The Pretty Toney Album
VÖ: 20.04.2004
★★★☆
Nach dem ganzen Veröffentlichungsdebakel rund um Bulletproof Wallets verließ Ghostface Killah Epic vorzeitig und heuerte bei Def Jam Records an, DEM Mainstream-Rap-Label schlechthin in den 00er-Jahren. Auf den ersten Blick klingt das nach einer sehr gelungenen Kombination: Ghostface’s Skills gepaart mit Def Jams Marketingstrategien und Reichweite, zusammen unaufhaltbar auf den Weg zum Rap-Olymp.
GFK ließ seine Fans rund zweieinhalb Jahre auf eine neue Soloplatte warten. Eine sehr leidige Zeit für Wu-Tang-Fans, denn der Clan konnte sich von den schwachen Soloplatten der „zweiten Phase“ von 1997 bis 2001 nicht rehabilitieren. Raekwon, Cappadonna und Inspectah Deck legten teilweise haarsträubend schwache Releases nach und erneut lag die Last auf den Schultern von Ghostface, das W hochzuhalten. Wobei man fairerweise sagen muss, dass der Clan gefühlt schon gar nicht mehr existent gewesen ist. Natürlich featureten sich die Member gegenseitig immer noch, aber soundtechnisch haben sie sich alle auseinandergelebt. RZA-Beats waren im besten Falle Fanservice. Auch kleinere Mini-Beefs zwischen den Rappern blieben nicht aus.
Wie dem auch sei: „The Pretty Toney Album“, GFKs Soloplatte Nummer 4, erschien 2004 und ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich das Album zu Maske-Zeiten auf meinem portablen CD-Player totgehört habe. Wie es das Cover (
eine nette Hommage an „The World's Greatest Entertainer“ von Doug E. Fresh) erahnen lässt, ist der Sound noch einmal deutlich souliger und mit mehr Funk versehen. Zudem kam Def Jam auf die glorreiche Idee, das „Killah“ aus dem Namen des Künstlers zu streichen und zumindest diese Platte mit „Ghostface“ als Rapper zu bewerben. Glücklicherweise blieb es hinsichtlich der Soloplatten bei diesem einen spezifischen Fall.
Das Pretty Toney Album versammelt eine durchaus beachtliche Riege an Produzenten. Die bekanntesten Vertreter sind gewiss Nottz und No I.D., die sich damals u.a. im West Coast Umfeld bewegten und einen hervorragenden Ruf genossen haben. Nottz sollte bekanntlich eine prominente Rolle auf Dr. Dre’s Detox spielen. Die beiden steuerten jeweils zwei Produktionen bei. Da haben sich die Def-Jam-Connections ausbezahlt gemacht.
Die Wu-Tang-nahen K-Def und True Master dürfen nicht fehlen genauso wie RZA, der zwei Instrumentals für die Platte erschuf (die beide sehr gelungen sind). Auch vertreten ist der eher unbekannte Minnesota, der genauso unbekannte Dub Dot Z und Dipset-Mitgründer Daryl Branch aka „Digga“.
Das großartige Intro, auf welchem Ghostface Fragen der Presse beantwortet und sich ob des neuen Labels gebührend re-introduced, ist bereits das erste Highlight.
„I'ma do it how I been doing it. You know what I mean, ain't nothing but a different label pal, you need to stay in school man, straight up, get that education...“ Außerdem schießt er unterhaltsam gegen Fake Gangster und Bodyguards (
„Hey Ghostface! We wanna know why don't you roll with big bodyguards? You know, like the other guys do? – „Cause I don't need them m0therf0ckers. God is my bodyguard, ni66a. You know what time it is man, it's real“).
„Biscuits“ ist ein Einstand nach Maß: Ein von Horns und einem Piano-Loop geprägter, stampfender Beat von True Master, auf dem Ghostface bereits zu Beginn eine imaginäre Person dafür ankackt, „Chocolate Shit“ statt „Banana Nutrament“ serviert zu haben (GFK ist Diabetiker). Viele lustige Vergleiche und Referenzen. Trife, der in diesen Jahren immer sehr prominent vertreten gewesen ist auf Ghostface-Platten, hat einen sehr starken, Street-heavy Part mit toller Eröffnung:
„Yo, yo, ni66as ask why I use my Glock / Cuz it's 2003, muthafucka, I refuse to box“.
