Mit seinem siebten Soloalbum "Irreversibel", das im Mai dieses Jahres erschien, verbuchte Nazar kürzlich große Erfolge. Neben dem Gold-Status und hohen Charteinstieg in Österreich erreichte er mit seinem aktuellen Werk Top-25-Platzierungen in zwei weiteren Ländern. Dadurch konnte der in Teheran geborene MC seine Anhängerschaft noch weiter vergrößern. Den damit einhergehenden Bekanntheitsgrad wusste Nazar schon in der Vergangenheit zu nutzen, um auf für ihn wichtige Themen aufmerksam zu machen. So äußerte er sich beispielsweise vor Jahren schon kritisch über FPÖ-Chef Strache. Und auch in der jüngsten Zeit fielen seinerseits einige Worte zur Bundespräsidentenwahl seiner Heimat. Im MZEE.com Interview mit dem Wiener Rapper kamen deshalb vorwiegend politische und gesellschaftliche Themen wie Rassismus und Religion, Probleme unserer Generation sowie Integration zur Sprache.
MZEE.com: Dein neues Album dreht sich zu großen Teilen um Gefühle. Was treibt Nazar an, morgens aufzustehen?
Nazar: Gar nichts – ich bin Langschläfer. Ich hab' mir eine Zeit lang angewöhnt, früh aufzustehen, weil es definitiv für den Körper besser ist, in einen normalen Alltag zu starten. Aber mit der Arbeitsweise, die ich habe, ist das nicht mehr möglich. Ich arbeite ja auch oft bis spät in die Nacht. Deswegen habe ich nicht den Motivationsschub, morgens früh aufzustehen.
MZEE.com: Aber du stehst ja dann irgendwann mal auf … Das fordert doch einen bestimmten Antrieb, oder?
Nazar: Da kann ich dir keine detaillierte Antwort drauf geben, weil ich nicht in der Position bin, zu sagen: "Ich bin so motiviert, etwas Neues zu schaffen, steh' deswegen auf, erfreu' mich dann meines Lebens und setze mich wieder an die Arbeit". Ich mach' das jetzt schon so lange und arbeite neben der Musik auch noch sehr viel. Ich bin stiller Teilhaber in drei Restaurants und zwei Klamottenläden. Ich hab' noch eine Produktionsfirma, mit der ich Musikvideos und Werbespots drehe. Bei mir ist es dann meistens so, dass ich wirklich froh bin, wenn ich länger ausschlafen kann.
MZEE.com: Auf "Generation Darth Vader" rappst du: "Und wir fühlen nichts mehr, denn zu taub ist das Herz. Vor lauter Hass in der Brust sind die Augen geschwärzt" – ist Hass kein Gefühl?
Nazar: Natürlich ist Hass auch ein Gefühl. Aber keins, mit dem man ausdrücken möchte, was man fühlt. In der Sprache der Musik verbindet man mit einem Gefühl immer etwas Positives. Eigentlich sage ich damit, dass die Generation nichts Positives mehr fühlt und deswegen in den Hass abgleitet.
MZEE.com: Wenn mir in der Literatur jemand begegnet, der nichts mehr fühlt, dann kippt er in ein Loch und macht gar nichts mehr. Fünf Wochen am Stück rumliegen, bis von außen ein Impuls kommt …
Nazar: Bei dem Song, den du ansprichst, geht es halt nicht wirklich um mich, sondern um eine Generation, die heutzutage vor sich hinvegetiert oder in eine wirklich negative Richtung abdriftet. Aufgrund des Hasses, der sich in ihr bildet und staut, weil sie in dieser Parallelgesellschaft lebt.
MZEE.com: Ist das ein Problem der westlichen Welt?
