@ hakan!
Hier mal eine Gegenposition zu deinem Denke: sie ist sehr konstruktiv und verständlich geschrieben:
2.
Die Antideutschen fordern eine 'unbedingte Solidarität' mit dem Staat Israel, dem Staat 'der Juden' ein. 'Die Juden' werden als volksgemeinschaftliche Einheit verstanden, Israel als ihr Staat. Die Brüche und Auseinandersetzungen in der israelischen Gesellschaft interessieren die Antideutschen nicht wirklich. Jüdische Kritiker am israelischen Staat, 'jüdische' Linke, werden, so sie überhaupt wahrgenommen werden, zu Verrätern am jüdischen Vaterland, der Bezug auf sie gerät in den Verdacht des Antisemitismus:»Ist heute möglicherweise antisemitisch, wer sich nicht klar und unmißverständlich hinter den Staat Israel stellt und sich statt dessen hinter einer ominösen israelischen Linken verschanzt, die ihn kaputt machen würde, wenn sie zum Zuge käme?« (bahamas 34)
Uns soll es nicht um die Frage der Existenzberechtigung des israelischen Staates gehen. Israel existiert und ist als entwickeltster kapitalistischer Staat der Region zu verstehen und zu kritisieren. Diese Kritik heißt aber weder, ein Existenzrecht Israels anzuzweifeln, noch, es zu verteidigen. Welchen Sinn sollte es für Revolutionäre machen, einen Staat abschaffen zu wollen? Was wäre an seine Stelle zu setzen? Welchen Sinn macht es andererseits, ein Staatsgebilde zu verteidigen? Wenn es um Solidarität geht, dann nur um Solidarität mit konkreten Menschen und ihren Kämpfen, nicht mit 'Völkern', 'Nationen' oder Staaten. Die Ebene von 'pro oder kontra Israel' ist nicht die Ebene unserer Auseinandersetzung mit dieser Gesellschaft. Wer glaubt, auf andere Weise Realpolitik betreiben zu müssen, ist im Auswärtigen Amt (die führen tatsächlich die Diskussion, welche Staaten sie auflösen und welche sie neu gründen werden) besser aufgehoben als in Debatten über die Aufhebung des Bestehenden.
Die antideutsche Pro-Israel-Position vollzieht nach, was der gemeine Antisemitismus und der deutsche Nationalsozialismus begonnen hatten: die Gleichmachung 'der Juden' (natürlich nicht mit derselben eliminatorischen Konsequenz). Dieses Projekt, die Nivellierung 'der Juden' zu einem 'Volk', ist, ob in diskriminierender Weise, wie es der Antisemitismus und Nationalsozialismus tat, oder mit positivem Bezug, wie es der Zionismus und die Antideutschen tun, konterrevolutionär und antiemanzipatorisch.
Jüdische Intellektuelle hatten von Anfang an die sozialistische Bewegung entscheidend geprägt. Anfang des 20. Jahrhunderts waren in Europa und an der nordamerikanischen Westküste jüdische Proletarier unter den am meisten revolutionären Elementen der Arbeiterklasse zu finden, ihren größten geschichtswirksamen Einfluß erreichten sie aber in Osteuropa. Plechanov bezeichnete diese jüdischen Proletarier: »in gewisser Hinsicht als die Avantgarde der Arbeiterbewegung Rußlands.« Diese Präsenz jüdischer Revolutionäre läßt sich nicht nur an Einzelpersonen, wie Marx, Lassalle, Trotzki, Luxemburg, zeigen, sondern kommt auch in dem Gewicht zum Ausdruck, das z.B. die Auseinandersetzung zwischen dem jüdischen Bund und den Bolschewiki am Vorabend der russischen Revolution hatte. Diese jüdischen Revolutionäre verbanden ihre eigene Emanzipation von rassistischer Diskriminierung mit der Befreiung von kapitalistischer Ausbeutung und verstanden sich natürlich in Opposition zu jüdischen Kapitalisten. Vielleicht war es gerade das Fehlen eines jüdischen Nationalstaates, das die jüdischen Proletarier zu Avantgarden des Klassenkampfs machte: sie hatten kein Vaterland, in dessen nationalistischer Ideologie sie sich verlieren konnten, wie es Anfang des 20. Jahrhunderts den europäischen Sozialdemokratien, namentlich der deutschen, erging.
