Dabei vereint sie die zwei Haupttendenzen der zeitgenössischen Moralphilosophie. Auf der einen Seite der moralische Relativismus, der zum Gewebe der westlichen Gesellschaften gehört: Es gibt kein Gut und Böse, und niemand ist für seine Taten verantwortlich. Auf der anderen die auf den Biologen und Nationalsozialisten Konrad Lorenz zurückgehende Methodik, Beobachtungen aus dem Tierreich auf die menschliche Gesellschaft zu übertragen; so zu tun, als wären Menschen Tiere, die, ähnlich der Auster, bloß auf äußere Reize reagieren.
Diese Herangehensweise hat sich besonders im Falle der Muslime eingebürgert: Reizt man sie, braucht man sich nicht zu wundern, wenn sie gewalttätig werden, heißt es. Es obliegt darum nicht den Muslimen, ihr Handeln zu kontrollieren – und gegebenenfalls zu ändern –, sondern den Nichtmuslimen, sie nicht zu „provozieren“ und auf ihre vermeintliche Natur Rücksicht zu nehmen. Dass dabei Menschen – nämlich die Muslime – auf die Stufe von Tieren gestellt werden, wird in Kauf genommen und gilt auch nicht als rassistisch. Rassist wird eher jemand genannt, der alle Menschen ernst nimmt und sagt: Jemand mordet, weil er das will und dies im Einklang mit seinem Wertesystem ist.
Die Maxime ist, dass das Handeln von Terroristen auf irrationale Gefühle wie „Verzweiflung“, „Wut“ oder gar „Hilflosigkeit“ zurückgeführt werden darf, niemals aber als planvolles Handeln zum Erreichen eines selbstgesetzten Ziels benannt. Wenn Menschen wütend oder frustriert sind, sind sie auch nicht anders als wütende oder frustrierte Graugänse. Dabei verstößt Kaddor allerdings immer wieder gegen ihre eigene Maxime, wonach nichts etwas mit Kultur oder Mentalität zu tun habe. Wird sie nämlich danach gefragt, was sich ändern müsse, kommt sie immer wieder auf beides zu sprechen. Doch es sind eben die Kultur und Mentalität der Nichtmuslime – „die Gesellschaft“, lautet das Codewort –, die sich ändern müssen.