Die Polizisten, der Feind
Am 26. Dezember ist Djelloul, Bewohner der (Vor-)Stadt Balzac zu Vitry, niedergeschlagen worden nachdem er eine Filiale der BNP (Banque National de Paris) in Neuilly-sur-Marne überfallen hatte. Der Tod von Djelloul ist von den etwa 50 jungen Bankräubern aus dem Balzac-Viertel als von der Polizei auf dem Kieker haben interpretiert worden, wie zur Wut vieler. Innerhalb von 4 Tagen sind 63 Autos in Vitry angezündet worden. Dieser Anstieg der Gewalt ist die spektakuläre Antwort einer Bankräuberbande an die Ordnungskräfte. Sie bezeugt eine gewalttätige Kraftprobe, die regelmäßig die Polizeikräfte den Jugendlichen in den schwierigen Vierteln gegenüberstellt.
Bereits vor 10 Jahren war man in Amiens-Nord, im Viertel Mésiers de Trappes bei l’Ousse des Bois à Pau, bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Gruppen Jugendlicher dabei. So auch am 18. Januar 1992 in Trappes, als eine Patrouille städt. Polizisten einen jungen Schwarzen anspricht, der auf seinem Mofa ohne Helm und ohne Licht herumfährt und der sich – fliehend – der Kontrolle entzog: „Diese Ansprache bewirkt das Zusammenkommen von etwa 20 Jugendlichen des Mésiers-Viertels, welche die Polizisten anmachen um ihrem Kollegen zu helfen, zu fliehen. Die drei Polizisten wurden verletzt und beklagen den versuchten Raub ihrer Dienstwaffe. Drei Personen wurden zur Wache mitgenommen. Um 22h50 versammeln sich etwa 40 Jugendliche vor dem Kommissariat und werfen Wurfgeschosse auf den Hof um die Befreiung ihrer drei Kameraden zu bewirken. Um 23h15 wurde diese Bande durch die zur Verstärkung gerufene CRS zersplittert. Ein Polizist wurde durch den Wurf eines Steines an den Kopf verletzt. Fünf Molotovcocktails wurden auf die Ordnungskräfte geworfen, jedoch ohne sie zu treffen. Erst gegen 2h morgens kehrte wieder Ruhe ein, nach 4 Stunden Auseinandersetzungen.
1997 analysierte die Polizei „die Beziehung zwischen den Jugendlichen der Banlieue und der polizeilichen Autorität“ und stellte folgendes fest: „immer mehr Besorgnis erregendes Phänomen, bleiben die anti-polizeilichen Gewalttaten in den Banlieues einer kleinen Minderheit Jugendlicher vorbehalten, die schon längst in der Leichtigkeit der Kriminalität verankert sind. Sie erscheinen dennoch wie die sichtbare Partie eines tiefgreifenden Abdrifts, der eine größere Menschenmenge berührt und sich in einer Art Schattenkultur des Banlieues äußert. Den Groll, den Gedanken der Rache und die anti-behördlichen Vorurteile aufrecht erhaltend, lenkt letzteres die Jugendlichen von der Rationalität ab. Es erschwert außerdem einen Dialog, der sich zunehmend als immer notwendiger erweist.
Dieser Dialog hat nicht stattgefunden. Und Filme wie La Haine, die eine legitime Revolte der Jugendlichen aus den Vierteln betonen, oder verschiedenes z.B. durch Musik („Opferung der Bullen“ sang eine Rapgruppe, „ich pisse auf die Polizei“ nahm eine andere wieder auf) baut eine gewisse urbane Kultur auf, welche die Kultur der gesamten Jugend Frankreichs zu werden scheint und macht aus dem Polizisten den zu bekämpfenden Menschen.
Dieses Bild einer repressiven und diktatorischen Polizei hat sich außerdem in priviligierten Schichten und medienwirksamen Milieus entwickelt, deren Mitglieder, 20 Jahre alt, ab Mai 68 die CRS mit der SS verglichen haben und deren Mitgefühl die jungen Übeltäter begeistert.
