Der Fall Dejagah
Die Last der Weltpolitik
Die Forderung, den Deutsch-Iraner aus der Nationalelf auszuschließen, weil er nicht nach Israel reisen will, ist populistisch und überzogen.
Ein Kommentar von Ludger Schulze
Der Nachwuchsspieler Ashkan Dejagah hat sich entschieden, auf die Teilnahme an einem U21-Länderspiel in Israel zu verzichten. Aus persönlichen und familiären Gründen, wie der aus dem Iran stammende deutsche Fußballer erklärte. Ashkan Dejagah hat keinesfalls antisemitische Äußerungen gemacht; er hat bis jetzt noch nicht einmal ausgeschlossen, beim Rückspiel in Deutschland mitzumachen. Und doch hat dieser Beschluss eines 21-Jährigen einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, bis hin zu der Forderung der Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, den jungen Mann aus der Nationalmannschaft auszuschließen.
Diese Forderung ist apodiktisch, populistisch und überzogen. Denn sie berücksichtigt in keiner Weise die persönlichen Beweggründe Dejagahs. Die iranische Führung ist ein erklärter Todfeind Israels und die Staatsdoktrin verbietet jedweden Kontakt mit dem verhassten Land. Reisen nach Israel sind in Iran per Gesetz untersagt, und man braucht wenig Phantasie, um sich vorzustellen, was geschehen könnte, wenn sich Dejagah diesem Verdikt widersetzten würde. In Teheran lebende Familienmitglieder hätten mit Sanktionen, möglicherweise mit Gefahr für Leib und Leben zu rechnen, der junge Mann jedenfalls könnte sich vermutlich zeitlebens nicht mehr in seiner alten Heimat sehen lassen.
DFB-Präsident Theo Zwanziger hat sich dafür entschuldigt, der Absage Dejagahs zu schnell und ohne angebrachtes Nachfragen stattgegeben zu haben. Dies will er nun nachholen. Natürlich muss sein Verband dafür Sorge tragen, dass seine Spieler als Repräsentanten des Landes die grundsätzlichen Werte und Ziele der Nation teilen. Er sollte bei der Neubewertung aber nicht reflexhaft in den Chor jener einfallen, die unerbittliche Konsequenzen für Dejagah fordern. Auf die Schultern eines 21-jährigen Fußballers die Last der Weltpolitik zu packen, wäre ganz einfach in hohem Maß unfair.
Ohnehin kann niemand auf die Idee kommen, dem Deutschen Fußball-Bund eine antijüdische Haltung vorzuwerfen. Im Gegenteil, der Verband mit seinem Präsidenten Theo Zwanziger an der Spitze steht in besonderer Weise für die Aussöhnung mit Israel. Auch deshalb sollten sie frei und souverän in ihren Entschlüssen bleiben.
Jene, die einen sofortigen Ausschluss Dejagahs aus der Nationalmannschaft fordern, könnten sich in einer ruhigeren Minute die Frage stellen, wie sie eigentlich im umgekehrten, hypothetischen Fall reagieren würden: wenn nämlich ein israelstämmiger deutscher Nationalspieler nicht zu einem Länderspiel nach Teheran reisen wollte. Dafür hätte mit Sicherheit jeder Verständnis.
http://www.sueddeutsche.de/sport/weltfussball/artikel/253/136979/