Da den Juden weder Völkermord noch Weltkrieg anzulasten ist, konzipieren Augstein und Grass eine fiktive Welt, in der Juden es umso mörderischer treiben. Die realen Kriege stellen in der Scheinwelt des Antisemiten kein Risiko dar – es gibt sie nicht. Auch nicht die Opfer. Der Antisemit verhält sich zwangsläufig gegenüber Millionen Toten in Afrika rassistisch, weil ihm ein einziger, von Israel getöteter Hamas-Krieger wertvoller ist als eine Million Tote mit schwarzer Haut. Die Legende über das, was Juden anrichten können, impliziert die Notwendigkeit, sie in Ketten zu legen. Die gleiche Methode hat Hitler gewählt, als er im Reichstag die Juden für den nächsten Weltkrieg verantwortlich machte und ankündigte, dass sie ihre Tat bereuen würden. Während Grass Legenden in die Welt setzte, deutete Augstein die jüdische Weltherrschaft an: »Wenn es um Israel geht, gilt keine Regel mehr (…). Politik, Recht, Ökonomie – wenn Jerusalem anruft, beugt sich Berlin dessen Willen.« Deutsche Politik, Justiz, Wirtschaft – das alles soll von Jerusalem aus gesteuert werden? Ob dieser Ohnmacht stellt er *verzweifelte Resignation zur Schau: »Israel bekommt das, was es will.« Erst hätten »die Deutschen Hunderte von Millionen überwiesen (…). Später haben sie U-Boote hinterhergeschickt.« Für Jerusalem setze man alle »Regeln der guten Haushaltspolitik und der marktwirtschaftlichen Ordnung (…) außer Kraft«.
Der antisemitische Verschwörunstheoretiker geht bei allem, was geschieht, von der Schuld des Juden aus. Selbst wenn die Hamas 20 Raketen in der Woche auf Israel abschießt, schreibt er sie einer Verzweiflungstat oder einem notwendigen Widerstand zu. Der verkehrte Opfer*ritus impliziert, dass mit jeder Hamas-Rakete automatisch die jüdische Generalschuld wächst. Für Jakob Augstein zum Beispiel ist die Bewaffnung Israels nicht Schutz vor den Vernichtungsdrohungen, sondern eine Bedrohung für die Verkünder. So werde der Iran durch Israel »genötigt«, »eine eigene Bombe zu haben«, und jede Waffe für Israel erhöhe den Druck auf »arabische Nachbarstaaten, selbst zum Mittel der nuklearen Aufrüstung zu greifen«. Den erklärten Feinden Israels die atomare Aufrüstung ans Herz zu legen und Israel die Entwaffnung zu gönnen ist eine Dialektik, die gedanklich die Vernichtung der Juden in Kauf nimmt. Augstein scheut nicht einmal Begriffe, die Israel in die Nähe des Dritten Reichs rücken. Er propagiert Gaza als »Endzeit des Menschlichen«, als »ein Gefängnis. Ein Lager (!)«, wo Menschen »zusammengepfercht hausen«. Die Gaza-Bewohner haben eine Lebenserwartung von 74 Jahren, so hoch wie in Ungarn und höher als in der Türkei und über hundert Staaten, und sie können, wenn ihnen danach ist, Raketen auf Juden schießen. Man stößt bei Augstein auf alle modernen Kriterien des Antisemitismus: das Vorurteilssyndrom bis zu wahnhaften Projektionen, die modernen Synonyme für Judenheit: Israel oder Jerusalem, den Griff nach der Weltherrschaft, die Störung eines vermeintlichen Weltfriedens, die jüdische Verantwortung für den nächsten Weltkrieg, die Täter-Opfer-Umkehr bis zum unterstellten Völkermord, auf jüdische Blutbäder und Kindsmorde. Man sollte dem Simon-Wiesenthal-Center (SWC) dafür danken, dass sie die Weltöffentlichkeit auf den smarten antisemitischen Dauerhetzer aus Deutschlands Top-Medien aufmerksam gemacht haben.