Letztere haben die Rhetorik der legitimen Revolte aufgefasst ohne dass man jemals weiß ob sie aufrechtes Gefühl oder codierte Botschaft zur Aufmerksamkeit derer enthält, die die parallele Ordnung, die in den Vierteln besteht, wieder in Frage stellen wollen. Die Äußerungen dieses Jugendlichen aus Montfermeil, eingebracht von Christian Mouhamma, bezeugen: „Es gibt eine Sache, die die Bullen verstehen müssen: Man darf die guten Kerle nicht schlecht behandeln. Ich bin im Herzen mit den Jugendlichen, die sich prügeln. Dem Polizisten muss bewusst werden, dass man Respekt braucht. Wenn es keinen Respekt mehr gibt, gibt es kein Vertrauen mehr.“
Die Polizei erscheint also als das repressive Element, welches bei den benachteiligten Jugendlichen ein Gefühl der Revolte entwickelt. Aber sie ist in diesen Parallelgesellschaften auch der erste Feind, da sie die Ordnung des Staates an sich verteidigt, welche den Handel in allen Arten wieder ansetzen könnten. Jeder Eingriff der Polizei wird also als eine Attacke, die einen Gegenstoß verdient, gesehen.
Desweiteren zögern die Bandenführer nicht, die Jüngsten zu benutzen um die Polizei einzuschüchtern. Ein Polizist der Region Rhône-Alpes erzählt: „Wir sind überzeugt, dass die Attacken, deren Ziele in diesen letzten Monaten einige Polizeistationen waren, direkt von den Ältesten aus verschiedenen Verbindungen, die die Jugendlichen anstacheln und manipulieren, angeregt worden sind.
In gewissen Vierteln bewegt sich die Polizei nur noch im Auto fort und ist es gewohnt, Beleidigungen oder auch Projektile zu empfangen, von Seiten der Minderjährigen welche wissen, dass sie nichts riskieren. So vermehren sich die Aggressionen.
Am 30. März 2002 legen sich 8 Jugendliche zw. 16 und 22 Jahren aus dem Viertel Alouettes in Alfortville (Val-de-Marne) schreiend mit Polizisten in einem Treppenhaus eines Hochhauses an, von wo aus sie diese mit Steinen angreifen.
Im November 2000 hat ein 24-jähriger Polizist zwei Schritte vom Francs-Moisins-Viertel vor, ein Auto zu kontrollieren: „Dieses rast auf den Friedenswächter zu, schleudert ihn 20 Meter und verletzt ihn schwer (Multiple Brüche, u. a. des Beckens)“.
Am 15. Mai 2001 werden die patrouillierenden Polizisten in Navigateurs bei Orly mit Feuer angegriffen und müssen fliehen.
Am 1. September wird in Beziers ein Kastenwagen der Polizei mit einer Rakete attackiert. Auch die Kommissariate und Gendarmerien sind Ziel der quasi terroristischen Attacken. Seit 2001 hat die Abteilung „Städte und Vorstädte“ der Allgemeinen Auskunft mehr als 65 Arten an Zwischenfällen gezählt, angestiftet gegen die Polizeilokale.
„Die schwierigen Viertel auf dem Land sind die am schlimmsten getroffenen. Polizeibüros sind hier z.B. ständig Objekt von Feuerangriffen geworden: In Auxerre, Bourges, Castres, Dreux, Grigny, Orléans, Pfastaff, Ronchin, Sète und Vienne.
