Sido - Ich und keine Maske
VÖ: 27.09.2019
Label: Universal Music Group / Goldzweig
Der Ursprungsplan für Sidos achtes Soloalbum war eigentlich die ultimative Pop-Peitsche. Dafür verbunkerte sich Sido einen Monat lang mit DJ Desue und X-plosive auf Santorini in den Black Rock Studios um Songs für dieses gruselige Vorhaben aufzunehmen. Zurück in Deutschland waren die Resonanzen nicht sonderlich begeisternd und Sido entschied sich glücklicherweise noch einmal alles über den Haufen zu werfen. Lediglich "Pyramiden" mit Johannes Oerding hat es von dieser Session aufs Album geschafft und dort wird uns eindrucksvoll gezeigt, was uns geblüht hätte. Textlich irgendwo im Nirgendwo und schnulzige Hooks von irgendwelchen Pop-Sängern. Hier sogar unglaublich schlecht umgesetzt, vor allem, da Sido in den vorangegangenen Jahren ein sehr gutes Händchen für diese Art von Pop-Singles gezeigt hat. Die Gute-Laune-Nummer "Leben vor dem Tod" mit Sänger Monchi zeigt da deutlich mehr Hitpotential, wurde laut Sido von den Radio-Sendern aber abgelehnt, da Monchis Punkband Feine Sahne Fischfilet Linksextremismus vorgeworfen wurde.
Noch eine kleine Hintergrundinformation: Die Idee zum Albumtitel kam von Fler, der witzigerweise auf seinem Mixtape "Airmax Muzik II" (2011) einen Sido-Diss mit dem Titel "Ich und keine Maske Flavour" vertreten hat. Ob Fler sich daran erinnern konnte, als er Sido den Albumtitel vorgeschlagen hat, bleibt wohl sein Geheimnis.
Die Neuausrichtung von "Ich und keine Maske" wurde dann ein Potpourri aus verschiedenen Einflüssen, was das Album zwar ziemlich wechselhaft macht, aber auch durchaus gut tut. Am überraschendsten sind seine Annäherungen an die junge Szene, vor allem nach Zeilen wie
"Doch ich muss weitermachen, denn die Modus-Mio-Playlist geht mir auf den Sack" ("Wie Papa") oder dem Song "Das Buch", auf dem er im letzten Part zwar auch Anerkennung zeigt (
"Auch wenn ich euch nicht verstehe, ihr gebt der Jugend eine Stimme / Also macht euch keinen Kopf über die Zeit, die mir noch bleibt / Weil eigentlich wichtiger ist, wie viele Seiten ihr noch schreibt"), trotzdem als kleiner Seitenhieb zu sehen ist (
"Heute trägst du meinen Schuh und er steht dir gut / Doch du kannst nicht darin gehen, denn dir fehlt mein Fuß"). Sido sieht sich als einen der Väter der heutigen Generation und möchte vermutlich verdeutlichen, dass diese ohne seinen Erfolg und Einfluss über die letzten zwei Jahrzehnte heute sicherlich nicht so groß wären wie sie es jetzt sind. Dabei passt Sido nicht nur seinen Flow auf einigen Tracks an, platziert Adlibs und nutzt stellenweise dezent Auto-Tune, mit einigen der neuen Garde hat er sogar Zusammengearbeitet. "Energie" mit Luciano ist ein powervoller Banger und "High" mit 00er-Gedächtnis-Beat (inklusive „U Make Me Wanna“-Sample von Jadakiss/Mariah Carey) featured Kool Savas und Samra, der einen astreinen Part inklusive Sido-Referenzen abliefert. Der Höhepunkt ist dagegen der gemeinsame Song mit Apache 207 ("2002"), auf dem Sido Apache gewollt die Hauptrolle übergeben hat, der hier mit super Flow-wechseln und einer fantastischen Hook sein enormes Talent zur Schau stellt. Auch textlich ist der Rückblick der beiden auf das titelgebende Jahr sehr gelungen und zeigt erneut, welchen Stellenwert Sido für die heutige Rap-Generation hat.
"Melatonin" überzeugt mit einem melodischen Beat und handelt kritisch von dem Gebrauch von Alkohol (und allgemein Genussmittel). Der Gesang von Yonii sagt mir persönlich aber überhaupt nicht zu und auch der Gastauftritt von Beka (ehemals Blut & Kasse) bleibt nicht lange im Gedächtnis. Ebenfalls ziemlich unerwartet kam der Track mit Casper ("Schono ke"), mit dem Sido eine überzeugende Abriss-Nummer abliefert. Ansonsten gibt es neben den bereits erwähnten Radio-Songs natürlich auch weiteres Sido-Standart-Material. "Papu" ist seinem verstorbenen Opa gewidmet und die persönliche Nummer, "Junge von der Strasse" die obligatorische Block-Geschichte, "Jedes Geheimnis" ist "1000 Fragen" 2.0 (vom Album "Ich", 2006) und "Fällig" mit Nico Santos der nächste klägliche Versuch von Sex-Talk auf deutsch.
Mit "Ich und meine Maske" schafft Sido einen gekonnten Spagat zwischen alt und neu. Auch wenn hier sicherlich nicht alles überzeugt, sind es vor allem die Songs mit den aufstrebenden Jungs und sein erweiterter und angepasster Rap-Stil, die hier für frischen Wind sorgen.
Anspieltipps: "Wie Papa", "2002 [Feat. Apache 207]", "High [Feat. Samra & Kool Savas]", "Das Buch", "Schono ke [Feat. Casper]"