Es war zunächst der Antisemitismus, der nur noch 'die Juden' sehen wollte. Der Antisemitismus hauptsächlich französischer Sozialisten und Anarchisten, wie Blanqui und Proudhon, machte aus Marx 'den Juden'. Der Antisemitismus erklärte sich die jüdische Großbourgeoisie ebenso zum Feind wie die jüdischen Proletarier, deren revolutionäres Ringen er nur in Zusammenhang mit einer Weltverschwörung 'der Juden' verstehen konnte. Diese Einebnung in der Betrachtung der jüdischen Bevölkerung Europas brachte der Nationalsozialismus zur Vollendung: in der Vernichtung waren alle Juden gleich.
Der Zionismus und sein Staat Israel verfestigen die Gleichmachung der Juden von der anderen Seite, also positiv. Die jüdische Volksgemeinschaft erscheint als positiver Bezugspunkt und ebenso wie beim Antisemitismus wird der Klassengegensatz zwischen jüdischen Proletariern und Kapitalisten hinter einer nationalistischen Ideologie versteckt. Wie jeder Nationalismus ist auch der jüdische gegen die revolutionäre Aufhebung des bestehenden gerichtet.
Der israelische Staat erscheint den Antideutschen aber als notwendiges Vehikel gegen die antijüdisch motivierte Vernichtung, das eben bis zur Aufhebung aller Staaten bestehen bleiben müsse. Er wird als notwendige Schutzmacht verstanden, als die er aber eben gar nicht fuktioniert. Es ist eine bittere Ironie, daß der Staat, in dem 'Juden' þ als 'Juden', nicht als Verkehrsteilnehmer oder Bauarbeiter þ aktuell am meisten bedroht sind, gerade Israel ist. Diese Bedohung ist das Resultat einer jahrzehntelangen rassistischen Politik, die trotz der zionistischen Ideologie zwischen westlichen und orientalischen Juden genauso gut zu unterscheiden wußte wie zwischen Juden und Arabern. Und auch heute ist Sicherheit in Israel eine Frage des sozialen Status: die Opfer der Selbstmordanschläge sind hauptsächlich die ärmeren und besser erreichbaren Israelis, osteuropäische Einwanderer oder verarmte sephardische Juden in den Siedlungen. [1]
Wenn diese rassistische Spaltung der israelischen Gesellschaft samt der besetzten Gebiete zu irgendetwas 'gut' war, dann dazu, eine billige und quasi rechtlose Arbeitskraft verfügbar zu machen, auf deren Ausbeutung der Erfolg der israelischen Wirtschaft zu einem guten Teil beruhte. Insofern erweist sich Israel als ein 'normaler' kapitalistischer Staat [2] in dem das Klassenverhältnis in einer sehr spezifischen, Form verschleiert ist þ einer Form, die inzwischen tausende Menschenleben auf beiden Seiten dieser unseligen Spaltung gekostet hat.
Den Adorno'schen Imperativ an der aktuellen Situation in Israel zu Ende zu denken, hieße sich auf die Suche nach den Menschen und ihren Bewegungen zu begeben, die den derzeitigen Zustand konsequent und praktisch zu kritisieren überhaupt in der Lage sind. Eine Überwindung der rassistischen Spaltung in der israelischen Gesellschaft und der andauernden rassistischen Instrumentalisierung des 'Palästina-Konfliktes' liegt aber weder im Interesse des israelischen Staates noch in dem der arabischen Regimes der Region, die die Spannungen in ihren eigenen Staaten nach wie vor ganz gut über den 'Israel-Palästina-Konflikt' ableiten können. Eine Beendung des Mordens in der Region wäre deswegen zuallerst von einer sozialen Revolte zu erwarten, die sowohl diese Regimes beseitigt als auch der rassistischen Politik Israels ein Ende bereitet. Die Verschärfung des Krieges, mit der die Antideutschen sich 'solidarisch' erklären, aber verbaut die Perspektive auf eine solche Aufhebung genau so wie die Forderung nach Bomben auf Bagdad.
Die Unterstützung des Krieges gegen Afghanistan und vielleicht demnächst gegen andere Staaten der 'islamischen Welt' ist deshalb nicht nur angichts zehntausender Opfer zynisch, sondern selbst in dem engen Sinne, in dem die Antideutschen Adorno verstehen, entgegengesetzt, weil sie kaum dazu taugt, antiisraelische und antijüdische Positionen zu überwinden, sondern diese als einen antiimperialistischen Reflex noch befördert. Die soziale Revolution, die auf die Überwindung der Gräben hinzielt und die Gesellschaft an ihrer Wurzel, dem kapitalistischen Ausbeutungsverhältnis nämlich, angreift, verschwände einmal mehr unter der Last »zivilisierender« Bombergeschwader.