"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Kaum war der Track "TOA 3" vor kurzem im Internet aufgetaucht, horchte die gesamte Szene auf: Schließlich hatten wir lang genug gewartet, dass ein Vorbote des kommenden Albums erscheint. Die letzte JAW-Platte wird 2017 immerhin schon sieben Jahre alt. Die Frage, ob der einstige "Täter-Opfer-Ausgleich" inzwischen veraltet klingt, ist also berechtigt, oder?
Damals war es ganz ähnlich. "Schock fürs Leben" hatte bereits vier Jahre auf dem Buckel, als "TOA" erschien. Die Videos zu "Meine Fans" und "Elena" beeindruckten visuell und auch die Tracks selbst zeigten "Dokta Jotta" von seiner besten Seite: trübsinnig, nachdenklich und durchgeknallt. Nebenbei glänzte das Album zudem mit Features von Me$$age, Morlockk Dilemma, Mach One und dem damals noch sympathischen Absztrakkt. JAW beschreibt "das dreckige Leben" eines Mannes, der laut Ärzten "geheilt" sei und dennoch einen Rachefeldzug "jenseits von Gut und Böse" plant. Dabei strauchelt dieser zwischen euphorischer Zufriedenheit, tiefer Depression und blanker Wut, was letztlich in "TOA II" kulminiert. Die fast schon poetische Einführung in eine lebhafte Story, die in maßloser Gewaltdarstellung mündet, präsentierte einen Jotta in Höchstform. Dazu ein Soundtrack, der von sanften Eingangstönen immer mehr an Stärke gewinnt und zum Ende hin fast epochal anmutet – mehr als passend für das Erzählte. Für mich persönlich, inhaltlich wie technisch und auch vom Instrumental her einer der gelungensten Tracks in der Geschichte des deutschen Raps. Und insgesamt ein Album, das trotz seines Alters noch immer grandios klingt.
So stelle ich fest, dass sich "TOA" nicht nur gut gehalten hat, der neue Teil erblasst beinahe vor seinem Vorgänger. Dennoch ist die Vorfreude auf das Kommende wohl genauso berechtigt, wie es damals die Euphorie um "Täter-Opfer-Ausgleich" selbst war. Denn JAW gehört nach wie vor zu den fähigsten Künstlern seiner Art, und wenn sein neuestes Werk auch nur im Ansatz an Altes anknüpfen kann, steht uns ein großartiges Stück Musik bevor.
(Daniel Fersch)