„Kunta Fly Shit“ ist eine kurze RZA-Produktion, auf welcher Ghostface fast schon brüllend einen „UFO“-Ni66a fertigmacht – also eine Person, die in sein Revier aufkreuzt und dort Geschäfte macht. Am Ende wird diese Person natürlich ganz seriös per Kopfschuss ausgeschaltet. „Beat The Clock“ vom eingangs erwähnten, unbekannten Minnesota, drückt das Tempo ordentlich nach oben. Auf einem hektischen, von Streichern-geprägten Sample, der aus einem 70er-Blaxploitation-Flick stammen könnte, rattert GFK seine Lines runter und streut sogar zwischendurch Gesangseinlagen ein. Eine Classic Gaga-Line von Ghostface:
„People be talkin', I feed dolphins“. So sieht’s aus…!
„Metal Lungies“ ist ein sehr bekannter Titel mit Style P und Sheek Louch im Gepäck. Die drei Rapper sprechen ausschweifend über Waffen mit allerhand Vergleichen. Sheek hat einen ziemlich starken Part, das ist ja eher eine Seltenheit.
No. I.D. selbst äußerte sich positiv über die Zusammenarbeit: Während viele Rapper auf der Suche nach Singles gewesen sind zu der Zeit, wollte Ghostface tatsächliche Rappbanger-Beats haben. Hat gut funktioniert.
Nach einem eher unnötigen Skit hat mir „Save Me Dear“ damals die Kinnlade nach unten fallen lassen. Hier wird beinahe der komplette Song
„You Got What I Need“ von Freedie Scott verwendet, über den Ghostface lässig über Hood-Frauen rappt, die trotz all der Strapazen ihre Männer immer noch ins Haus lassen.
„And the way she never call the cops on a n66a's“. Heute sehe ich das Stück etwas differenzierter und ich finde, dass man durchaus mehr aus der Vorlage hätte machen können. Ghostface hat den Song übrigens selbst produziert (Biz Markie RIP).
„It’s Over“ ist eine ungewöhnlich direkte Motivationsnummer, auf der GFK davon spricht, trotz aller Rückschläge immer den Kopf weiter hochzuhalten, obwohl es nicht gut aussieht. Das Instrumental ist sehr unspektakulär geraten und auch die Bars an sich sind zwar typisch Wallabee-Style, aber auch eher so semi.
Traurigerweise ist das Pretty Toney Album vor allem durch „Tush“ mit Missy Elliott bekannt, eine offensichtliche Kommerz-Nummer, die auf die Charts abzielt. Die Lyrics sind zwar ziemlich dirty und Sex-lastig, was in den prüden Staaten ja nicht so gut ankommt, aber das ist mir doch viel zu poppig und wenig unterhaltsam.
„Last Night“ wird als Skit bezeichnet, ist aber tatsächlich ein Rap-Track, auf dem Ghostface über ein klingelndes Telefon (!) rappt. Hier macht er eine Frau dafür fertig, fremdgegangen zu sein, sie hält aber selbstbewusst dagegen und sägt ihn ab. Sehr viele lustige Lines wie
„I'm about to smash that pussy like baby Aspirins“.
„Holla“ ist eine sehr emotionale Nummer, auf welcher GFK über den kompletten Song
„La-La (Means I Love You)“ von den Delfonics rappt, statt ihn nur auszugsweise zu sampeln. Wie er seine Stimme den entsprechenden Hintergrundgesangspassagen anpasst, ist großes Kino. „Ghostface“ ist ein hektischer Representer, der mich in seiner Stakkato-Art etwas an „Special Delivery“ von G Dep erinnert. Crazy Lines sind am Start wie:
„Soak my hands in olive oil, loyal to each, Diamond / Shoot out the clock while I'm killin' timin'“. Diese Momente hat das Pretty Toney Album zwar durchaus häufig, aber verglichen mit den anderen Platten geht das etwas unter.
