Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir in jedem Quartal an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: PA Sports (Veröffentlicht: 22.05.2016)
In der Rapmusik treffen nicht nur verschiedene Stile aufeinander. Auch unterschiedliche Religionen, Nationalitäten und Ansichten begegnen sich vor und auf der Bühne. Die Betonung der Unterschiede ist dabei vor allem dem Wettbewerbscharakter geschuldet, der dem Battle zugrunde liegt. Für gewöhnlich kann das diskreditierende Aufzeigen von Divergenzen also mit "ist doch nur Rap" abgetan werden. Anders ist es, wenn nicht mehr zwischen Kunst und Realität differenziert wird. Denn dann spielen derartige Aussagen leicht rechten Parteien, fanatischen Glaubensauslegungen und anderen gefährlichen Ideologien in die Karten. Daher ist es wichtig, dass Rapper sich auch zu diesen Unterschieden, Vorurteilen und Ressentiments äußern und klarmachen, wie man anderen Kulturen, Religionen und Menschen – denn allein um diese geht es letztlich – vernünftig begegnet. So wie etwa PA Sports in seinem Interview mit TV Strassensound. Neben seiner Abneigung gegenüber nationalistischen Denkweisen erklärt er, sich zwar durch seine Wurzeln und Herkunft zu identifizieren, betont aber, dass diese allein keinen Anlass gäben, Stolz zu empfinden. Er räumt ein, dass unterschiedliche konfessionelle und/oder politische Auffassungen natürlich zu Diskussionen und Debatten führen könnten und auch sollten, sich allein daraus aber kein grundloser Hass entwickeln darf. Klar ist der eine oder andere Punkt, den PA aufführt, vielleicht naiv gedacht und die Verwendung von "schwul" als Beleidigung dabei mehr als unpassend – die Grundaussage des Ganzen ist dennoch positiv. Ebenso ist es ihm zugute zu halten, dass er solche Aussagen nicht nur in seinen Interviews trifft, sondern auch in Tracks verpackt, sodass es hier letztlich gar keine "ist doch nur Rap"-Ausrede braucht, sondern man viel eher sagen kann: "Ja, auch das ist Rap".
Video: Audio88 & Yassin feat. Nico K.I.Z – Gnade
Arbeitete man sich im vergangenen Quartal durch die zahlreichen Videoauskopplungen deutscher Rapper, gab es wieder viel Sehenswertes. Dabei stach das Bewegtbildmaterial des Berliner HipHop-Duos Audio88 & Yassin zum Song "Gnade" mit Nico K.I.Z hervor. Die Umsetzung der Hauptakteure glänzt allerdings nicht durch eine cineastische Inszenierung. Es sind die starken Einzelbilder, die das knapp sechsminütige Video ausmachen. Zunächst vielleicht kurz zur Thematik des Songs: Es geht um den Tod und wie einen dieser auf alle erdenklichen Arten ereilen kann. Genau das bekommt man dann auch im Video zu Gesicht – und zwar in Form von pechschwarzem Humor. Mehrere Darsteller hauchen ihr Leben unter teilweise übertriebenen Splatter-Effekten aus. Dabei erinnert der ein oder andere Tod an Szenen aus der "Final Destination"-Filmreihe. Da wären zum Beispiel das Abtrennen eines Kopfes durch eine geworfene Frisbeescheibe oder ein Mann, der sich aufgrund akuter Seekrankheit übergeben möchte und dabei in die Schiffsschraube gerät. Jedes einzelne Ableben wird herrlich übertrieben dargestellt – auch ohne die Nutzung teurer Spezialeffekte. Dadurch merkt man, dass hier Herzblut reingesteckt wurde und auch begrenzte Möglichkeiten optimal ausgeschöpft wurden. Nach vielen anderen Darstellern erwischt es dann auch die drei Protagonisten. Sie treffen sich im Himmel und tragen, bis auf Nico, kleine Engelsflügel und Heiligenscheine. "Gnade" macht also nicht nur beim Hören Freude, sondern ist durch das passende und liebevoll gemachte Video absolut sehenswert.
