Nach drei EPs und zwei Teilnahmen am VBT veröffentlichte ÉSMaticx am 27. Mai dieses Jahres mit "Rot" ihr erstes Soloalbum. Gleichzeitig feierte die Rapperin aus Attendorn damit ihr Debüt bei Egoland Musik. Durch die neue Labelheimat konnte sie auf die Fähigkeiten von Produzent Lucry bauen, der für die komplette musikalische Untermalung der bis zu zwei Jahre alten Texte verantwortlich ist. Im Interview befragten wir És daher zu ihrem Labeldeal, der Entstehungsphase von "Rot" sowie ihrem eigenen Stil. In diesem Zusammenhang kamen wir auch auf den Internet-Hate, mit dem sich ÉSMaticx wiederholt auseinandersetzen musste, und Frauen im Rap zu sprechen. Neben all den musikalischen Inhalten redeten wir mit ihr auch über die Flüchtlingsthematik. Dabei ging es vor allem um Erfahrungen aus ihrem Heimatort sowie das Problem der Deutschrapszene, politische Themen in Raptexten anzusprechen.
MZEE.com: Plötzlich bist du wieder da, kündigst das Album "Rot" an und veröffentlichst die ersten Songs. Wann gab es bei dir den Zeitpunkt, an dem du gesagt hast: "Ich muss jetzt mal langsam ein Album bringen"?
ÉSMaticx: Ich hab' das schon die ganze Zeit gehabt, aber irgendwie hat es am Funken Hoffnung gefehlt und daran, dass ich weiß, wie ich es an den Mann bringe. Ich hätte wahrscheinlich noch ein weiteres Jahr gestrugglet und es am Ende als Free Download rausgehauen. Ich wüsste nicht, wie man so ein Album vertreibt, wenn mich nicht Egoland angerufen und gesagt hätte: "Wir haben gelesen, du willst dein Album rausbringen. Hast du schon eine Idee, wie du das machen willst? Weil wir gerade das Label aufziehen und wir alles haben, was du für ein Albumrelease brauchst. Schau doch einfach mal vorbei, wir lernen uns kennen und wenn du Bock hast, dann machen wir das." Tatsächlich ist es dann so gekommen, dass wir uns schnell getroffen und gut verstanden haben. Danach kam ich nach Hause und wir hatten die Beats für 90 Prozent des Albums. Und da ich vier Jahre Zeit zum Schreiben hatte, waren die Texte bereits fertig. Lucry hat dann Instrumentals genommen und mir gesagt: "Ich habe schon 40 Beats rausgesucht, die eventuell etwas für dich sein könnten." Und genau so ist es abgelaufen – als ich nach Hause kam, war mein Album quasi fertig.
MZEE.com: Wie alt ist dann der älteste Text?
ÉSMaticx: Gute Frage … (überlegt) Ich glaube, zwei Jahre.
MZEE.com: Das hält dich aber nicht davon ab, es nun zu veröffentlichen, weil du sagst, das Thema ist zu alt?
ÉSMaticx: Nee, nee. Ich bin da eh sehr kritisch und perfektionistisch. Aber das war so ein Track, den ich damals geschrieben und zurückgelegt habe, bis jemand einen passenden Beat dazu bauen kann. Zum Beispiel "Alles so egal" – den Song habe ich geschrieben und hatte nie einen Beat dazu. Der gehörte zu den 10 Prozent des Albums, die nicht fertig waren und die wir dann zusammen produziert haben. Der Track wurde nur noch stärker, da er jetzt einen Beat bekommen hat.
MZEE.com: Das heißt, dass du viele Songs geschrieben hast, ohne einen passenden Beat zu haben?
ÉSMaticx: Nein, nicht viele, das möchte ich so nicht sagen. Ich hatte zwei bis drei Sachen auf dem PC, die ich ohne Beat geschrieben habe. Die haben auch leider bis auf "Alles so egal" immer noch keinen passenden Beat. Der ist nun auch auf dem Album. Alle anderen Tracks hatten Beats und wurden nur noch ersetzt oder nachgebessert.
MZEE.com: Wie kann man sich das vorstellen, wenn du einen Text ohne den Beat schreibst?
