"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." – und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal, ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album –, mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Erst vor wenigen Wochen erschien "Rodeo" von Travi$ Scott. Ich war in diesem Jahr auf kein Album gespannter. Warum? Nun, der Mixtape-Teaser für die Platte namens "Days Before Rodeo" ging bereits im vergangenen Jahr online – und hat mich nachhaltig beeindruckt wie kaum ein anderes Release 2014. Völlig unerwartet eröffnete mir Travi$ Scott einen Sound, der so frisch und kreativ klang, dass der Rapper für mich zu einem der interessantesten Newcomer wurde.
Doch fangen wir von vorne an: Warum steckt "Days Before Rodeo" – ein Mixtape zum Free Download – mit Leichtigkeit die meisten anderen Rap-Releases des vergangenen Jahres in die Tasche? Müsste ich es auf ein Wort herunterbrechen, würde ich sagen: Es ist die Energie. Scott ist jung und hungrig und das hört man auch. Er, der talentierte Youngster, schart andere Newcomer um sich, um Rapmusik zu machen, wie man sie bisher noch nicht gehört hat. Dabei fährt er eine ähnliche Attitüde wie Kanye auf "Yeezus". Kein Wunder, wirkte Travi$ Scott doch als Produzent an der Platte mit. Doch ist sein Sound weit weniger sperrig und dafür greifbarer – fast ist man gewillt zu sagen: ausgereifter. Zusammen mit seinen Produzenten kreierte Scott ein düsteres, schwerfälliges Klangbild, das nie still zu stehen scheint. Effekte, Variationen und weitere Überraschungen stecken in jeder Produktion. Heraus kommt ein eigensinniges Hörerlebnis, das die angestrebten Emotionen auf eine ganz neue Weise überträgt. Das verträumte, aber gleichzeitig fast schon monströse "Drugs You Should Try" etwa fängt die dämmrige Atmosphäre eines Rausches in unvergleichlicher Weise ein. "Don’t Play" hingegen ist ein Banger, dessen treibender, dichter Sound jeden in seinen Bann zieht.
Mein absolutes Highlight ist allerdings "Skyfall" mit Young Thug. Der finster-dumpfe Beat beginnt träge, steigert sich im Verlauf aber zu einer opulenten Hymne. Die eingängige Hook nimmt einen mit in eine andere Welt, die sich spätestens bei Young Thugs Part in ihrer ganzen Perfektion offenbart. Die einnehmende Atmosphäre scheint beinahe greifbar. Wie in Ekstase saugt einen die eigenwillige Quitschstimme von Thugger in eine andere Dimension. "Days Before Rodeo" bricht mit Hörgewohnheiten und ist anders. Aber trotzdem – oder gerade deswegen – ist es so großartig.
(Florian Peking)