedankenwelt Degenhardts komplett offengelegt bekommt. Denn während andere sich in diesem "Kunst-Lyrik-HipHop-Scheiß" ("Fett & Rosig") verlieren, fühlt sich der Düsseldorfer MC in seinen abstrakten Vorstellungen von Liebe viel wohler. Als "der Antipromi-Penis" ("Fuck Off") beschreibt er sich selbst sehr treffend: Keine riesige PR-Aktionen oder Pop-Anbiederung, stattdessen ein kurzer Hinweis auf seine ausgefallenen Musik-Videos. Auch stilistisch folgt der Rapper dieser speziellen Haltung. So rappt er mal in einem ruhigen Erzähler-Ton, während er an anderer Stelle fast beim Rappen schreit. Gepaart mit den düsteren, stellenweise Horrorfilm-ähnlichen Instrumentals von Hiro MA ergibt das ein Klangbild, welches es so kein weiteres Mal zu geben scheint. Abgerundet wird dies mit geschickt in die Texte eingebauten Cuts aus alten Filmen und Hooks aus 90er-Jahre-Pop-Songs. Insgesamt handelt es sich um ein äußerst detailverliebtes, wenn auch inhaltlich sehr "anti alles" ausgerichtetes Gesamtwerk.
Kurz gesagt bleibt Degenhardt seiner Linie weiter treu und genau diese Kompromisslosigkeit macht sein Label-Debüt so besonders. "Terror 22" verschluckt den Hörer komplett, kaut ihn ordentlich durch und spuckt ihn dann wieder aus. Danach geht man entweder angewidert davon oder aber möchte sich direkt wieder hineinbegeben in die ganz eigene Form von Liebe, die diese Musik versprüht. Doch um herauszufinden, was davon für einen selbst zutrifft, sollte man sich unbedingt darauf einlassen …
(Lukas Päckert)
Megaloh – Regenmacher
Mit dem Erwerb der Sprache lernen wir bereits von klein auf Metaphern wertzuschätzen. Gemalte Bilder, die Situationen und Dinge oft so viel besser auszudrücken wissen, als die nüchterne Realität es zulassen würde. Gerade in Hinblick auf Probleme fällt es oftmals schwer, das Kind beim Namen zu nennen, wohingegen eine malerische Beschreibung Distanz schafft und Schwierigkeiten auf ihre Art und Weise entschärft. Megaloh ist einer dieser Maler, Worte seine Pinsel und "Regenmacher" womöglich seine persönliche Mona Lisa.
"Einzige Mucke, wo man das, was man sagt, auch verkörpern muss" – eine Zeile Megalohs, die sich großflächig in das Gedächtnis unzähliger Raphörer brannte und auch auf "Regenmacher" noch omnipräsent ist. Von Sekunde eins an merkt man die Echtheit jedes einzelnen Wortes, dass der Moabiter an den Hörer richtet. "Sie fragen mich, ob das Bild, das ich ihn' gerade mal', zu schwarz ist" ("Regenmacher") – dies ist eine nur mehr als nachvollziehbare Reaktion. Es stimmt, dass Mega viel von den Schattenseiten des Lebens berichtet. Aber wenn das Leben passagenweise eben nur in Grautönen stattfindet, lässt sich einfach kein glaubhafter Regenbogen malen. Und trotzdem ist "Regenmacher" so weit wie nur möglich entfernt von einem weinerlichen oder gar pathetischen Werk. Das Besondere ist eben, dass "Regenmacher" auch die freudigen Seiten des Lebens nicht auslässt und somit eigentlich die komplette Bandbreite abdeckt.
Und genau das macht neueste Werk Megalohs so hörenswert. Diese Echtheit, die den Hörer packt und ihm Song um Song Facetten des Lebens zeigt, die ihm im Vorfeld noch fremd waren. Er transportiert dies durch eine Wortwahl, die nichts verschleiert oder beschönigt, sondern durch lebhafte Bilder vor allem eines schafft: Klarheit. Klarheit darüber, dass man in Zeiten der Dürre eben selbst der "Regenmacher" sein muss – "ich lass' es fließen!" ("Regenmacher").
(Lukas Maier)