ÉSMaticx: Ich bin dann etwas freier, was die Melodien angeht. Und ich kann mich besser austoben. Dann kann ich Lucry sagen: "So und so habe ich mir das vorgestellt und das und das Instrumental wäre nice." Das hatte ich halt vorher nicht. Ich hatte keinen Produzenten an der Hand, der meine Gedanken so umsetzen kann. Da haben Lucry und ich uns unglaublich gut ergänzt. So hat das, Gott sei Dank, nach zwei Jahren doch noch funktioniert mit dem Album.
MZEE.com: Viele deiner Kollegen zieht es in die große Stadt, um die Karriere anzukurbeln, weil es dort mehr Kollegen, Manager und Produzenten gibt. Du wohnst meines Wissens nach weiterhin in einem kleinen Ort. Macht es das Musikmachen für dich schwerer?
ÉSMaticx: Also, Mucke zu machen wird dadurch nicht schwieriger. Ich bin seit Jahren in meinem Zimmer und habe das auch nie anders gemacht, als mich nachts ab 12 Uhr an einen Text zu setzen. Ich würde sagen, nur 10 Prozent der Texte, die ich geschrieben habe, sind tagsüber entstanden und der Rest ist eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Aber ich glaube, es wäre auch kein großer Unterschied, wenn ich in einer Großstadt leben würde, weil das ja nicht zwingend heißt, dass ich das Label um mich habe. Aber ich bleibe erst mal in Attendorn, weil ich erstens kein Geld zum Umziehen habe und zweitens, weil zum Beispiel Berlin rund fünf Stunden weg ist und mein bester Freund in Nordrhein-Westfalen wohnt. Das möchte ich ungern aufgeben.
MZEE.com: Im Vergleich zu einigen anderen Künstlern, die das VBT als Karriere-Ssprungbrett nahmen, hast du dir erstaunlich viel Zeit für das erste, richtige Album gelassen. War es eine bewusste Entscheidung, so lange zu warten oder gab es andere Gründe dafür?
ÉSMaticx: Ja, nicht so richtig. Ich habe mein Album nie am VBT festgemacht. Das Turnier war eine Erfahrung für mich, um zu sehen, inwieweit ich Battle-Rapperin sein kann, wie cool das für mich ist und was ich daraus lernen kann. Auf einmal entstand dann der krasse Hype, aber daran wollte ich mein Album nicht festmachen. Ich wollte immer, dass mein Album mir wahnsinnig gut gefällt und für mich perfekt ist. Das war es die letzten drei Jahre nicht. Ich habe mein Album nie zu Ende gedacht beziehungsweise es geschafft, sodass ich sage: "Jetzt kann es raus". Für mich war es dann egal, ob ich den Hype mitnehmen kann oder ob ich mir diesen wieder erkämpfen muss. Entweder es passiert oder eben nicht. Aber ich würde nicht sagen, dass ich es aus Trotz gemacht habe und sage: "Nee, ich mach' das jetzt nicht, weil alle anderen haben schon".
MZEE.com: Lag es auch daran, dass der Kopf noch im Battlerap steckte und du dich für neue Sachen nicht richtig frei machen konntest?
ÉSMaticx: Nee, gar nicht. Das war für mich nie ein Punkt, weil ich da sehr gut differenzieren konnte. Ich habe ja auch neben dem VBT Tracks geschrieben, die mir gefallen. Natürlich haben mir die Turnier-Songs auch gefallen. Aber da ist es ja klar, dass du nie zu 100 Prozent Freiheit hast, auch weil du die Beats nicht immer selbst picken kannst und immer einen Gegner hast, den du angreifen musst. Aber ich hatte das nie, dass ich voll im Battlemodus war und dann gar keine anderen Sachen mehr schreiben konnte.
MZEE.com: Durch den Deal mit Egoland hat sich dein musikalisches Umfeld geändert, zum Beispiel produzierte Lucry dein neues Album. Hat sich dadurch auch deine Musik geändert oder wolltest du schon vorher die etwas poppigere Richtung einschlagen?