Nazar: Ich glaube, dass es vor allem ein europäisches Problem ist. Wenn man zum Beispiel die Debatten sieht, die permanent im Fernsehen laufen, die Nachrichten, die gesendet werden … Guck mal: Ich bin gebürtiger Iraner und ich denke, dass jedes Volk Rassismus und eine gewisse Überheblichkeit gegenüber einem anderen Volk in sich trägt. Und bei uns Iranern ist es, wie ich mitbekommen habe, sehr stark gegenüber den Afghanen gewesen, dass da viele sehr schlecht behandelt wurden. Es ist halt nicht so extrem intensiv, wie es grade bei uns in Europa zu sehen ist. Wir sind ja wirklich dabei, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zu installieren und die Menschen aufgrund des Aussehens, der Herkunft oder der Religion zu spalten. Und das fängt schon bei ganz jungen Leuten an. Ich seh' irgendwie nicht, dass das anderswo auf der Welt in diesem Ausmaß passiert wie in Europa. Jede rechtspopulistische Partei wird immer stärker. Das ist ein schwieriges Thema, denn wenn jemand mit meinem Aussehen das sagt, heißt es: "Der Kanacke soll die Fresse halten". Wenn das ein Deutscher oder Österreicher sagt, heißt es: "Oh, ein linksorientierter Gutmensch". So eine Scheiße halt. Ich weiß nicht, wohin das führt und hoffe, dass es irgendwann ein Ende nimmt und man die Menschen nicht weiter gegeneinander aufhetzt. Und dass wir wieder lernen, warum die Europäische Union überhaupt gegründet wurde und man nicht versucht, mehr Zäune, Grenzen und Mauern aufzubauen.
MZEE.com: In der Notunterkunft, in der ich helfe, haben wir auch wirklich junge Menschen, die in den Freistunden da sind. Das finde ich unheimlich groß.
Nazar: Wow! Ja, voll. Guck mal, ich hab' gestern am Abend noch sehr lange Fernsehen geguckt und da lief eine Sendung mit einer österreichischen Familie auf dem Land, die afghanische Kinder, die ohne Eltern nach Österreich gekommen sind, zu sich nimmt. Da haben die Leute auch über ihre Anfangszeit gesprochen, bevor sie die Kinder zu sich genommen haben, und darüber, wie es jetzt ist. Da habe ich auch gedacht, dass das extrem lobenswert ist. Sie sind bereit, Kindern zu helfen und haben keine Vorurteile. Ich habe großen Respekt vor jedem, der Menschen in Not hilft und das vor allem auch noch in einer Zeit, in der es viel einfacher wäre, mit dem Finger darauf zu zeigen.
MZEE.com: Glaubst du, dass man über HipHop eine Form von Integration schaffen kann?
Nazar: Integration … ich weiß nicht. Das ist vor allem eine Sache, die vom Menschen selber ausgeht. Ich kenne auch viele Eltern meiner Freunde, die seit 40 Jahren in Österreich leben und kein Wort Deutsch sprechen. HipHop ist ein sehr wichtiges Medium, wenn es darum geht, Kulturen und Menschen zusammenzuführen. Weil es im HipHop bis dato keinen Rassismus gab. Jetzt haben wir leider schon gesehen, dass es zu nichts Gutem führen kann, wenn man auch im HipHop versucht, zu spalten und zu unterscheiden, wer welche Religion hat. HipHop sollte wirklich einfach nur eine Plattform sein für alle Rassen – woher man auch kommt – und alle Menschen verbinden.
MZEE.com: Hat die N-Wort-Diskussion denn nichts mit Rassismus zu tun?
Nazar: Doch, natürlich. Definitiv. Also, jetzt nicht, dass die Menschen wirklich etwas gegen Schwarze hätten. Aber es wird einfach viel zu leichtfertig hingenommen. Ich habe auch sehr viele schwarze Freunde und für mich war immer absolut klar, dass man das nicht sagt. Selbst wenn ein Freund von mir sagen würde, dass das okay ist, bin ich nicht der Typ, der diesen Begriff verwendet. Ist aber auch das Gleiche mit Satire. Ich habe nie verstanden, warum in der Tageszeitung zig Karikaturen von Jesus, Gott und so waren. Ich habe auch sehr viele kroatische Freunde, die strenggläubige Christen sind. Und wenn die sowas sehen würden … Das würde ihr Herz zerbrechen. Es würde sie wirklich verletzen und davon bin ich einfach kein Freund.
MZEE.com: Stehen für dich, wie in diesem Beispiel mit der Kirche, persönliche Rechte über der Kritik an der Institution?
