Daß das letztere Beispiel für Dich am unangenehmsten ist, wirkt auf mich eher befremdlich. Für mich, der ich mit Hip Hop groß geworden bin, für den Hip Hop einen Teil seiner persönlichen Entwicklung und Identität darstellt, ist es oft unerträglich, wie es in den Medien und von Plattenfirmen, die nichts anderes im Sinn haben, als damit so viel Kohle wie möglich zu erwirtschaften, definiert wird.
Sie tun doch genau das, was du den anderen vorwirfst. Um es mit Deinen Worten zu sagen, sie erheben ein "Eigentumsrecht" in dem sie Rotation bei Musiksendern und Radiostationen kaufen und somit letztendlich auch die Preise bei den entsprechenden Awards für die Kategorie "Hip Hop".
Natürlich geht es darum Hip Hop zu definieren, denn wenn es nicht Dinge gibt, die kein Hip Hop sind, gibt es auch kein Hip Hop. Das beinhaltet auch gewisse Grundideen und Prinzipien aufzustellen und andere auszuschließen und das ist auch der Sinn der Sache. Klar ist es anstrengend und oft ermüdend immer wieder diese Diskussion zu führen, aber deshalb wird es nicht weniger wichtig. Es ist auch anstrengend jedem "neuen" Menschen begreiflich zu machen, daß er nicht töten, vergewaltigen, stehlen oder was-weiss-ich-noch sollte, aber deshalb gibt man es ja nicht auf, lehnt sich zurück und sagt, "naja, die kinder sind halt heute so". Das akzeptiere ich nicht.
Das hat absolut nichts mit faschistoiden Theorien zu tun, wenn man es ablehnt, Dinge dem Hip Hop zuzuordnen, die den ursprünglichen Ideen und Idealen der Bewegung in nahezu allen Punkten wiedersprechen, abgesehen davon, daß sie die gleiche Ausdrucksweise verwenden.
Wenn jemand die Lieder von Wolf Biermann stilistisch kopiert, aber den Text mit rassistischen Parolen spickt, oder den Text beibehält, aber selbst in seinem Keller Sklaven hält, dann wird aus diesem jemand doch kein sozialist, selbst wenn die Medien und sein Verlag es tausendmal behaupten. Im Gegenteil...er führt damit die gesamte Idee ad absurdum und diskreditiert jeden, der die Idee ernst nimmt.
Vorsicht, hierbei handelt es sich um einen übertriebenen Vergleich, der der Veranschaulichung dient
Und von wegen, die Musikindustrie hätte Hip Hop irgendwas gegeben...da kann doch ein Mensch mit gesundem Menschenverstand nur laut lachen. Was gibt es denn Bedeutungsloseres und Bedeutungsleereres als das, was heute als Hip Hop über die Bildschirme flimmert. Im Gegenteil, sie hat es geschafft, "Hip Hop" zu lächerlichem Entertainment zu degradieren und Einfluss hat das vor allem auf Kids, die denken, Drogen ticken und Gang Bangs mit ner Glock in der Hand wären angenehme Freizeitbeschäftigungen. Willkommen in Hollywood.
Ich denke wir sehen das beide ganz ähnlich, nur kann ich deinen Idealismus nicht mehr teilen. Wenn meine zynische Einschätzung der Lage dich abstößt, dann kann ich dich nur zu deiner positiven Sicht beglückwünschen.
Ich befürchte allerdings in einer Medienlandschaft wie unserer kann man die Namensrechte an "Hip Hop" kaufen und die lästige ursprüngliche Bedeutung relativ schnell verschwinden lassen. Man wedelt den Leuten mit Rap-Millionären vor den Augen herum wie einem Esel mit einer Karotte, damit er dahin geht wo er soll. Das ist die hässliche Seite des amerikanischen Traums: "Vom Tellerwäscher zum Millionär" wird zur einzigen Perspektive stilisiert.
Dieses Schicksal bleibt Deutschland nun einmal nicht erspart. Plötzlich wird sido zu einem angestrebten Lebensentwurf: Zuballern, nichts auf die Reihe kriegen und plötzlich den Ritterschlag der Plattenindustrie bekommen.
