Index Finest
Snuffproduction, 2006
Da hab ich mir kaum einen Gefallen getan: eigentlich dachte ich, doch einiges an Kritikpunkten am Frühwerk von Dilemma zu finden und hatte gerade den Zweitling als vergleichsweise durchschnittlich in Erinnerung. Nach zwei Tagen Disko pumpen seh ich das dezidiert anders.
Als Erstes fällt mir das irre Cover ins Auge, nicht das der Vinyl-Edition, sondern der CD aus 2006: Dilemma grüsst als über die breite Masse erhobener Anführer in maoistischer Kluft und dem Mic in der Hand auf einem überlebensgrossen Gemälde – wenn das Ganze dann noch mit Index Finest betitelt ist, schlägt die Sickness-Anzeige bereits vor dem ersten angespielten Takt gegen oben aus.
Los geht die Platte mit einem schönen Filmschnipsel, ich mag das einfach (aus
Gangster No. 1?). Vor allem wenn Morlockk Dilemma als Artist draufsteht, passt das garantiert zu den nachfolgenden Rants und die Vorfreude auf hasserfüllte Raps steigt. Danach folgt das Rap-Intro mit einem sehr stabilen Beat, schön geflipptes Sample und einem Dilemma, dessen raptechnische Fortschritte im Vergleich zu Egoshooter schon nach einer Line klar werden: Stimme ausgeprägter, etwas entspannterer, aber stilsicherer Flow und perfekt auf den Beat geschriebene, nicht mehr ganz mit Silben zugepackte Lyrics. Das dämliche Geschrei von Staiger blende ich direkt mal aus (keine Ahnung, wo die Verbindung ist und ich habe auch unternull Motivation, das rauszufinden).
Weiter geht es mit dem einzigen Gastbeat der Platte von niemand Geringerem als Roey Marquis und leckmichamarsch, was für ein krankes Brett. Dilemma rollt drüber wie gar nichts Gutes, „sie nicken so stark mit dem Kopf, dass sie mit dem Rollstuhl nach Hause fahren“. Oh ja. Mit „Fernsehjunk“ folgt direkt irrstes Storytelling, wie und weshalb Dilemma total TV-abhängig ist. Kann ich gar nicht viel dazu sagen, dass muss man gehört haben – wenn dann die Chöre am Ende einsetzen, ist alles aus:
Weiter geht es mit „Du denkst du hast mich durchschaut“ mit einem in allen Bereichen höchstklassigen Representer, bis hierhin würde ich minus Staiger direkt die Höchstwertung zücken.
Bei „Moneten“ nimmt die Qualität dann etwas ab, guter Track, aber die Lyrics sind mir etwas zu sehr im Konzept gefangen – nichtsdestotrotz immer noch dope. „Fuck You“ spielt sogar noch etwas darunter, der Beat atmet schon gut Demotape-Atmo und die Hook, naja. „Nachbar“ glänzt mit einem wutangesken Beat (hat das Sample nicht RZA mal irgendwo um 1997 geflippt?) und einem komplett irren Storytelling, v.a. das Ende lol.
Auf „Open Your Eyes“ treten mit Desert D und V.Mann die ersten Featuregäste auf den Hörer ein, auf einem brutalen Brett – natürlich von Dilemma selbst. An dieser Stelle sei auch sein Beatgame explizit erwähnt, was für ein Talent dieser Morlockk auch hier ist, unfassbar. Ich hatte den Track als Filler in Erinnerung, auch hier Genickbrecher-Gütesiegel. „Blackout“ nächster kränkster Storyteller, der bemitleidenswerte Dilemma steht nur auf und schon liegt ein völlig Fremder tot in seiner Wanne. Unbedingt anhören. Das Choleriker-Feature ist nichts für mich, cooler Track, aber fällt schon etwas ab, auch wenn der Beat sehr dope ist.
Tatsächlich kann das Album das unglaublich hohe Niveau des ersten Viertels wieder aufgreifen und leitet mit einem sehr nicen Interlude „Hass“ ein, was für mich persönlich Dilemma als besten Rapper Deutschlands auszeichnet: wie er Hass in Lyrics beschreiben kann auf der perfekten, hasserfüllten Beatunterlage - geht für mich nicht besser. Da musst du mir den Wuppertaler ranholen, sonst kommt da keiner auf so ein Level. Dass Morlockko hier noch allen Ernstes Radiohead flippt… 11/10. Mit „Nein“ geht es weiter, ohne zu übertreiben einer meiner Lieblingstracks von Dilemma, in allen Belangen knüppelhartes Brett auf irrst geflipptem Sample. Spiel das an einem Hipster-Workshop für Räpinteressierte und die flüchten nach einem halben Part. Danach rappt keiner mehr. Mit „Messias“ kommt der Track zum eingangs beschriebenen Cover, ebenfalls akustisch ruff AF und mit „Willkommen im Club“ gibt es gleich noch die Anleitung zum Massensuizid in der hauseigenen Sekte. Ich packs nicht, wie krank ist der Text. Die letzten 4 Tracks sind nochmals drei gute Battletracks und ein doper Storyteller als Endpunkt, den Rahmen habe ich eh schon gesprengt.
Fazit:
Ob Fanboy oder nicht, wer sich mit ruffem Undergroundrap anfreunden kann und diese Platte noch nicht zu Tode gehört hat, wird sie lieben: zwei Schritte nach vorn im Soundbild im Vergleich zu Egoshooter mit massiv gesteigertem Beatgame seitens Morlockko Plus, in den Lyrics findet sich ab und an noch etwas Zweckreimerei und Flows sitzen noch nicht in jedem Track perfekt, aber viel fehlt nicht mehr. Und was für abgefuckte Storys und Thematiken aufgetischt werden, lässt jedes von Zynismus zerfressene Herz höher schlagen.
Ich bin nach dem erstmaligen Durchhören seit Jahren selbst überrascht, wie hochwertig dieses Album jetzt schon ist: zwei, drei schwächere (Feature-)Tracks streichen und das wäre direkt ein 5 Mics-Classic. Bei fast jedem anderen Deutschrap-Artist wäre dies das "erste" und einzig brauchbare Release, von dem dann 10-15 Jahre gezehrt, dutzendfach "wieder wie früher" gerappt und trotzdem nur abgeklatschter Rotz abgeliefert wird - Dilemma wird sich sogar noch steigern können.
Unbedingt anhören: Sag Ciao, Nein, Hass, Fernsehjunk
Anhören: Intro, Blackout, Open Your Eyes, Messias, Party’s Over
9 / 10