Auf „Be This Way“ zimmert Nottz einen hitverdächtigen Beat, auf welchem Ghostface bildhaft über seine Hood berichtet mit hektischen Streichern in den Verses. Ein extrem energischer Vortrag mit vielen detailverliebten Lines. HIT!
„With big carrots and static, with that leaves the bad habits
Drugs layin' in buildings with great big automatics
Animos' in the hood, it's a fact, we could do magic
Splatter faggots in lobbies, the heat burn off his eyelashes“
Ähnlich „hittig“ klingt „Tooken Back“, das ebenfalls von Nottz produziert wurde. Die eher unbekannte Jacki-O aus Florida steuert einen Part bei. Inhaltlich geht es, wie es der Titel erahnen lässt, darum, dass GFK trotz seiner Fehler (Fremdgehen) von seiner Geliebten wieder angenommen werden will. Sehr catchy, vielleicht ob des Samples eine Spur zu poppig.
Zum Ende hin gibt es mit „Run“ noch einen waschechten Klassiker, der wieder straight nach vorne geht. Zusammen mit Jadakiss rappt Ghostface über die Flucht vor Cops und achtet dabei auf allerhand Details wie vollgepisste Treppen und seine Gedankengänge währenddessen. Auch Jadakiss haut einen beeindruckenden Part raus und stört sich u.a. daran, dass seine Hose während des Weglaufens immer rutscht wegen OG und so, you know. Außerdem ist sein Interlude
„Ah, I might take my shirt off“ episch haha. Der Beat von RZA greift
„Hogin‘ Machine“ von Les Baxter auf und ist mit Polizeisirenen unterlegt. Die Quelle ist sehr, sehr hörenswert!
Abschließend gibt es mit „Love“ noch eine für die Zeit typische, R&B-esque Nummer, auf der Ghostface sich bei allen Leuten bedankt und Liebe verteilt. Passt zum übergeordneten Thema des Albums, muss ich mir jetzt aber nicht immer geben.
Alles in allem ist das „Pretty Toney Album“ vielleicht nicht so extrem herausragend, wie ich damals fand, aber immer noch ziemlich atmosphärisch und soulig as f0ck. Wie auf keinem Album zuvor verlässt sich Ghostface oft auf entsprechende Samples, teilweise berappt er sogar komplette Stücke. Das hat 2004 zwar fast jeder gemacht, aber immerhin hat er diesen Style auf Supreme Clientele geprägt.
Das Album hat ein für mich eher seltsames Sequencing. Außerdem wurden einige Banger wie
„Gorilla Hood“, das halt PERFEKT auf das Album gepasst hätte, gestrichen. Auch
„My Guitar“, das „While My Guitar Gently Weeps“ fast komplett sampelt, hätte sich gut gemacht. Gleiches könnte man über
„The Splash“, eine Reggae Nummer, sagen, doch obwohl der Song die LP durchaus auflockern würde, klingt sie zugegebenermaßen ziemlich nach B-Seite.
Auf jeden Fall stellt sich die Frage, ob das Album so in der Form wirklich vorgesehen war, oder ob Def Jam nicht doch hinsichtlich Kommerztauglichkeit mitgeredet hat. Die platte Chart-Nummer „Tush“ mit dem aufgesetzten Missy-Features ist auf jeden Fall weit in der unteren Hälfte des GFK Gesamtwerks zu verordnen. Möglicherweise hat er sich auch Material für das in etwa zur gleichen Zeit entstandene Theodore Unit Projekt zur Seite gelegt.
Dennoch gibt es diverse Highlights, starke Beats, verrückte Raps und Geschichten, nur alles eine Nummer softer und poppiger.
Und ja: Den Nickname "Pretty Toney" hat er 1:1 von
Pretty Tone Capone übernommen. Die - ich nenn es mal - Huldigungen ziehen sich durch Ghostfaces gesamte Karriere. Vielleicht nicht die feine englische Art, aber in Staten Island muss halt jeder gucken, wo er bleibt. Zumal Capones Posse ebenfalls in NY located gewesen ist, also gabs da sicherlich keinen Stress.