ÉSMaticx: Gar nicht. Die Jungs sind da mega-offen und wenn sie meine Musik, so wie sie ist, nicht feiern würden, hätten sie mich wahrscheinlich gar nicht angesprochen. Sie haben gesagt: "Mach dein Ding", und ich konnte alles, was ich mir vorgestellt habe, so umsetzen. Da wurde mir nicht reingeredet, was für mich auch ultrawichtig war. Wenn man mir reingrätscht, turnt mich die Sache unglaublich ab und ich bin direkt weg.
MZEE.com: Du sprichst in einem anderen Interview davon, dass du einen ganz eigenen Stil entwickelt hast. Wie würdest du diesen beschreiben?
ÉSMaticx: Ich weiß es nicht. (überlegt) Das ist echt schwer zu beschreiben. Ich glaube, es ist die eigene Betonung, die ich hab', aber selbst die kann ich nicht nachmachen. (lacht) Ich glaube, man weiß, was ich meine. Meine Beats sind eine Mischung aus melancholisch und dann trotzdem irgendwie fröhlich. Ich glaube einfach, das macht nicht jeder und da ich auch nicht wie jeder rappe (lacht), ist das eben mein ganz eigener Stil. Es ist wirklich alles sehr wirr und schwer zu beschreiben.
MZEE.com: Unter deinen Videos wird deine Musik häufig mit Cro verglichen. Kannst du das verstehen?
ÉSMaticx: Für mich ist das alles so absurd, ich versteh' das gar nicht. Nur weil jemand Doubletime rappt, ist er nicht gleich ein Kollegah-Remake oder versucht, wie Kollegah zu sein. Und nur weil jemand ironische Tracks macht, ist er nicht gleich ein Weekend. Und so finde ich das auch bei mir. Nur weil man in Hooks singt oder Melodie in Rap reinbringt, ist man nicht gleich der nächste Cro. Ich glaub', die Leute brauchen das. Die wollen immer etwas finden, woran sie sich festhalten können. Sonst kommen sie mit der Musik nicht klar. Aber es war für mich nie ein Gedanke, so zu sein oder zu klingen wie er. Ich war immer schon so. Bevor Cro überhaupt ein Thema war, habe ich Songs mit Melodie gemacht. Wenn man es nicht glauben möchte, soll man sich die "Schöne Bescherung"-EP von 2011 runterladen. Da merkt man, dass es damals schon in mir war. Ich habe es nun ausgebaut und versucht, ein wenig zu reifen. Ich denke, dass das ganz gut geklappt hat und verstehe den ganzen Cro-Vergleich tatsächlich nicht. Mir ist das mittlerweile aber egal. Wir machen unser Ding jetzt weiter und wenn sie meinen, sie müssten Vergleiche mit anderen Rappern ziehen, dann sollen sie das machen. Mich stört das nicht wirklich. (lacht)
MZEE.com: Glaubst du, Rap hat ein Problem mit Stilwechseln oder damit, einem poppigeren Stil treu zu bleiben?
ÉSMaticx: Ich finde, Rap an sich könnte viel offener und breit gefächerter sein und dabei viel mehr von anderen Genres annehmen. Aber entweder traut es sich keiner oder die, die sich trauen, werden von diesen straighten Rap-Fans gehatet. Das finde ich unglaublich schade, weil ich nichts schöner finde, als zwei Musikgenres miteinander verbinden zu können und damit etwas Neues beziehungsweise Interessantes zu schaffen. Für mich ist nicht gleich jeder deepe Track "Die Firma". Für mich kann es gerne alles etwas melodischer und lockerer sein. Es sagt ja keiner, dass du es in jedem Song machen musst, aber es gibt viel mehr Möglichkeiten, die man ausschöpfen kann.
MZEE.com: Auf deinem Album geht es oft um das Leben – mal bist du traurig und mal gut drauf. Im Deutschrap geht es oft um Authentizität. Wie viel von den Themen auf dem Album hast du selbst erlebt und ist es dir wichtig, Dinge aus deinem Leben zu erzählen?