Dass man sein Leben damit in de Hände von Geschäftsmännern legt und auf einen vollkommen abwegigen Glücksfall wartet, wird dabei Mangels anderer Vorbilder gar nicht gesehen.
Macht heißt definieren können; und so hat sich die Wirtschaft das "Eigentumsrecht" an der Definition von Hip Hop erworben. Dass sie keine anderen Ansätze kennt als diejenigen, die den Gewinn maximieren, ist eine Binsenweisheit, die sich fast nicht mehr auszusprechen lohnt.
Natürlich wirst du nun das Überleben der alten Ideale damit beweisen wollen, dass wir und viele andere sie noch kennen, aber wenn man einmal ehrlich ist: Wie viele sind das und welchen Einfluss haben die?
Man begegnet hin und wieder Punks alter Schule - scheisse, sogar Hippies gibt es noch - aber das hindert mich nicht daran ihre Jugendbewegungen für tot zu erklären. Die Chance zu bewegen ist längst vertan. Der Schwung, der aus den Träumen kam, ist längst verpufft, als diese an der Schwelle zur Wirklichkeit standen.
Denn in der Verwirklichung muss sich eben jedes Ideal mit der Realität arrangieren.
So geht man auch als Mensch wild und anti-alles aus der Pubertät heraus und muss dann lernen Kompromisse zu machen. Ich persönlich versuche meine Werte aufrecht zu erhalten und die alten Träume auf keinem Schritt dieses Weges zu vergessen, aber Hip Hop ist meiner Einschätzung nach als Träger von Idealen, mit denen man ein gutes Leben führen kann, unbrauchbar geworden und ein neuer muss her.
Natürlich werde ich die unsäglichen "Aber Hip Hop ist doch was ganz anderes, kleiner Fritz"-Gespräche weiter führen, so wie ich auch sonst versuche Werte, die ich für wichtig halte zu repräsentieren und zu vermitteln, aber unterm Strich ist für die Zukunft immer eine Bewegung nötig, die den folgenden Generationen Träume gibt, mit denen man heranwachsen kann.
"Each one teach one" ist ein schöner Ansatz, aber in Zeiten der Massenkommunikation ist er chancenlos. Wörter, die veröffentlicht werden, bedeuten für den Konsumenten immer nur das, als was sie veröffentlicht werden. "Schießbefehl" wird zum Beispiel nie wieder von der Berliner Mauer herunterkommen, egal wie lange diese schon gefallen ist -um an dieser Stelle wenigstens ein bisschen um das Standard-Nazi-Beispiel herumzukommen
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Da nicht mitspielen zu wollen ist sicher die Pflicht von jedem, dem der alte Hip Hop am Herzen liegt, aber er muss sich auch an den Gedanken gewöhnen, ein Dinosaurier zu sein.
Faschistoid finde ich übrigens nicht, vom klassischen Hip Hop zu sprechen oder ähnliches. Aber mit so einem engstirnigen Regelkatalog loszuziehen, wie das teilweise getan wurde und manchmal heute noch getan wird klingt mir sehr nach: "Das ist mein Hip Hop und daraus ziehe ich meinen Wert als Mensch. Wenn die Gefahr heraufzieht, dass meine Kriterien aufweichen, werde ich leider heulen und schreien müssen."
Für mich selbst ist das kein Thema mehr, da ich kein Bedürfnis mehr habe irgendeiner fest umrissenen Gruppe anzugehören.
Ich kann immer noch über ein Graffiti lächeln, weil ich mit der tiefen Überzeugung aufgewachsen bin, dass uniforme Betonwände scheisse sind und so freue ich mich immer noch über einen Jungen, der irgendwo seine ersten Bars bringt, weil ich denke, dass für Ausdruck keine teuren Instrumente nötig sind.
Trotzdem klingt "Hip Hop" verloren in meinen Ohren; Das Wort klingt für mich wie der Name eines Mannes, der in den Bauch eines Ungeheuers kletterte, um es von innen zu bekämpfen, und dabei verdaut wurde.
So haben wir vielleicht eine ganz ähnliche Meinung zu den Vorgängen, nur ist die Perspektive eine andere -dein Glas ist halb voll, meins ist vom Tisch gefallen