Für die nächsten Jahre hat der Innenminister angekündigt, „619 Polizeibüros oder Kontaktpunkte in den empfindlichen Zonen“ zu bilden. Diese riskieren, übermäßig bewacht werden zu müssen, um Attacken junger Gewalttäter auszuweichen. Laut Vertreter des Staatsanwaltes von Créteil, wird jeden Tag ein Polizeiauto im Val-de-Marne seit Anfang des Jahres 2002 Opfer von Steinwürfen. Malek Boutik nimmt kein Blatt vor den Mund gegenüber denen, die eine „anti-jugendliche“ Polizei verachten, die Missachtungen versammelnd: „Der Großteil der Missachtungen ist nicht ihre Schuld, es ist das Gesindel, welches mehr in den Vierteln wütet. Der Feind ist nicht der Polizist mit 7500 Ocken im Monat, es sind die kleinen Diktatoren des Viertels, die sogar ihre Brüder für einige Scheine verkaufen würden.
Am 4. Oktober 2003 wollte die Polizei dazwischengehen, um Sohane zu retten, junges Mädchen von 17 Jahren im Viertel Balzac in Vitry-sur-Seine, die Djamal dabei war, lebendig zu verbrennen in einer Mülltonne, sie wurde von Jugendlichen angegriffen und musste 24 CRS-Beamte rufen, um der Auseinendersetzung ein Ende zu bereiten.
Die Angst der Mediziner
Defekte Lifte, baufällige Gänge, menschliche Exkremente in den Hallen, die Verwahrlosung einzelner Cités ist so gross, dass die öffentlichen Mittel (Stadtverwaltung, Regionalbüro) so wie die HLM Büros zu resignieren scheinen. Aus solchen Gründen war das Leben im „grand L“, einem Teil eines Riesenbaus in Antony (6’631 Einwohner) welcher heute zerstört ist, zeitweise schwierig. Man sah Jugendliche die in den Gängen der 10. Etage Motorrad fuhren. „Die Leute welche zum putzen da waren,“ erzählte ein Anwohner, „kamen mit nur einem einzigen Eimer Wasser um hunderte von Metern zu reinigen. Das Wasser färbte sich schnell schwarz, der Gestank war fürchterlich…“
Das tägliche Leben läuft wie ein Film auf dieser prekären Leinwand ab. Aus diesem Grund gehen die angegriffenen Mediziner je länger, je weniger in die Cités. „Der Status eines Mediziners bietet keinen Schutz mehr“ erklärt Didier Menard, Arzt in der Cité Francs-Moisins (Saint-Denis). „Die Gewalt, der Vandalismus oder die Diebstähle gegen die Pfleger sind nicht tolerierbar.“
Während des Jahres 2001, haben sich die Aggressionen gegen die Leute in den weissen Kitteln gehäuft. Am 1. Februar, wurde in Val Fourré, der älteste Arzt im Quartier, Pierre Cohen, Opfer eines Überfalls. Gegen 21.30 Uhr brachen zwei maskierte und bewaffnete Männer ins seine Praxis ein und raubten 3000 Euro.
In Lilas (93) wurde eine Apothekerin Mitte Februar Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls. In Sarcelles wurde am 20. Juli ein Arzt der SOS Médecins 95 im Treppenhaus einer Cité überfallen als er auf dem Weg zu einem Patienten war. Von zwei Jugendlichen mit einem Messer bedroht, musste er sich sein Mobiltelefon abnehmen lassen.
Blois (41) Anfang September: Nach zahlreichen Angriffen auf Ihre Einsatzwagen, entschieden sich die Mitarbeiter der Ambulanzen der Stadt nicht mehr in die ZUP zu gehen ohne von Zugehörigen der Stadtverwaltung begleitet zu werden. Dieses Phänomen hat ein solches Ausmass angenommen, dass am 1. Oktober 2001 das Innenministerium, präsidiert von Lionel Jospin, entschieden hat, 5,34 Milliarden Euro zu investieren, um die Sicherheit der Mediziner während Ihren Einsätzen in den quartiers sensibles zu gewährleisten.
Die 3 Hauptziele:
1. Apotheken und Arztpraxen sichern
2. Die Angehörigen der Medizinbranche in „maisons médicales“ zu stationieren
3. „Gesundheitsvermittler“ für die Cités, auf der Basis von solidarischen Arbeitsverträgen angestellt, welche die Ärzte vor allem nachts in die zones sensibles begleiten. #