Was heißt "Verhältnismäßigkeit der Mittel"?
Wenn mir in den vergangenen Tagen Leute sagten, Israel regiere in dem aktuellen kleinen Libanonkrieg unverhältnismäßig, dann antwortete ich patzig: "Genau. Und darum geht es ja." (Dies im Geiste von Dan Schueftans Bonmot: "If they want a low intensity war, we won´t give it to them.") Diese Antwort mag witzig gewesen sein, sie war aber falsch. Dies habe ich bei der schönen Veranstaltung der "Freunde der offenen Gesellschaft" zum Thema Krieg und Frieden von Thomas von der Osten-Sacken gelernt. Und so brühwarm, wie ich glaube, seine Lektion zum Thema Kriegsvölkerrecht verstanden zu haben, will ich sie hier weitergeben.
1. "Verhältnismäßigkeit der Mittel" bedeutet keineswegs, dass, wenn die Hisbollah acht israelische Soldaten tötet und zwei entführt, Israel nun das Recht erworben hätte, seinerseits acht Hisbollah-Kämpfer zu töten und zwei zu entführen. Es bedeutet einzig und allein, dass die angewandten Mittel, gemessen am militärischen Ziel, nicht ungerechtfertigt verheerend sein dürfen. (Hier könnte man eine historische Reminiszenz an William Tecumseh Sherman und seinen berüchtigten Marsch durch Georgia einblenden.) "Verhältnismäßigkeit der Mittel" bedeutet also keineswegs, dass es einer Seite in einem militärischen Konflikt verboten wäre, den Feind in die Knie zu zwingen. Sie muss nicht jedesmal, wenn sie einen Militärschlag ausgeteilt hat, innehalten und warten, bis der andere zurückschlägt, ehe sie weitermacht.
2. Wenn eine Miliz, die auf dem Territorium von Land A stationiert ist, in das Territorium von Land B eindringt und dort Soldaten kidnappt, ist das ein glasklarer casus belli: eine nationalstaatliche Grenze wurde eklatant verletzt. (Die Miliz muss dabei noch nicht einmal, wie das im Libanon der Fall ist, offen an der Regierung beteiligt sein: Land A ist verpflichtet, auf seinem Territorium für Ordnung zu sorgen.) Das heißt, Land B hat sich nach dieser Grenzverletzung das Recht erworben, gegen Land A insgesamt Krieg zu führen. Vom juristischen Standpunkt gesehen dürften die Israelis die libanesische Armee in Klump hauen und so lange weiter bombardieren, bis die Regierung in Beirut kapituliert. (Praktisch tut Israel das nicht, weil sein Feind die Hisbollah ist, nicht der Libanon im Ganzen.)
Israel darf laut Kriegsvölkerrecht jedes militärische Ziel im Libanon bombardieren -- jede Kasene, jedes Hisbollah-Ausbildungslager, jeden Lastwagen, der Waffen transportiert, jede Stelle, von der aus Katjuscha-Raketen abgefeuert werden, jede Straße oder Brücke, über die Nachschub herangeschafft wird. Völlig legitim.
3. Es ist verboten, mit Absicht Zivilisten zu töten (es sei denn Geiseln in einem Partisanenkrieg). Allerdings kommen in jedem Krieg Zivilisten um. Eine kriegsführende Partei, die sich an die Genfer Konvention hält, muss jeden einzelnen dieser Fälle untersuchen, und sollte die Untersuchung ergeben, dass da jemand mit Absicht auf Nonkombattanten gezielt hat, gilt er als Verbrecher und muss bestraft werden. Israel hält sich an die Genfer Konvention. Tötungen von Zivilisten werden routinemäßig untersucht. Hisbollah hält sich nicht an die Genfer Konvention, die sie für eine jüdische Erfindung hält.
Juristisch ist die Sache demnach nicht strittig. Warum spricht die UNO dann davon, dass Israel "unverhältnismäßige Gewalt" ausübe?