ÉSMaticx: Schon, aber ich mache mir da nicht so viele Gedanken drum, sondern bin immer am ehrlichsten, wenn ich von meinen Erfahrungen und Erlebnissen berichte. Und ich denke, dass sich da ein Großteil mit identifizieren kann. Ich schreib' jetzt nicht extra deep, das passiert halt. Mal schreibe ich glückliche Musik, wenn ich glücklich bin, aber ich schreibe auch traurige Songs, wenn ich glücklich bin. Wenn ich Sachen gesammelt, gelernt und mitgenommen habe, dann verpacke ich die eventuell ein Jahr später. Vielleicht geht es in dem Abschlusssong 2016 um meine Ex-Freundin von vor acht Jahren. Ich finde, dass bei mir immer alles sehr persönlich ist, auch wenn es nicht aktuell sein mag. (lacht)
MZEE.com: Findest du es wichtig, dass man im Rap Dinge erzählt, die man auch selbst erlebt hat?
ÉSMaticx: Bloß nicht. Ich finde einfach, dass du nicht die Person sein musst, die du darstellst. Es ist alles sehr verspielt, du kannst so viel machen. Wieso solltest du nur das schreiben, was dir tatsächlich passiert ist? Ich finde, du schränkst dich sonst damit ein, wenn du nur das erzählst, was du tust. Aber natürlich solltest du auch dahinterstehen können.
MZEE.com: Kannst du dann nachvollziehen, dass Fler andere Rapper dafür kritisiert, Dinge zu erzählen, die ihnen nie passiert sind?
ÉSMaticx: Keine Ahnung. Klar geht es da um Authentizität, aber ich bin der Ansicht, man sollte schon dahinterstehen und sie glaubwürdig verpacken können. Ich verstehe auch die Kritik daran nicht. Das ist einfach künstlerische Freiheit und vielleicht ist der Horizont von anderen Rappern nicht ganz so weit (lacht), dass sie es nachvollziehen können. Aber ich finde, dass es völlig legitim ist.
MZEE.com: Ich habe dir eine Aussage von Tice mitgebracht. Sie sagt: "Female Rap in Deutschland sollte keine eigene Nische sein. Rap ist Rap und guter Rap ist guter Rap – egal, ob von einer Frau oder einem Mann."
ÉSMaticx: Kann ich so unterschreiben.
MZEE.com: Warum liest man immer wieder, dass Rap Männersache ist? Und warum hat es eine Rapperin für gewöhnlich schwerer als die männliche Konkurrenz?
ÉSMaticx: Also, ehrlich gesagt sind die meisten Frauen einfach nicht gut. Ich kenne viel mehr wacke als krasse Frauen. Ich kann die Voreingenommenheit von Männern da verstehen. Ich verstehe allerdings nicht, warum man nicht jedem eine Chance gibt. Ich zum Beispiel höre mir alles ganz unvoreingenommen an und versuche, meine Objektivität zu behalten. Und wenn etwas nicht gut ist, dann ist es eben nicht gut – ob Frau oder Mann – das ist dann egal. Frauen haben es eben oft schwerer, weil sie versuchen, Rollen einzunehmen, die sie nicht besetzen können. Zum Beispiel wollen viele Frauen sehr hart sein und den Männern nacheifern. Das geht halt einfach nicht auf. Wenn du eine Frau bist und rappst, dann rappe eben cool und mach' nicht auf Superboss, weil du die einzige Frau bist. Mach' auch nicht auf Boss, weil du mit ganz vielen Männern abhängst und du dadurch total männlich geworden bist. Verstell' nicht deine Stimme, sondern sei einfach du selbst. Wer es cool macht, ist Namika. Sie schreibt zwar nicht selbst – das ist ja kein Geheimnis – und ist sehr konstruiert, aber ein sehr gutes Beispiel dafür, dass es Frauen gut machen können. Wenn mehr Frauen in diese Richtung gehen und nicht sagen würden, dass sie Superboss sind und alles nach ihrer Pfeife tanzt, dann wäre das ganze Frauenrap-Ding cooler.
MZEE.com: Aber dennoch liest man Kommentare wie "Rap ist Männersache", die ja nicht mal die Musik beschreiben oder kommentieren. Warum ist das so?
ÉSMaticx: Oft ist das Nachgeplapper. Wenn einer so etwas schreibt, dann greifen das viele weitere einfach auf und es vervielfältigt sich. Aber ich glaube, dass Männer noch nicht so weit sind, Frauenrap einfach so anzunehmen. Das ist wie Frauenfußball: Es wird zwar akzeptiert, dass er da ist, aber man schaut ihn sich nicht an. (lacht)
MZEE.com: Warum ist es in den USA anders?