Nazar: Definitiv. Guck mal, du nennst das "Institution". Ich glaube nicht, dass die Kirche oder der Vatikan an der Börse ist und Milliarden macht. Das wird nicht karikiert, sondern immer nur die Religion und die Figur, die in der Öffentlichkeit steht. Das sind dann halt Mohammed, Jesus oder Gott. Weil Religion nun mal etwas sehr Intimes ist, verletzt das eben Menschen. Mach doch keine Scherze darüber, das muss doch nicht sein. Es gibt so viele dumme Dinge, über die man sich gerne lustig machen kann, weil sie es auch verdient haben.
MZEE.com: Nehmen wir mal die katholische Kirche. Die ist im Laufe der Zeit sehr von der Lehre Jesu abgekommen. Dann erkennt man, dass die Kirche über Jahrhunderte verbreitet, dass die Frau mal gut, mal schlecht und mal der Ursprung allen Übels ist … Mit welchen Mitteln würdest du das aufzeigen?
Nazar: Glaubst du, dass ein gläubiger Mensch das sieht und dann sagt: "Jetzt folge ich der Kirche nicht mehr"?
MZEE.com: Nein, aber persönlich glaube ich auch nicht, dass der Gläubige das Problem ist. Aber die Kirche sagt dann: "Juhu, jetzt dürfen Frauen ein Jahr lang abtreiben und kommen dafür nicht in die Hölle …"
Nazar: Ich versteh' voll, was du meinst. Dann soll aber auch bitte differenziert und nicht nur Jesus abgebildet werden. Für viele Menschen, die ich kenne – auch Moslems, die fünfmal am Tag beten –, ist das unfassbar krass. Ich sehe das selber nicht so streng, aber deshalb darf ich doch nicht beurteilen, ob das für diese Menschen so extrem ist. Deswegen bin ich einfach absolut kein Freund von allgemeinem Scheiß und Satire.
MZEE.com: "Der Postillon" hatte mal einen tollen Artikel mit der Headline: "Flüchtling renkt sich den Unterkiefer aus und verspeist blondes Kind bei lebendigem Leibe". Großartig und Gold, gerade in den Zeiten, in denen wir leben.
Nazar: Ich weiß, was du meinst. Einfach die Stimmung ein bisschen auflockern und dabei auf ein ernstes Thema hinweisen. Das ist aber auch definitiv eine coolere Art und Weise als jetzt zum dreißigsten Male Bombenanschläge zu sehen und Menschen, die ihre Kinder auf den Händen tragen. Da bin ich voll bei dir.
MZEE.com: Kommen wir zu einem anderen Thema. Ist es ein deutsches Phänomen oder kennst du das auch, dass Iraner angeblich total uncool sind und Perser wunderschön exotisch?
Nazar: Mir ist das egal. Ich sage beides, wie es mir gerade in den Mund kommt. Ich weiß auch nicht, ob es Menschen gibt, die absichtlich "Perser" oder "Iraner" sagen. "Perser" klingt natürlich auch schöner, weil man damit immer das Perserreich verbindet. Und die Kultur. Und "Iraner" ist immer nur das aus den Medien, also eher negativ. Das war für mich auch oft erschreckend, wenn Leute mich fragen: "Woher kommst du?", und ich sage: "Aus Österreich." Die gucken dann komisch und fragen, woher meine Eltern kommen oder wo ich geboren wurde. Und wenn ich dann sage: "Aus dem Iran", dann wollen sie mit mir über das Land reden. Es kann doch nicht sein, dass es so viele Leute in Europa gibt, die so unfassbar dumm sind. Und das bei dem Bildungssystem. Auf den Iran bezogen ist es natürlich auch nachvollziehbar, dass man fragt, ob es nicht gefährlich ist. Egal, wie schön Teheran auch ist. Trotzdem ist es Fakt, dass du dich da als Frau den Regeln anpassen und Kopftuch tragen musst. Ist klar, dass das manchen Menschen erst mal Angst macht.
MZEE.com: Warum sollte man in Österreich wohnen? Was ist das Tolle an Österreich?