Song: Beginner feat. Gzuz & Gentleman – Ahnma
"Wir packen Hamburg wieder auf die Karte" – und damit ist bereits schon alles gesagt. Die Beginner zusammen mit Gzuz von der 187 Strassenbande: Eine Hamburger Crew, die ihren Zenit bereits um die Jahrtausendwende erreichte, tut sich zusammen mit der Hamburger Bande, um die man heutzutage im Bereich Rap einfach nicht herumkommt. Clash of Generations, könnte man also meinen – doch die Realität sieht anders und viel, viel besser aus. Nicht nur Eizi Eiz aka "der Testsieger rappt wieder" – nein, auch Denyo gibt sich Welten besser als noch auf "#Derbe" aus dem vergangenen Jahr. Obendrauf gibt es noch die absolute Ohrwurmhook von 187-Topscout Gzuz, die bedenkenlos stundenlang auf Repeat laufen kann. Und die Krönung erhält das Ganze zusätzlich durch die gesangliche Unterstützung von Gentleman, was ein absolut rundes Gesamtpaket entstehen lässt. Wer da allen Ernstes noch haten will … Na ja, der will Rap auch einfach nicht verstehen. Oder – um es wie Gzuz zu sagen: "Was los, Digga? Ahnma."
Instrumental: Yung Hurn & Rin – Bianco (prod. Lex Lugner)
Lex Lugners Beat für Yung Hurn & Rins Sommerhit für verschneite Tage und Nächte ist nicht unter typischem Cloud-Sound einzuordnen, wie ihn Clams Casino verkörpert. Ebenso handelt es sich nicht um Trap, wie ihn der aus Atlanta stammende Lex Luger, von dem Lugner offenbar bei der Namensgebung inspiriert war, zumeist fabriziert. Sicherlich klingt das Instrumental äußerst luftig, was dem drogengeschwängerten Swag der beteiligten Rapper sehr in die Karten spielt. Jedoch steht hier – wie so häufig bei Lugner – die reine Verstrahltheit nicht im Vordergrund. Der ein oder andere Rucksackträger wird es eher ungern hören, doch aus den butterweichen Pianoklängen und groovenden Drums des Beats trieft jede Menge Soul. Was bei der Diskussion um die neue Spielart unseres geliebten Raps gerne übersehen wird, ist, dass es ohne Leute wie J Dilla und Madlib sicherlich keinen Cloudrap in seiner derzeitigen Form gegeben hätte. Im wolkigen Sound steckt also auch eine gehörige Portion Sample-Affinität. Wenn es sich bei "Bianco" allerdings nicht um astreinen Cloudrap oder Trap handelt, haben wir es dann etwa mit Boom bap zu tun? Oder aufgrund der geschmeidigen Melodien gar mit Pop? "Alles Schmarrn", wie der Österreicher sagen würde. Der Beat lässt sich schlichtweg nicht einordnen. Man muss ja auch nicht überall ein Etikett dranheften. Wenn es jedoch unbedingt sein muss, dann in diesem Fall bitte Folgendes: "besonders frisch". Durch seine unkonventionelle Eingängigkeit hat sich Lex Lugners Instrumental seinen Platz in unseren "High Five" redlich verdient.
Line: Gzuz & Bonez MC – Optimal
Deutscher Rap liegt auf dem Rücksitz am Verbluten …
Bring' ich ihn zum Arzt oder drück' ich ihm 'ne Kugel?
Deutschrap floriert und stagniert gleichzeitig. So paradox das zunächst klingen mag, steckt doch ein Fünkchen Wahrheit dahinter. Die blanken Zahlen – egal, ob brechend gefüllte Konzerthallen oder ausverkaufte Premium Boxen – sprechen deutlich für das stetige Wachstum der Szene. Zwischen Realness-Debatten und repetitiven Rhythmen scheint es aber so, als würde man alles bereits zum zehnten Mal hören und kaum vorankommen. So sieht es zumindest auch die 187 Strassenbande, die stets einen kritischen Blick auf die Kollegen wirft. Gzuz stellte deshalb bereits auf seinem Soloalbum den anhaltenden Fitness-Wahn und die Wahrheit hinter etwaigen Gangster-Possen infrage, was er mit seinem Kollabo-Partner Bonez MC auf "High und Hungrig 2" noch einmal untermauert. Auf "Optimal" geht er sogar noch ein wenig weiter: Der Hamburger inszeniert sich als Deutschraps Henker und überlegt sich, ob er die Blase nicht spontan selbst zum Platzen bringen soll. Das präsentiert er so druckvoll und aggressiv gerappt, dass die Line einem auch noch Tage später deutlich im Kopf hängenbleibt. Und vielleicht regt sie ja außerdem dazu an, mal einen zweiten, kritischen Blick auf unsere hiesige HipHop-Szene zu werfen.
(Daniel Fersch, Benjamin Borowitza, Lukas Maier, Steffen Bauer, Sven Aumiller)
(Fotos von Mayson's Designs (PA Sports), Robert Winter (Audio88 & Yassin), YouTube "Beginner – Ahnma feat. Gzuz & Gentleman (official Video)" (Beginner), Live From Earth (Lex Lugner), Esra Sam Photography (Gzuz & Bonez MC))