ÉSMaticx: Dort gibt es das schon immer beziehungsweise dort gibt es einfach schon Frauenrap-Veteranen. Das gibt es hier nicht, weil es damals einfach keine Rapperin gab – außer Cora E. Und wenn wir ehrlich sind, war Cora E. auch nicht mehr als Standard, obwohl es für damalige Verhältnisse cool war. Und was gab es sonst noch? Sabrina Setlur – das war cool, aber es war auch cool, als es weg war. Ich denke, Frauen haben sich einfach nicht getraut und jetzt, wo sie sich trauen, werden sie von Männern zurückgewiesen. Aber ich kann es mir auch nicht richtig erklären. Da ist vielleicht noch eine Menge Stolz dabei, deswegen sagen sie: "Das ist jetzt unsere Männersache".
MZEE.com: Liest man sich zum Beispiel YouTube-Kommentare unter Videos durch, hat man das Gefühl, dass Frauen im Rap noch mehr einstecken müssen. Da wird es oft persönlich. Wie gehst du damit um und liest du dir das durch?
ÉSMaticx: Mittlerweile nicht mehr, aber es stört mich des Todes. Nicht, weil ich angegriffen werde. Mir kann egal sein, was Person XY über mich denkt. Was mich aber ärgert, ist, dass es bei einem Manuellsen, Kollegah oder Megaloh noch nie gesagt wurde und es nie ein Thema war, wie jemand aussieht. Und dass Kollegah damals mit 15 bis 19 Jahren ein Superlauch war und jetzt das krasseste Paket ist. Das sind Themen, die gar nicht aufgegriffen werden. Das passiert einfach und die Leute nehmen es an. Aber sobald eine Frau wie ich fünf Kilo mehr drauf hat, ist es Thema unter den Videos. Das verstehe ich einfach nicht. Genauso, wie es bei Lumaraa ein Thema wird, wie sie aussieht. Das passiert nur bei Frauen. Das beste Beispiel ist Visa Vie. Sie hat alles dafür getan, die krasseste und seriöseste Recherche im Rap-Business zu machen. Und dennoch war es immer nur Thema, wie sie aussieht. Bei Rooz ist es wieder andersrum. Er ist lediglich ein Typ, der vor der Kamera Interviews macht und keiner hat gesagt: "Oh, mein Gott! Sieht der Rooz heute wieder gut aus! Ich mute mal das Video und keule mir darauf einen." (lacht) Das ist das Einzige, wo ich sage, ich bin empfindlich. Ich bin sonst sehr locker und cool. Es geht da rein und da raus. Aber Dinge, die ich nicht nachvollziehen kann, die ärgern mich. Klar habe ich zugenommen, aber warum erzählst du das? Warum erwähnt es überhaupt jemand? (lacht)
MZEE.com: Vor allem unter einem Musikvideo, wo es zunächst einmal um die Musik gehen sollte. Das wird allerdings oft nicht kommentiert. Bei Adele habe ich das in der Form nicht wahrgenommen, da geht es um die krasse Stimme. Ist das ein Problem der Rapszene?
ÉSMaticx: Ja. Man sagt ja immer, Rap ist so openminded, wir geben allen Respekt und sind so superkrass. Aber im Ernst: Es gibt nirgends mehr Hate als im Rap. Ich hab' noch nie gehört, dass sich zwei Alternative-Bands gerade derbe viele Hasstexte schreiben. Es wurde sich noch nie so krass gedisst. Das ist nur im Rap so.
MZEE.com: Bezüglich deiner Battle-Vergangenheit: Setzt du dich mit RAM oder DLTLLY auseinander und warst sogar schon mal dort?