Nazar: Jetzt kann ich mich nur selber töten. Momentan fällt es mir schwer, stolz auf Österreich zu sein, weil die rechte Seite und deren Wähler ja selbst nicht einmal sagen, dass sie rechts sind, sondern: "Ich bin absolut kein Ausländerfeind. Ich wähle eigentlich nur das, was die Alternative ist zu dem, was es bis jetzt gab." Ich muss aber ehrlich sagen: Neben diesem brutalen, ausländerfeindlichen Teil, der immer größer wird, ist Wien definitiv eine der besten Städte, die es zum Leben gibt. Es ist mit Abstand die liebenswerteste Stadt der Welt. Ich kenne wenige Städte, in denen man sich so sicher fühlen kann. Egal, welches öffentliche Verkehrsmittel – alles ist perfekt abgestimmt. Unser Gesundheitssystem, auch wenn es grade dabei ist, abzudriften, ist trotzdem immer noch unglaublich krass. Man muss sich, glaube ich, schon sehr, sehr dumm anstellen, um sozusagen kein Geld für Essen zu haben. Wien ist auch eine wunderschöne Stadt und wenn man den Wiener Humor versteht, dann fühlt man sich da unfassbar wohl. Die Menschen sind zwar extrem grimmig und unfreundlich, wenn du aber mit ihnen warm wirst, dann ist es etwas Besonderes. Auch anders als in anderen Städten.
MZEE.com: Wien ist anders als der Rest Österreichs?
Nazar: Definitiv. Wien ist für mich Österreich. Ich kann keine Bundesländer ernst nehmen, die kleiner sind als der Bezirk, in dem ich wohne. Das ist das Krasse an Österreich. Du hast Wien und die Stadt ist größer als jede Stadt Deutschlands – bis auf Berlin. Jede andere Stadt in Österreich ist sowas wie ein Dorf. Das sind aber auch wunderschöne Städte wie Linz, Graz, Salzburg. Tirol ist ganz, ganz krass. Es gibt coole Sachen, aber Wien ist halt Wien.
MZEE.com: So wie München und Bayern also?
Nazar: München ist auch ein Dorf gegen Wien, das darf man nicht vergessen. Ein wirklich kleines Dorf.
MZEE.com: Vielleicht war ich nicht oft genug in Wien, aber die Mentalität wirkt immer sehr …
Nazar: … überheblich, arrogant?
MZEE.com: Friedlich, provinziell …
Nazar: Da warst du aber in krassen Ecken!
MZEE.com: Ich hab' in London gewohnt und nach einer Stadt gesucht, die danach kommt …
Nazar: Ich bin sehr oft in London, war vor zwei Monaten dort. London ist eh eine der Multikulti-Städte überhaupt. Aber dann ist klar, dass das ein kleiner Kulturschock ist. Das, was ich in New York erlebt habe, war für mich eigentlich ein Schock. Ich war das erste Mal in New York und ich habe die ganze Zeit nach Menschen Ausschau gehalten, die mich komisch anschauen. Aufgrund meines Barts, meines Aussehens. Du suchst das so: "Warum gucken die denn nicht?" Das kenne ich auch aus London, ein wenig auch aus Amsterdam. Bei uns in Österreich ist das ein Riesenproblem. Du hast natürlich die Hipster-Bezirke, da ist jeder etwas für sich selbst, hat einen Künstlerberuf. Man kann auf einer Ebene quatschen und dann hast du eine komplette Spaltung: Österreicher und Ausländer. Die sehen auch Leute wie mich nicht als Österreicher und würden mich nie zu sich nach Hause einladen. Wegen der Vorurteile, die im TV gesendet werden. Das ist wirklich ein Problem.
MZEE.com: Hast du eine Botschaft an die Welt, die sie schöner macht?
Nazar: An alle Menschen, die die Möglichkeit haben: Bitte, bitte, jeden Tag Zähne putzen und auch immer die Nägel kontrollieren.
MZEE.com: Hast du noch eine Botschaft an die Welt, die sie innen schöner macht?
Nazar: Da könnte ich jetzt nur Phrasen sagen, die man eh schon weiß. Aber: Bisschen darauf achten, wie oft man Fleisch isst und woher es kommt.
(von unserer freien Mitarbeiterin Jasmin N. Weidner)