ÉSMaticx: Ich war nie vor Ort, doch ich muss zugeben, dass ich mir das gerne anschaue. Würde mich Battlerap so krass abfucken, hätte ich das VBT ja nie mitgemacht. Ich finde DLTLLY super amüsant. Auch Rap am Mittwoch, doch das gucke ich nicht mehr so oft. Für mich sind die coolsten Artists raus oder zu DLTLLY gewechselt. Ich find' aber alleine die Tatsache cool, dass das Ganze sportlich gesehen wird. Die geben sich vorher und nachher die Hand und tun so, als wäre nichts passiert. Bei den ganzen Internetplattformen und -battles wird immer gesagt: "Der hat den zerstört und der kann sich nicht mehr auf die Straße trauen". Das passiert bei diesen Formaten nicht. Da ist es einfach noch sportlich und ich kann es mir super ansehen. Ich bin allerdings niemand, der da generell bei solchen Battlegeschichten teilnehmen müsste. Ich guck' es mir aber gerne noch an.
MZEE.com: Was fasziniert dich da besonders?
ÉSMaticx: Ich finde, das entertaint einfach gut. Beide Seiten haben unfassbar lustige Punchlines. DLTLLY hat zum Beispiel noch die Subkategorie "Bad Bars" mit Bong Teggy. Die hauen sich dann die schlimmsten Vergleiche und Wortspiele um die Ohren. Ich denke, deswegen finde ich das noch amüsanter.
MZEE.com: Warum würdest du nicht mitmachen?
ÉSMaticx: Weil es für mich einfach vorbei ist. Ich hab' das gemacht, ich hab' gebattlet, ich habe die Erfahrung mitgenommen. Jetzt beschränke ich mich wieder darauf, was ich wirklich machen will: einfach coole Musik. Das Battlen war nicht mal eine Phase, das war einfach ein Ausprobieren. Ich habe das normale VBT mitgemacht, die Splash!-Edition und dann war es mir eigentlich schon zu viel. Ich find' es schön, dass ich das mitgemacht habe, aber es ist nicht so, dass ich das unbedingt noch mal machen muss.
MZEE.com: Wir haben deine Herkunft schon angesprochen. In kleinen Orten auf dem Land ist der Altersschnitt oft recht hoch. Auch aus diesem Grund habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Leute dort beispielsweise in der Flüchtlingsfrage sehr schwierige Ansichten haben. Wie sind deine Erfahrungen diesbezüglich?
ÉSMaticx: Gar nicht. Das liegt allerdings auch daran, dass ich mich in den letzten Wochen unmöglich damit beschäftigen konnte. Wir stecken schon eine ganze Weile in der Promophase, da habe ich das gar nicht so wahrgenommen. Ich merke natürlich Unterschiede, weil bei uns viele ältere Menschen sind. Aber ich denke, es ist nicht so krass bei uns.
MZEE.com: Bei diesem Thema ist es in der Rapszene schwer, ein Statement zu bekommen. Würdest du politische Themen in Songs verarbeiten oder mit Statements beziehungsweise Diskussionen in die Offensive gehen?
ÉSMaticx: Ich höre mir zumindest jede Meinung erst mal an. Ob die dann so gut ist, ist eine andere Frage. Ich würde dazwischengehen, wenn auf der Straße etwas passiert. Ich würde mich zwar nicht mit Händen und Füßen reinschmeißen, aber auch nicht wegsehen. Und ich würde mich den Leuten entgegenstellen, die mir sagen, dass sich die Flüchtlingssituation negativ auf die Zukunft der Deutschen auswirkt und klar meine Meinung vertreten. Im Zweifel nehme ich jeden Flüchtling mehr in Schutz als die, die sagen, sie hätten aufgrund dessen keine Arbeit. Ich würde mich immer einmischen, wenn ich glaube, dass jemandem Unrecht getan wird. Aber ich könnte keinen Song darüber schreiben. Ich habe da kein Hintergrundwissen und ich bin politisch zu wenig involviert. Ich könnte das musikalisch nicht umsetzen oder mich an krassen politischen Diskussionen beteiligen.
MZEE.com: Warum glaubst du, dass die deutsche Rapszene teilweise ein Problem damit hat, sich zu äußern oder es in Songs anzusprechen?
ÉSMaticx: Ich verstehe das. Es ist immer die Frage des Aufbaus und der Wichtigkeit. Mir schicken Leute auch Sachen und sagen: "Teil dies und das und jenes doch mal". Auch wenn es ein wichtiges Thema ist und ich mich gerne damit beschäftigen würde, musst du verstehen, dass ich es nicht immer meiner Fanbase auflabern kann. Das sind eigenständige Menschen, die für sich selbst entscheiden müssen. Wenn ich aus einem persönlichen Interesse heraus etwas so wichtig finde, dann gebe ich das kund, aber das kann ich nicht mit jedem machen, der mir seinen Link schickt und sagt: "Schau mal hier in Buxtehude. Unser Tierheim wird geschlossen, kannst du das mal teilen?" Und dann kommt der Nächste und sagt: "Wenn du das geteilt hast, dann kannst du doch auch das von uns teilen". Dafür habe ich gar keine Zeit und keine Möglichkeiten. Meine Fanpage ist in erster Linie für meine Musik. Die Leute, die meine Seite geliket haben, wollen Musik hören und sich nicht in ihre private Umlaufbahn reinquatschen lassen. Du weißt, wie Menschen sind, du weißt, wie Deutsche sind. Die sind immer sehr strikt, was ihre Meinung angeht und du willst da niemandem reingrätschen. Ich bin auch kein Newsletter oder eine Hilfsorganisation, ich bin Musiker. Das wollen die Leute nicht von mir hören. Und bevor du Leute verlierst, machst du es sicherheitshalber nicht. Aber vielleicht kümmere ich mich stattdessen eher privat darum.
MZEE.com: Du sprichst, wie schon erwähnt, viel über das Leben. Zu guter Letzt würde ich gerne wissen, ob es Dinge gibt, die du niemals thematisieren würdest. Einerseits, weil es nicht ausreicht, darüber einen Song zu machen und andererseits, weil es zu persönlich ist.
ÉSMaticx: Ich schreibe viel, aber bringe es dann nicht raus. Ich habe tatsächlich viele Ein-Part-Teile auf meinem Rechner. Ich habe zum Beispiel mal an einem 1. Mai so viel getrunken, dass ich mich nachher bei jedem einzelnen Freund entschuldigen musste und am Ende die komplette Minibar aus meinem Zimmer genommen habe, weil ich der festen Überzeugung war, ich höre jetzt auf zu trinken. Hat natürlich nicht funktioniert. Ich rede mit dir und habe ein Bier in der Hand. (lacht) Da gibt es also einen Sechzehner, der davon handelt, dass es mir alles so schrecklich leidtut, aber dass wir bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich alles ruiniert habe, einen schönen Tag hatten und das gefällt mir. Sowas liegt auf meinem Computer. Da liegen auch Hass- und Diss-Songs gegen meine Ex-Freundin. Sowas kommt aber nicht raus. Das sind Dinge, die interessieren halt mich, aber sonst keinen anderen. Wenn es dann doch jemanden interessiert, dann tut es mir leid. Es bleibt trotzdem mein Geheimnis. Ich zeig' das meinen engsten Leuten. Meine beste Freundin oder mein bester Freund können das immer hören, weil sie es auch nachvollziehen können. Aber es wäre nichts für 70 000 Facebook-Fans, die überhaupt keine Ahnung haben, wer die Person ist, über die ich rede oder was an dem Tag passiert ist. Es wäre auch Schwachsinn, das rauszubringen. Damit kann sich dann auch niemand identifizieren.
MZEE.com: Inwieweit ist es das "Musik ist Therapie"-Ding? Einerseits für Fans, die sich darin wiederfinden, andererseits für dich als Ventil, um Dinge rauszulassen.
ÉSMaticx: Ja, wenn ich für die Öffentlichkeit schreibe, mache ich das allgemeiner, als wenn ich mich persönlich an eine bestimmte Person richte. Es sei denn, ich finde es legitim. Vielleicht hast du in die "Liegen bleiben"-EP reingehört. Da gibt es den Song "Reiß aus", der mir persönlich unglaublich viel bedeutet hat, weil er aus einer Situation heraus geschrieben wurde. Aber er ist noch so allgemein gehalten, dass sich jeder damit identifizieren könnte. Andere Songs haben dann noch einen krass persönlichen Faktor, weil sie an eine Person gehen oder Dinge beinhalten, die ich nicht in der Öffentlichkeit ansprechen möchte.
MZEE.com: Vielen Dank! Natürlich gehören dir noch die letzten Worte …
ÉSMaticx: Kauft mein Album! (lacht)
(Fabian Thomas)
(Fotos von Gregor Schmitt)